Abgehängt in Herne: die Butterdose

Bild: Wochenendflohmarkt in Herne / Sebastian Bartoschek unterwegs

Drei Frauen, eine Butterdose und ein Graben zwischen den Grabbeltischen. Shoppingprinzessin Sebastian Bartoschek war am Wochenende unter Menschen.

Mit dem einfachen Volk reden, ihre Sprache sprechen, ihre Sorgen und Ängste Ernst nehmen. Nichts in den letzten Monaten so hoch im Kurs, wie eben jene Forderung. So soll es wieder etwas werden, mit dem respektvollen Miteinander in der Gesellschaft. Und „wieder“ bedeutet „erstmals“ – aber das will wieder niemand hören. Und so überbieten sich dann Politiker, Journalisten und Soziologen, so wie die wechselseitigen Schnittmengen, darin, dem Volk aufs Maul zu schauen. Soll man hier doch lernen, was wirklich zählt, welche argumentativen Winkelzüge es zu berücksichtigen gilt, und wieso eine strikte direkte Demokratie vielleicht gar nicht so schlimm ist.

In dieser Mission stürzte ich mich denn heute auf einen Floh- und Trödelmarkt in Herne, wobei ein Kollateralziel war, meinem älteren Sohn die Freuden des kapitalistischen Feilschens nahe zu bringen. Doch fokussieren wir auf das Primärziel: die Abgehängten und Prekären in Herne aus nächster Nähe zu beobachten.

Ein klassischer Flohmarktstand. Eine Tischdecke mit Spitze bedeckt einen Tapeziertisch, und noch einen. Diese beiden stehen in Linie und es gibt eine weitere Reihe, an deren Ende in der Mitte eine Dame Anfang/ Mitte 40 sitzt. Nennen wir sie Nicole, womit wir einen der häufigsten Frauenvornamen der 1970er-Jahre wählen. Nicole trägt ein Hipbag aus Kunstleder, nicht als Modezier, sondern um die Einnahmen und das Wechselgeld zu verwalten. Sie verkauft tatsächlich Trödel, keine neue B-Ware oder Ware, deren Herkunft man nicht so genau hinterfragt, wenn man doch für den Kauf des Paketbandes pro Rolle doch nur einen einzigen Euro zahlen muss. Auf der linken Reihe unserer Standes liegen einige Porzellanteller, Dürers „Betende Hände“ auf Holz und einige Keramiktierfigürchen, wie sie jede gute „Schwiegertochter gesucht“-Folge braucht. Und eine Butterdose. Nicoles Stand ist insgesamt mittelgroß.

Es ist keine besondere Butterdose, aber auch keine die man in den Müll schmeißen würde. Sie ist weder aus historischen Porzellan noch neonneuem Plastik. Vielmehr ist sie aus jener klassischen Kombi, wie ich sie in vielen Haushalten, auch dem eigenen, erlebe: die untere Schale aus Stahl, darin abgesetzt die Fläche für die Butter, der Verschluss aus durchsichtigem Plastik. ‚Durchsichtig‘ ist dabei nicht ganz richtig, denn eine leichte Brechung des Lichtes durch die Form führt zu der Illusion einer Trübung. Doch verlieren wir uns nicht im Details.

Ich stehe mit meinem Sohn am rechten Tischstrang, bei einigen Spielsachen, als an den linken Tisch, den mit der Butterdose, zwei Damen herantreten. Mitte/ Ende 20. Beide sehr laut. Sie entdecken die Butterdose, genauer, eine der beide entdeckt sie. Sie tritt einen Schritt vor. Nennen wir sie Lena, womit wir dem selben Algorithmus wie bei Nicole folgen, nur bezogen auf die 1990er.

Lena (die Butterdose hebend): „Was ist das?“
Nicole: „Eine Butterdose.“
Lena (die Butterdose hinstellend): „Aha.“

Lena öffnet die Butterdose, streicht mit dem Finger über die rechteckige Erhebung für die Platzierung der Butter.

Lena: „Kann man da Butter rein tun?“
Nicole: „Ja, schon. Es ist eine Butterdose.“

Lena schaut skeptisch zu ihrer Freundin, nennen wir sie Jessika. Jessika schaut zu Lena, lächelt spöttisch, wegen Nicoles Antwort.

Lena: „Aber kann ich da ein Stück Butter rein machen?“
Nicole: „Es ist eine Butterdose, also so für Butter. Ich denke, also schon. Klar.“

Lena schaut Nicole fassungslos an. Nochmals nimmt sie die Butterbrotdose hoch, deckt sie auf und wieder zu. Stellt die Butterdose zurück.

Lena: „Passt denn da so´n Stück Butter, das ich kaufe, rein? Das mein ich.“
Nicole: „Es ist eine Butterdose. Das soll man ja die Butterstücke drauf tun. Für den Kühlschrank, oder Balkon, oder so.“

Kurzes Schweigen. Wieder ein Blick von Lena zu Jessika.

Lena: „Aber passt da auch mein Stück Butter rein? Also das aus der Packung, wo die eingewickelt sind?“
Nicole: „Ja.“
Lena: „Aber auch das Stück, das ich mir gekauft habe?“
Nicole: „Normale Butterstücke passen da rein. Ich weiß ja nicht, wie groß Ihr Butterstück ist. Das weiß ich ja jetzt auch nicht.“
Lena (triumphierend zu Jessika): „Die weiß auch nicht, ob meine Butter da rein passt. Aber Hauptsache verkaufen…“

Nicole will etwas sagen, aber da sind Jessika und Lena schon weiter gegangen. Ohne Butterdose. Ich stehe da. Schaue ihnen hinterher.
Sie wirken unzufrieden, und deswegen zufrieden. Mit Menschen reden – es lehrt soviel.


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