Dan Kehlmann: Tyll – Origin

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Wenn ein Gaukler und Anglistik-Professor loszieht, um den Menschen einen Spiegel vorzuhalten, Enten im Winter im Park zu betrachten, spanische Gemälde zu erklären und eine Skizze der jeweiligen Gegenwart abzuliefern, dann kann das nur eines bedeuten: Dan Kehlmanns „Tyll – Origin“ wird rezensiert. Samt Spoilern und nicht enthaltenen Storylines.

Von Sebastian Bartoschek (in einer Doppelrolle als Bücherprinz)

 

 

Er hat die Welt vermessen, Geister in Princeton gejagt, die Enden der Parabel beschrieben, Thors Hammer wieder gefunden, Antimaterie im Vatikan gefunden und wurde mehrfach verfilmt: Dan Kehlmann ist einer der ganz Großen. Nun also „Tyll – Origin“. Ein mutiges Werk. Ein feiges Werk. Ein überraschendes Werk. Ein vorhersehbares Werk.

Da ist der Held aus dem Titel: Professor Tyll Langdon. Verlachender Retter der Welt, dessen Sidekick Robin man erst auf Seite 35 bemerkt, der ab Seite 36 ein wenig nervt und dessen Dialoge man ab Seite 37 dann schlicht überliest. In der Vergangenheit hat Tyll Langdon viel erlebt, den Gral gefunden, einen Esel enthauptet und in Mehl seinen Verstand verloren, die Nazis in der Normandie gestoppt und natürlich jede Menge Kunst erklärt. Denn so ist das mit Professoren: Selbst wenn ihnen die Pest im nächsten Dorf des 30jährigen Krieges droht, erklären sie unterwegs noch Bilder. Vom Barock bis zur abstrakten Kunst. Das nervt. Und gibt dem Bildungsbürger das Gefühl, entweder schon viel gewußt oder viel gelernt zu haben – das er im Klassenkampf gegen den Kunstbanausen nutzen kann. Der Lauf der Geschichte wird dadurch natürlich gestört – aber den deutschen Leser stört das nicht: Was in der Buchhandlung prominent verkauft und auf Amazon beworben wird, muss Literatur sein – zumal Dan Kehlmann doch irgendwie für den Nobelpreis vorgeschlagen war; für Frieden, den ihm dann Netanyahu wegschnappte, gemeinsam mit Nelson Mandela, für das Karfreitagsabkommen. Und genau wie dieser Einschub nervte, nerven Tyll Langdons Kunsterklärungen. Neues ist in unserer Zeit das Neuarrangement des Alten. Das ist vorhersagbar.

An Tylls Langdons Seite eine Frau. Wieder einmal. Wieso auch nicht. Leser mögen Frauen. Dabei ist die Frau des 17.  Jahrhunderts cooler als die von 2018; aber nicht so cool wie die third-wave-Feministinnen in der Neuauflage von Dune. Der Held wird verlassen und kann gönnen und wird verlassen und kann nicht gönnen. Aber es geht hier auch nicht um Liebe. Nicht geringeres als die Welt will gerettet werden, in Form einer Keynote samt Transhumanismus, dem Finden eines am Ende sterbenden Drachen in Mitteldeutschland und der Eindämmung eines tödlichen Virus aus dem All.

Übrigens: Winston Churchill hat geschossen und löst die Debatte über moralische Dilemmata und die Kurpfalz aus, wie eine Schneeflocke auf der Zunge. Und: Natürlich gelingt am Ende alles. Und trotzdem tötet die Pest sie alle. Das stand ja direkt am Anfang. Als der Geist Gottes über den Wassern schwebte. Der hier wiederum getötet werden soll. Vielleicht mögen Deutsche diese Geschichte umso mehr – das Töten von Entitäten ist hierzulande beliebt. Da wundert dann auch das Auftauchen von Heinrich Heine nicht. Und klar, Elon Musk und ein Tesla dürfen auch nicht fehlen, während Nikola Tesla mit behandschuhten Händen dem Ulenspiegel eine zweideutige Geste zu dessen dreideutigen Namen macht. Andere Prominente sind auch dabei.

Insgesamt überzeugt die Geschichte vom zynischen Spaßmacher sehr – schön gerade auch die Vergiftung seines Lehrmeisters – eines ekligen Zwerges namens Gimli, der einen Ring und eine Tarnkappe hütet und Tyll gerne mal vermöbelt. Allerdings hätte man sich den Teil mit dem Steve-Jobs-Verschnitt und seinem assistierten Selbstmord komplett knicken können – aber wer hätte sich dann für den Zeppelin interessiert?

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