Das bessere Ende (2): Michi und der Weihnachtsmann

pr-faschos

In der Reihe „Das bessere Ende“ schreibt Märchenprinz Sebastian Bartoschek in unregelmäßiger Folge bessere Enden für News. Heute: Ein Weihnachtsmärchen.

 

„Jetzt komm da runter, Bengel!“ Die Worte lesen sich härter, als der Klang der Stimme sie meint. Die Wangen des Mannes leuchten rot. Sie kontrastieren mit dem langen weißen Bart, passen gut zu der roten Mütze und dem roten Mantel. Ein weiteres Mal ruft er: „Sonst passiert dir da noch was, komm schon, Junge.“ Eigentlich hatte sich der Weihnachtsmann das anders vorgestellt. Er wollte einfach einmal durchatmen, zwischen Nikolaustag und Weihnachten, nach all den bundesweiten Einsätzen und dem Schweben über den Dortmunder Weihnachtsmarkt, einfach einen Glühwein trinken, sich ein wenig gehen lassen, den Berufsalltag in Alkohol dämpfen. Aber es sollte nicht sein. „Miiii-chaaaa-eeeel. Komm da runter,“ erschallt die Stimme des alten Mannes wieder.


Michael steht auf dem Turm. Er zittert. Es ist kalt. Er hat ein Hakenkreuz auf der Stirn. „Ich komme hier nicht runter, nein, ich bleibe hier“, brüllt Michael runter auf den Weihnachtsmarkt. Einige Passanten lachen, andere grinsen. „Ein Nazi, der mit dem Weihnachtsmann spricht“, denken sie. Und, ja, es ist bizarr. Außer für Michi – und den Weihnachtsmann. „Ich bleibe hier oben, Weihnachtsmann, es gibt dich gar nicht. Weil die Ziegenficker dich aus unserem Land verdrängt haben!“ „Ich stehe hier unten. Trinke Glühwein. Jetzt komm da runter.“ „Wenn Du wirklich der Weihnachtsmann bist, dann komm ich runter.“ Also darum geht es, denkt sich der Weihnachtsmann, dessen Vorname Schlomo ist – aber das sagt er Michael jetzt lieber nicht. Die Familie ‚Weynâhtsmann‘ war vor langer Zeit aus Deutschland ausgewandert. Doch das ist nicht der richtige Moment, um Familiengeschichten und Namensetymologien zu besprechen.

 
Durch ein Handlungsloch ist der Weihnachtsmann mittlerweile auf den Turm zu Michael gelangt. „Natürlich bin ich wirklich der Weihnachtsmann, Michael.“ Ein Ausdruck kindlichen Hoffens huscht über das traurig-nationalsozialistische Gesicht: „Wirklich?“ „Ja. Und schau mal hier.“ Der Weihnachtsmann reicht Michael eine Karte und einen Gegenstand. Eine Träne findet ihren Weg, und glitzert im Schein des abgebrannten Pyrofeuerwerks. „Ein neues Handy. Und eine Borussia-Dauerkarte. Aber ich dachte, ich bin doch lebenslang gesperrt …“ Das weinerliche Schluchzen, Michis Markenzeichen, ist nicht zu überhören. Der seltene Ausdruck von Verstehen spiegelt sich in Michis Gesicht: „Du bist wirklich der Weihnachtsmann.“ Der Weihnachtsmann lächelt: „Ja, das bin ich. Und du darfst Schlomo zu mir sagen.“

 

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