Draußen in der Küche (Teil 2)

Draußen in der Küche. Gibt es das? Wo befindet sich dieser Ort? Und ist es überhaupt ein Ort? Oder vielmehr der Anfang eines frauenfeindlichen Witzes? In Teilen Afrikas ist es aufgrund des mangelndes Platzes noch bis heute üblich, seine Küche im Hof zu haben, aber darum geht es hier nicht. Was darf man sich also unter „draußen in der Küche“ vorstellen und warum heißt dieser Text so? Mercedes Nabert ist über die Wendung gestolpert und versucht, ihr auf die Spur zu kommen.

Teil 2: Mysterium und Zufluchtsort: Projektionen von Schriftstellern

In Theodor Fontanes bedeutendem Werk „Effi Briest“ ist „draußen in der Küche“ ganz einfach dort, wo die Tochter der damalig 18-jährigen Protagonistin und ihres doppelt so alten Ehemannes sich gerne aufhielt: „Ja, Innstetten sehnte sich nach Unterbrechung von Arbeit und Einsamkeit, und verwandte Gefühle hegte man draußen in der Küche, wo Annie, wenn die Schulstunden hinter ihr lagen, ihre Zeit am liebsten verbrachte, was insoweit ganz natürlich war, als Roswitha und Johanna nicht nur das kleine Fräulein in gleichem Maße liebten, sondern auch untereinander nach wie vor auf dem besten Fuße standen.“ 
Die darauf folgenden Absätze handeln von den sich allmählich herauskristallisierten Spannungen der beiden hausangestellten Frauen, sowie ausführlich von deren beider spezifischer Form der Fettleibigkeit. Der vorletzte Satz des Kapitels lautet: „Aber eh er dazu kam, kam Johanna, um zu sagen, dass das Essen aufgetragen sei.“
Bei dem Schriftsteller Peter Rosegger, um bei prominenten Beispielen zu bleiben, für die Krimiautorin Frederieke Schmöe und auch bei dem weniger bekannten, aber anspruchsvollen Autoren Eugen Banauch ist die Küche draußen offenbar ein einziger Quell störender Geräusche. „Draußen in der Küche“ beschreibt immer wieder einen passiven, durch Frauen allein lebendig gemachten Ort, weit entfernt. Die Autoren wissen nichts von ihm oder wollen nichts von ihm wissen. Nur wenige urgieren sich hin, um dort Trost oder Beistand zu erfahren. Zuletzt ist dies wohl dem Drehbuchautoren Bernd Fischerauer passiert, dessen erster und vielversprechender Roman erst jüngst erschienen ist. Da schreibt er: „Aber ich bin in die Küche hinaus, wo meine Mutter beim Kochen war, und hab gebrüllt wie am Spieß.“
Selbst der Spiegel bedient sich 1966 dieses Kunstgriffs und unterstreicht durch ein deplatziertes „draußen“ die Passivität einer bemerkenswerten Angelegenheit: „Doch eines Abends, in Torsholt, die Frauen warteten draußen in der Küche, da hängten Ruppe und Rheinheimer eine 2 x 3 Meter große Nazifahne auf.“

Ab nach draußen!

Abgesehen von emotionaler Distanz, was schließlich nicht einmal ganz korrekt ist, lässt sich mit „draußen“ noch einiges andere, inklusive Freiheit assoziieren. Somit hatten untergetauchte Juden zu Zeiten der Shoah, für die die Küche ihrer Retter zu den Orten zählte, die sie allenfalls nachts aufsuchen konnten, historisch die einzige legitime Begründung, sie draußen zu wähnen.
In der Wikipedia heißt es: „Als Küche wird ein Raum innerhalb einer Wohnung, einer gastronomischen Einrichtung oder einer Einrichtung zur Gemeinschaftsverpflegung bezeichnet, der vorwiegend zur Zubereitung und teilweise zur Lagerung von Speisen genutzt wird.“
Wenn Frauen einem heute sagen, sie hätten draußen in der Küche noch Saft, so ist das schwer bedenklich. Sie müssen, bewusst oder unbewusst, die Vorstellung übernommen haben, ihr Reich, die Küche, sei vom eigentlichen Leben im Haushalt abgeschieden. Vielleicht glauben sie, lediglich darin etwas bestimmen zu können oder sehen sogar ihre „Bestimmung“ in ihr. Vielleicht ist ihre Familie auch so furchtbar, dass sie die Küche als einen Rückzugs- oder Zufluchtsort begreifen. Tatsache ist jedenfalls, dass die Küche ein Ort der Arbeit ist und nicht erst seit gestern ist bekannt, dass ohne eine kritische Auseinandersetzung mit der Arbeit im „home office“, die sogenannte work-life bance entschieden unter ihr leidet. Somit ist diesen Frauen anzuraten, dass sie ihr „Draußen“ in Richtung richtiges draußen verlassen. Oder sogleich ihre Ehe, oder ihren Wahn.
Wer außerhalb seiner Wohnung arbeitet, kann in der Regel auch häufiger auswärtig essen. Und sollte man sich dann für die klassische, gehobene Gastronomie entscheiden, schadet es nicht, einen Gedanken daran zu verschwenden, dass der Küchenchef vermutlich männlich ist und dass „Hausmannskost“, als eine Bezeichnung aus dem 16. Jahrhundert, nichts bezeichnet, was von Männern entwickelt wurde, sondern wiederum einfach Mahlzeiten, die ihnen schmeckten. Aus alledem ergibt sich, dass es ganz akkurat wäre, „draußen in der Küche“ als den Anfang eines sexistischen Witzes zu verstehen.

Die Autorin lebt und isst in Berlin, meistens nur Indisch vom Lieferservice oder bei Geschäftsessen, die sie absetzen kann. In ihrer Küche hängen die Wäsche und ein Weinregal. Auf ihrem Herd stapeln sich Bücher und Zeitschriften.

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