Weiteres Schicksal ungewiss – drei syrische Flüchtlinge in türkischem Knast

kroneLaut türkischen Medien sollen sie Provokateure mit Verbindungen zu ausländischen Geheimdiensten sein, die fünf jungen Menschen, die sich kürzlich in Edirne an den Protesten syrischer Flüchtlinge für Grenzöffnungen beteiligten. Seit die beiden Europäerinnen unter ihnen aus der Haft entlassen und abgeschoben wurden, interessiert das Thema deutsche Medien nicht mehr. Dabei sitzen die mit ihnen verhafteten drei syrischen Palästinenser immer noch im Knast – und ihnen droht womöglich die Abschiebung nach Syrien.
Gastprinzessin Sabine Küper-Büsch hat ihre Geschichte exklusiv für Prinzessinnenreporter aufgeschrieben.

Ali ist erst seit vier Wochen in Istanbul. Und schon nicht mehr in Freiheit.
Es war ein mieses Gefühl ihn und Mohammad heute (am 3.10.15) hinter vergitterten Fenstern zu sehen. Seit zehn Tagen sitzen sie in Abschiebehaft in einer Einrichtung im historischen Viertel Sultanahmet.

Beide sind Palästinenser aus Damaskus. Sie stammen aus dem Jarmuk-Camp, das ist ein etwa 2,1 km² großes Stadtviertel und Flüchtlingslager in der syrischen Hauptstadt Damaskus. Es befindet sich an der südlichen Stadtgrenze, östlich des Stadtbezirks Qadam (Al-Kadam). Jarmuk wird überwiegend von Flüchtlingen aus Palästina und deren Nachfahren bewohnt. Da viele der Bewohner sich 2011 den Protesten gegen das Assad-Regime beteiligten, stand das Viertel bis zum Frühjahr 2015 unter Belagerungszustand durch syrische Milizen. Der Islamische Staat rückte im April vor, jetzt steht das Viertel unter Belagerungszustand des IS und des Assad-Regimes, die in den jeweils von ihnen kontrollierten Teilen die Bevölkerung terrorisieren. Ausgangsperre, Lebensmittelrationierungen …

Mohammad hatte im vergangenen Dezember an einem Kurzfilm-Workshop teilgenommen, den der syrische Filmemacher Ziad Homsi, Thomas Büsch und ich leiteten. Zusammen mit seinem Freund Bassel entstand ein wunderschöner Kurzfilm, in dem Bassel einen großen, schweren Koffer durch das Istanbuler Viertel Balat trägt. Er schleppt an seiner Geschichte zu schrägen Gesängen von Yoko Ono.

Bassel ist mittlerweile nach Holland ausgewandert und hat dort einen Asylantrag gestellt. Mohammad wohnt noch zusammen mit seiner Mutter in Balat. Die Eltern flohen in den 1980ern von Palästina erst in den Irak. Mohammad verbrachte dort seine Kindheit, er spricht noch heute mit leuchtenden Augen von Bagdad. Doch als der Krieg dort 2002 entbrannte zogen sie nach Syrien in das Jarmuk Camp. Vergangenen Sommer floh die ganze Familie nach Istanbul. Der Vater ist mit zwei von Mohammads Schwestern in Holland, Mohammad blieb, mit seiner Mutter.
Sein Freund Ali kam vor vier Wochen nach. Auch er möchte lernen, Filme zu machen. Am 17. September waren wir noch alle zusammen auf dem Bus-Terminal in Istanbul Esenler. 2000 Syrer protestierten dort für eine Öffnung der Grenzen nach Griechenland und Bulgarien. Wir haben gefilmt. Mohammad, Ali und Mohammads französische Freundin Charlotte schlugen vor, ob wir nicht alle am nächsten Tag nach Edirne fahren sollten. Der Protest sollte dort an der Grenze fortgesetzt werden. Hunderte Syrer machten sich zu Fuß auf den Weg, weil keine türkische Busfirma sie auf Anweisung der Behörden transportieren wollte. Thomas und ich lehnten ab. Uns war klar, dass es riskant ist, gemeinsam mit den Syrern zu fahren. Charlotte wollte ein Auto mieten, ich sah unser aller Namen schon als Schlagzeile: Schlepper aus Europa heizen Flüchtlingsproteste an.

Diese Ahnung wurde ein paar Tage später bestätigt. Die vier hatten sich zusammen mit einem weiteren syrischen Freund zweimal auf den Weg nach Edirne gemacht. Zunächst hatten sie Photos und Filme produziert. Das zweite Mal hatten sie sich an dem Protestmarsch auf der Autobahn beteiligt und wurden schon am Stadtrand von Istanbul im Viertel Esenyurt festgenommen. Mohammad hatte Montag, den 21. September, morgens um sechs mein Handy angerufen. Als ich einige Stunden später zurückrief, waren alle noch guten Mutes. Der Polizist, dem Mohammad sein Handy übergab, sagte mir, dass nur die Personalien festgestellt würden. Mohammad hat noch keine Aufenthaltsgenehmigung in der Türkei. Das ist gemeinhin kein Problem, denn Syrer profitieren von einem vereinfachten Verfahren.

Am Dienstag kam die Nachricht, die vier hätten die Polizeistation verlassen dürfen. Umso bestürzter las ich zwei Tage später in allen Regierungsnahen Zeitungen und Nachrichtenagenturen, die Provokateure der Edirne-Proteste seien gefasst worden. Drei Syrer und zwei Europäerinnen, denen man Verbindungen zum deutschen und französischen Geheimdienst habe nachweisen können, hieß es dort. Eine Zeitung veröffentlichte sogar Photos von den Pässen der fünf. Eine miese Verleumdungskampagne.

Da in der Woche im islamischen Kulturkreis drei Tage das Opferfest gefeiert wurde, saßen die fünf die ganze Woche über in Abschiebehaft. Am 30. September wurden Charlotte und Nora nach Frankreich und Deutschland abgeschoben. Offiziell, weil sie sich unerlaubt an Demonstrationen beteiligt haben. Das ist Ausländern in der Türkei nicht erlaubt. Die drei Syrer sitzen nach wie vor in Abschiebehaft, es wurde keine Anklage erhoben, niemand weiß, was mit ihnen passieren soll. Die drei konnten nur einmal Anwälte konsultieren, die ihnen erst einmal erzählen mussten, welche Vorverurteilungen in den Medien standen. Diese Handhabe ist auch in der Türkei ungesetzlich. Niemand darf länger als 48 Stunden festgehalten werden, ohne einem Haftrichter vorgeführt zu werden.

Wer hat die regierungsnahe Presse die Pässe abphotographieren lassen und die Konspirationstheorie verbreitet? Die drei Syrer sind harmlose Flüchtlinge, Mohammads Freundin Charlotte lebte seit drei Jahren in Istanbul als Französisch-Lehrerin, die Deutsche Nora war Teil des Komşu-Café-Kollektivs. Das ist eine Gruppe, die sich nach den Gezi-Protesten 2013 im Stadtteil Kadıköy gebildet hat. Das Kollektiv betreibt ein Café, in dem auch Flüchtlinge arbeiten, und ist ein Anlaufpunkt für ein internationales Publikum. In den türkischen Medien war zu lesen, Charlotte und Nora seien während der Gezi-Proteste von ausländischen Geheimdiensten eingeschleust worden, um Unfrieden zu stiften. Was für ein fürchterlicher Rufmord, ganz davon abgesehen, dass die Frauen unfreiwillig aus ihrer Istanbuler Wahlheimat abgeschoben wurden und erst einmal, niemand weiß wie lange, nicht mehr einreisen dürfen.

Was passiert nun mit Mohammad, Ali und ihrem Freund Abdurrahman? Werden sie in einem Flüchtlingscamp zwangseinquartiert, gar nach Syrien abgeschoben? Auf den sozialen Medienplattformen gab es eine breite Solidaritätskampagne, die Mainstream-Medien schweigen mal wieder. Nur vereinzelt wurde diese Nachricht veröffentlicht und verschwand ganz mit der Abschiebung der Europäerinnen.

Ich hatte versucht, ein einflussreiches deutsches Online-Portal davon zu überzeugen, zu berichten. Leider erfolglos. Die deutsche Diplomatie schweigt ebenfalls, denn solange die Vorwürfe nur in den türkischen Medien kolportiert werden, gibt es noch keinen diplomatischen Konflikt. Ich frage mich, wohin führt so eine Außenpolitik? Konflikte vermeiden bedeutet auch, Unrecht zu billigen. Was ist der eigentliche Hintergrund? Nun, in der Türkei stehen Wahlen bevor. Die in der Wählergunst immer mehr verlierende AKP versucht mit Feindbildern den eigenen autoritären Führungsstil zu rechtfertigen. Ausländische Mächte haben die Gezi-Proteste geschürt?! Menschen wie Charlotte und Nora wurden von den Gezi-Protesten angezogen, um in einer internationalen Solidaritätsbewegung zu arbeiten. Jetzt werden sie zu Agenten stilisiert. Die Türkei wird international für ihre Aufnahme von Flüchtlingen gelobt. Gleichzeitig werden die in Camps lebenden Syrer mehr oder weniger eingesperrt, Ankara versucht gerade, mit amerikanischer und deutscher Unterstützung eine „Sicherheitszone“ in Syrien salonfähig zu machen. Dahin kann man dann all die lästigen Flüchtlinge abschieben. Ein zweiter Gaza-Streifen, wie perfide, dass Mohammad als Palästinenser einer der ersten Kandidaten sein kann, die als Aufrührer dort hin gebracht werden.

Es war kein schöner Anblick, heute vor dem Abschiebeknast zu stehen und zu dem Fenster hoch zu brüllen, in dem Mohammad und Ali sehr verloren standen. Sie haben kaum Nachrichten aus der Außenwelt, keine Rechte, wir können nichts für sie tun, außer Polizisten zu bitten, ihnen Zigaretten zu bringen. Wenn ich eine Krone verteilen dürfte, würden sie sie jetzt kriegen. Wen es interessiert, der möge sich den Kurzfilm anschauen, den Mohammad produziert hat. Bassel hat gespielt, Mohammad hat das Konzept gemacht und die Kamera geführt.

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