Rebell am Fuße der Zeit

Lack&Leder

Rebell am Fuße der Zeit

Der Schriftsteller Waldemor Klaus und sein Verhältnis zu Leder

von PR♕-Reporterin Ramona Ambs

waldemor

Hat es gern gemütlich: Schriftsteller Klaus in seinem „Schreibverlies“ (Klaus , lachend)

Waldemor Klaus lebt in einem kleinen chaotischen Kelleratelier in der Kollkewitzer Straße. Es riecht ein wenig muffig, als ich ankomme, und er entschuldigt sich: Seine Katze hat grade auf den Teppich gekotzt, und er muß erst mal wischen. Er bittet mich rein und lotst mich in seine Arbeitsecke. Ich setze mich zwischen Farbeimern, Staffeleien, Töpfen, Sprudelkisten und Büchern an seinen Arbeitstisch und schaue ihm zu, wie er den Teppich schrubbt. Schließlich wäscht er sich die Hände, zündet sich eine Zigarette an und setzt sich zu mir.

Seine Hände sind sauber

Waldemor schreibt schon seit 15 Jahren an seinem Epochenroman „Leder-Rebell“ und hofft, ihn bis 2018 beendet zu haben. Sein erstes Buch hat er erfolgreich verlegt und nicht mehr wiedergefunden. Deshalb konnte es bisher auch nicht erscheinen. „Aber es geht ja wohl um den Inhalt – und nicht um die Auflage“, erklärt Waldemor, „Literatur ist Literatur, wenn sie etwas zu sagen hat. Und nicht, weil sie in irgendwelchen Bestsellerlisten steht.“ Heute, in dieser schnelllebigen Zeit, wo alle nur nach raschen hohen Auflagezahlen schielen und echte Qualität ohnehin in der Masse untergeht, sei es sowieso besser, die Manuskripte in der Schublade zu lassen, bis die Zeit reif sei, meint Waldemor.

Über sein neues literarisches Projekt – und seine Schuhe, und was das eine mit dem anderen zu tun hat – will uns Waldemor dennoch etwas erzählen. Deshalb wandte er sich letzte Woche an uns Prinzessinnen, weil ihn die Reihe „Lack & Leder“ persönlich angesprochen hat. Für ihn seien Schuhe nämlich sehr wichtig – gerade beim schreiben. „Ich trage nur Schuhe von Fair-Clogs-Rangers. Die werden fair und ökologisch hergestellt und haben ein gutes Fußbett. Ich brauch‘ das Gefühl, ein guter Mensch zu sein, von Kopf bis Fuß. Nur dann kann ich selbst auch gute, wichtige und nachhaltige Texte schreiben!“ betont er und lacht verlegen, so, wie es gute Menschen tun, wenn sie sich loben müssen. Dann beugt er sich nach vorne und zieht die erste Seite seines Manuskripts hervor: „Schau!“ sagt er, „es geht um Harald!“ Und er beginnt von seinem Protagonisten zu erzählen.

Gute Menschen, gute Schuhe

Harald ist ein Schnürschuh. Aus festem Rindsleder. Ein Schuh, der 1918 in einer kleinen preußischen Schuhmacherei das Licht der Welt erblickt und aus seiner Perspektive die deutsche Geschichte nacherzählt. Harald wird innerhalb der Familie immer wieder vom Vater an den Sohn vererbt und wandert so von der Weimarer Republik durchs tausendjährige Reich bis hin zu den Studentenprotesten der 68er-Bewegung. „Harald ist zunächst ein klassischer Mitläufer“, scherzt Waldemor und lacht wieder sein verlegenes Lachen, „deshalb wird’s 68 auch Zeit für ihn, seine Position zu überdenken – aber ein echter Unterwanderstiefel wird er nicht mehr! Aber durchaus ein lederner Rebell“ Dann wird er ernster. „Harald hat die richtige Perspektive auf die Welt. Er sieht alles von unten, ist absolut bodenständig und hält viel aus. Er ist einfach eine ideale Identifikationsfigur.“

Die Rechnung zahlt der Wirt

Wie kommt man darauf einen Schuh zum Protagonisten zu machen? frag ich Waldemor. „Ich wollte einfach aus ein und derselben Perspektive weit über 100 Jahre Geschichte kommentieren können. Bei einer menschlichen Figur wär das schwierig geworden, wegen des Alterns, aber ein Schuh altert nicht! Ein Schuh ist ein treuer Begleiter durch die Stürme des Lebens und durch alle Zeiten!“ Waldemor hat recht. Ich habe die bisherige Bedeutung von Schuhen viel zu eng betrachtet – und nur auf meinen persönlichen Gebrauch begrenzt wahrgenommen. Aber Schuhe haben auch eine historische Dimension. Und ja, sie können auch Namen tragen, denn sie sind wahre Persönlichkeiten. Das habe ich heute von Waldemor und seinem Schuhprotagonisten Harald gelernt. Ich bin dankbar für diese Erfahrung.

Als ich mich verabschiede, höre ich erneut das Würgen der Katze. Offenbar hat sie zuviel Fell gefressen.

Dieser Beitrag wurde am 23. Februar 2015 veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink. 1 Kommentar

Ein Gedanke zu „Rebell am Fuße der Zeit

  1. Ich bin ja mehr so ein unter dem Leder Typ. Aber wie hier über die Umhüllung meiner geliebten Füsse gesprochen wird, beeindruckt mich schon sehr. Das sich mehr Literaten wieder, wie Waldemor, an ihre gestalterischen und interpretatorischen Freiheiten erinnern, wäre dem deutschen Kulturbetrieb zu wünschen. Einmal mehr ist den Prinzessinnenreportern zu verdanken, das aus dem kulturellen Saustall eine Perle geborgen wurde.
    Danke, danke

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