Funkstille für Rundfunkjournalisten!

Kein Ratgeber und keine Gewerkschaft bereitet Print-Journalisten auf Begegnungen mit Rundfunk-Journalisten vor – dabei sind Rundfunk-Journalisten (gut, nicht alle, aber manche) doch der Feind. Ein Plädoyer für mehr Arroganz im Umgang mit unverschämten Radioleuten von Printprinzessin Elke Wittich 

Es folgt eine Geschichte aus dem wahren Print-Journalisten-Leben, die sich Wort für Wort so zugetragen hat:

Das Handy klingelt. Dran ist eine sehr aufgeregte Frau, die sich kurz als für den WDR tätige Rundfunkjournalistin vorstellt und dann gleich zur Sache kommt.

„Es geht um Ihren Artikel über Schultüten.“

„Ja?“

„Das ist eine Unverschämtheit, die sind gar keine jüdische Erfindung!“

„Bitte?“

„Das steht aber so in der Unterzeile“

„Da steht ‚jüdischer Ursprung‘. Der Titel dagegen lautet ‚Reingeschaut. Süßes zum Schulbeginn‘ und der Text handelt genau davon. Für Überschriften und Unterzeilen meiner Artikel ist allerdings die Redaktion zuständig, bitte wenden Sie sich …“

„… und ich hab jetzt einen Beitrag über Schultüten als Bestandteil der jüdischen Kultur an die Redaktion „Zeitzeichen“ verkauft und nun sind die gar keine jüdische Erfindung, wie steh ich denn jetzt da?“

Wie jemand, der nur die Überschrift und die Unterzeile überflogen und gleich darüber ein wichtiges Feature verkauft hat, was ja nun aber wirklich nicht mein Problem ist. Mit anderen Worten:

„Tjo.“

Die aufgeregte Frau ist nun nicht mehr nur aufgeregt, sondern aufgebracht. Und schreit:

„Das ist eine Unverschämtheit! Das ist Irreführung!“

„Wie ich bereits sagte: Wenden Sie sich doch bitte an die Redaktion, mich interessiert das nicht.“

„Aber das muss Sie doch interessieren, und wie steht ich jetzt da und was mach ich …“

„Bitte, wenden Sie sich an die Redaktio…“

„Es ist Ihr Artikel und Sie sind damit auch für die Überschrift verantwortlich, irreführend ist das!“

Vielleicht hätte ich ihr sagen sollen, dass sie den Text einfach mal ganz lesen soll, und dann Interessantes über – aber ach was. Die Frau schreit noch immer. Selten habe ich mit größerer Freude aufgelegt – und so sehr bedauert, dass noch niemand eine „Hörer so laut aufknallen, dass es nur so kracht“-App erfunden hat.

Aberaberaber ist das nicht einfach nur ein Einzelfall gewesen? Nope. Hätte die aufgebrachte Frau den Artikel zu Ende gelesen, bevor sie das Thema verkaufte (was die meisten Rundfunk-Journalisten zugegeben tun), wäre das Gespräch zwar freundlicher, aber nur unwesentlich weniger unverschämt abgelaufen:

„Guten Tag, ich bin Frau Dingens vom wichtigen Rundfunksender Sowieso und ich habe mit großer Begeisterung Ihren Artikel gelesen. Ach so, nein, ich möchte Sie nicht interviewen, ich mache selber einen Beitrag zum Thema, könnten Sie so nett sein und mir die Kontaktdaten derjenigen geben, mit denen Sie gesprochen haben, danke. Nein, jetzt, können Sie nicht später Ihre Deadline einhalten/in Urlaub fahren/wasimmer, es ist wirklich dringend? Und super wäre es, wenn Sie mir eben sagen, welche Aspekte Sie für besonders wichtig halten, vielleicht so als kurze Gliederung.
Nein, Ihren Namen würden wir natürlich in dem Stück nicht nennen, das ist ja dann aussschließlich meine Recherche. Bezahlen? Nein sorry, das ist doch für Sie kein Aufwand, wenn Sie mir schnell die Kontaktdaten und eine kurze …“

Und deswegen nun fünf Punkte, die Printjournalisten im Umgang mit Rundfunkjournalisten unbedingt beachten sollten:

1. Rundfunkjournalisten verdienen mindestens das Fünffache von dem, was Du für Deinen Artikel mit den ganzen Originalrecherchen bekommen hast. Entweder geben sie Dir davon was ab oder sie sollen sich ihre Themen selber ausdenken.

2. Nein. Du wirst jemandem, der mit Deiner Arbeit Geld verdienen will (viel Geld, um genau zu sein) weder Kontaktdaten noch „Anregungen, wie man den Beitrag interessant gestalten kann“ (mit anderen Worten: Einführungstext-Vorschläge und Gliederung), geben. Neinneinnein. Wirklich nicht. Denn:

3. Sie werden Deinen Namen nicht nennen, sondern so tun, als sei das alles ganz allein ihre Idee gewesen und sie werden Deine kollegiale Hilfe zwar kaltlächelnd einfordern und annehmen, aber kein Infohonorar zahlen. 

4. Hörfunkjournalisten sind immer da, wenn sie Dich brauchen. Falls Du sie brauchst, haben sie leider keine Zeit oder melden sich später. Später heißt nie. Wir können solche Leute nicht leiden.

5. Sie sollen weggehen. Außer sie geben uns vom vielen Geld was ab und nennen unsere Namen.

Dieser Beitrag wurde am 16. Mai 2015 veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink. 9 Kommentare

9 Gedanken zu „Funkstille für Rundfunkjournalisten!

  1. Phantastischer Beitrag. Das passiert also nicht nur mir? Ufff! Dieselbe Erfahrung habe ich als Blogger zu einem Spartenthema x-fach mit Fernsehjournalisten und in einem Fall mit einer Redakteurin einer großer Zeitungen gemacht. Die haben sich von mir stundenlang kostenlos zum Thema briefen lassen, Kontaktdaten abgefragt und seitenweise Linklisten schicken lassen. Für Gottes Lohn! In einem Fall hat mich eine Spiegel-Journalistin zu Hause besucht, Einblick in und Kopien von exklusivem Material erhalten – ohne dass ich in dem darauf aufbauenden Artikel überhaupt erwähnt wurde. Von einem „Infohonorar“ o. ä. ganz zu schweigen!

    Inzwischen habe ich auch einen Strategiewechsel vorgenommen. Es ist beschämend, mit welcher Unverfrorenheit sich gut bezahlte Journalisten an der Arbeit von Bloggern bedienen!

    Danke!

  2. Hallo Frau Wittich,

    als Rundfunkreporter habe ich Ihren Artikel interessiert – und ein wenig beschämt – gelesen. Was die Kollegen da gemacht haben ist in der Tat peinlich für unseren Berufsstand.
    Aber ein paar kritische Anmerkungen hätte ich dann doch:
    1) Bitte verbreiten Sie nicht die pauschale Einschätzung, Radiojournalisten würden im Geld schwimmen. Möglich, dass es einige tun, aber die meisten von und kämpfen als Freie genauso verzweifelt wie viele der Printkollegen. Und reich, schon gar nicht zichfach reicher als Zeitungsleute, werden sie nicht.
    2) Leider sind zu viele Radiomacher themtisch reaktiv unterwegs, das stimmt. Aber das gilt nicht pauschal für alle Radiojournalisten, die Geschichten liefern. Radio ist nicht nur ein Zweitverwertungsmedium, wir finden auch eigene Themen – und inspirieren damit auch Printkollegen. Aber wenn man halt nur als „Nebenbei-Medium“ wahrgenommen wird…
    3) Printjournalisten zu sagen, sie sollen Radiojournalisten meiden, ist nicht sehr klug – denn irgendwann wollen sie vielleicht doch mal als AutorIn interviewt werden. Das möchten nämlich viele Ihrer Kollegen recht gerne. 😉

    Beste Grüße,
    Sebastian Schöbel (rbb)

  3. Ich hatte so etwas ähnliches mal zwischen Online-Video und Radio. Ein Radiosender hat einfach den Offtext eines unserer Videos transkribiert und als eigene Meldung über den Sender vorgelesen. Dummerweise war der Text eindeutig als unserer zu identifizieren. Da waren recht originelle Wortschöpfungen von uns drin. Das konnte kein Zufall sein. Der Chefredakteur des Radiosenders hat sich später bei uns entschuldigt.

  4. An dieser Stelle … möchte ich mich selbst in Schutz nehmen. So etwas (nur die Überschrift lesen / Kontaktdaten einfordern) nie machen. Ich habe aber schon mal Kontaktdaten weitergegeben. An einen Printjournalisten! Hell, yeah! Aber vielleicht liegt es daran, dass ich fürs Radio UND für Zeitungen arbeite. Und bei beden jetzt nicht unbedingt Reichtümer verdiene. Außerdem natürlich ein netter Mensch bin.
    Und jetzt zum eigentlichen Teil: Könntest Du mir sagen, welche Journalisten Dich da beschimpft haben bzw. versucht haben, Deine Infos abzusaugen? Aus der Geschichte würde ich nämlich gerne ein gut bezahltes Feature machen 😉

  5. Ich füge Punkt 6 an:
    Wenn ihr abschreibt und die Recherche anderer Leute benutzt, nicht einmal die Quellen nennt und auch nichts an Bezahlung zukommen laßt, dann schreibt wenigstens richtig ab. Manche sind nicht mal in der Lage, Sachverhalte korrekt und zusammenhängend wiederzugeben.

  6. Aus eigener Erfahrung kann ich sahen, dass das Umarbeiten von Geschriebenem im Rundfunk keine Ausnahme, sondern die Regel ist. Da braucht der Moderator noch ne bunte Meldung, damit die Sendung nicht gar so langweilig ist und bedient sich eben bei Videotext (früher) oder im Netz (heute). Eigene Recherche gilt im Rundfunk vieleorts schon lange als zu teuer.. Diebstahl ist da eben billiger.

    Der rundfunkrechtlich vorgeschriebene Wortanteil soll möglichst nichts kosten. Der Privatfunk existiert doch nur noch deswegen, weil hier das Programm so billig ist und auf billige Volontäre oder unbezahlte Praktikanten zurück gegriffen wird.

    Es würde die Qualität des Radioprogramms daher verbessern, wenn Blogger und Printkollegen es genau so machen würden, wie der obige Text skizziert.

  7. Alle fümpf Forderungen sind sehr richtig!
    Und ich möchte noch an folgenden Harry Rowohlt-Ausspruch erinnern: „Der Unterschied, sage ich immer, zwischen Journalisten und Rundfunkjournalisten besteht darin, daß Rundfunkjournalisten nicht wissen, wann man „daß“ mir „ß“ schreibt. Und der Unterschied zwischen Fernsehjournalisten und Rundfunkjournalisten, füge ich dann immer hinzu, besteht darin, daß sie nicht wissen, wie man es schreibt.“

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