Mein treuer Gefährte

Rad & Tat: Lord Harold und sein Matthew

Der silberne Drahthengst Matthew und ich – eine Ode aufs Fahrrad.
Von Lord Harald Nicolas Stazol

„1993/94 Deore XT/LX mit Grip Shift“, so heißt mein Fahrrad. Nein, eigentlich heißt es Matthew. Matthew ist ein Mountainbike, silbern, ohne Aufschrift, aufwendig verschweißt mit einer genialen Gangschaltung – man dreht die Handgriffe zu 24 Gängen. Er bringt mich getreu zum Zigarettenkiosk und zu Budnikowsky und wohl auch bald zu Aldi. „1993/94 Deore XT/LX mit Grip Shift“ ist nur sein Familienname, sein Stammbaum sozusagen. Es ist eine gute Familie, 2.000 Mark hat er mal gekostet, darauf sind wir noch heute stolz.

Der, der das weiß, und zwar auf den ersten Blick auf ein Iphone-Photo, ist Rocco Oliver Griem, seines Zeichens Besitzer des über ganz Mecklenburg bekannten Buddha Bikes Shop im schönen Wismar an der Ostsee, wo ich viele Freunde habe, in der wunderbaren renaissancierenden Stadt. Er ist ein unangefochtener Spezialist, ein Liebhaber und Experte, der gerne einmal an einer Gangschaltung aus den Siebzigern von einer Tour-de-France Rennmaschine herumschraubt.

Rocco meint, mein Bike passe nicht zu mir. Doch zunächst: Es darf natürlich NICHT draußen stehen, ausgesetzt den Elementen, und „du musst es in den Fahrradständer stellen, am besten mit dem Hinterrad, damit das vordere nicht verbiegt“. Rocco liebt Fahrräder. Und ich liebe Matthew.

Und er liebt mich auch. 20 Jahre stand er offenbar unbeachtet und ohne Schloss in unserem Fahrradkeller, blinkte verschämt, mit charmantem Sattel und lila Chrombremsen. Es war Liebe auf den ersten Blick. Irgend jemand musste ihn beim Umzug vergessen, ja verlassen haben.

Erst kettete ich ihn an, das heißt, ich halfterte den edlen Drahtesel an seine Stalltür, ihn leise streichelnd, flüsternd, fast erotisiert, „I will ride you out“. Wir werden ausreiten. Und ist da nicht in der Hamburger Kunsthalle Renoirs „Morgendlicher Ausritt im Bois de Boulogne“? Maman, ich nenne sie Marquise Nina de la Christine, eine gefeierte Schönheit der Belle Èpoce (nie malte er schwarz, immer war es ein tiefes, tiefes Blau, unerreicht), die Marquise im Damensattel, le petit fils, wir wollen ihn Armand nennen auf einem dicken Pony daneben, beide Pferde silbern wie Matthew, aber er ist viel leichter, eleganter, stromlinienförmiger, fast wie die Hindenburg – und ähnlich sicher und gemächlich. Durch seinen Sportlenker verleiht er mir, seinem treuen Gefährten und heimlichen Geliebten, eine ähnliche sportive Eleganz  (Matthew liebt Handschuhe, zu denen ich andernorts bereits einige Zeilen niederlegte) wie ein ungleich teurerer Jaguar E-Type in Weiß oder ein Mercedes-Flügeltürer. Wenn wir zusammen ausreiten, bestaunen uns sogar die Deppen am Siemersplatz, auf den 5er Bus wartende junge Hockeyspieler. „Er trägt ihn sicher“, heißt es im Erlkönig, das gilt für mich, und „er hält ihn warm“ gilt von mir zu ihm, so spricht Goethen, und so tuscheln wir uns an der Ampel zärtlich zu.

Am Samstag geht es zu Madame Jacob, wir lieben kurze Strecken, und dann weiter zu Lord Vincent of St. Janno, Baron Warstat, zu einem Herrengedeck, Espresso Doppio und Carlos I. in großen, vorgewärmten Cognacgläsern. Zurück fahren wir, ach nein, wir gleiten, an St. Aldien vorbei und an Oddernscamp House, dort verschnaufe ich gerne bei Gladis, Lady Oddernscamp, bei einer Tasse Tee und Scones ihrer schottischen Köchin Edda und höre den neuesten Tratsch aus der Gesellschaft und aus Whitehall und dem Palast, während Matthew wartet und vom Chauffeur ihrer Ladyschaft neben dem Rolls Royce Phantom V ihres Gatten Lord Anthony Frickstreet liebevoll auf Hochglanz poliert und natürlich geölt wird. Dann aber ab nach Hause!

Und am Sonntag, meist nach dem Tee, wenn die letzten Gäste gegangen sind aus Darlington Hall, reiten wir noch einmal gegen Sonnenuntergang. Wenn seiner Lordschaft die Davidoff ausgegangen sind. Matthew und ich sind sehr glücklich.

 

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Dieser Beitrag wurde am 7. Februar 2019 veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink. 1 Kommentar

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