Mit dem Taxi nach Havanna

Martin Krauß, royaler Korrespondent

In den aktuellen Debatten um seriösen Journalismus wird zuwenig über die Rolle der Redaktionen gesprochen.

Von dem royalen Sportreporter und Medienbeobachter Martin Krauß (Kreuzberg / Havanna)

Lange habe ich mit mir gerungen, ob ich das veröffentlichen soll, aber der Taxifahrer, der mich vom Supermarkt, wo ich gerade einen Liter fettarme Milch gekauft hatte, nach Hause fuhr, ermunterte mich mit seiner burschikosen Art, die ja so viele Berliner Droschkenkutscher auszeichnet.

An drei kleine Geschichten denke ich manchmal zurück, wenn ich die vielen Wortmeldungen zu ethischen Maßstäben im Journalismus lese. Es geht um drei Geschichten, die von mir stammen und die vor etlichen Jahren in je unterschiedlichen Tageszeitungen erschienen sind.
Einmal hatte ich einen Hintergrundartikel geschrieben zu Bemühungen diverser Länder, Formel-1-Rennen zu veranstalten. Libanon und Kuba waren damals im Gespräch, und ich hatte diverse seltene Materialien – exklusiv waren sie nicht, aber schon selten -, die mich dazu brachten, das vor allem am Beispiel Kuba aufzuschreiben: Warum es in den neunziger Jahren etlichen Ländern attraktiv erschien, eine Formel-1-Strecke zu erbauen. Eine meiner Abnehmerzeitungen druckte Autoren- und Ortsmarke: „Martin Krauß, Havanna“. Hm. Ich war nicht in Havanna gewesen, hatte das alles aus Berlin recherchiert und wunderte mich. Schlimm fand ich es nicht, an einen Verstoß gegen Medienethik dachte ich schon gar nicht. Aber Stolz empfand ich auch nicht. Und sonderlich professionell fand ich das Verhalten der Zeitung auch nicht.
Ein zweites Mal hatte ich eine Reportage über den Berliner Fußball, speziell Hertha, geschrieben, die damals entweder einen Höhenflug hatte oder in der Krise steckte – ich hab’s vergessen. Auch hier, wie zur Formel-1 auch, ging der Text an etliche lokale und regionale Blätter, für die ich damals schrieb; ich war so eine Art freier Sportkorrespondent aus Berlin und neue Länder, der einen gar nicht so kleinen Bauchladen an Blättern bediente. Eine Zeitung veröffentlichte meine Reportage mit einem vom Redakteur verfassten Einstieg, wo ein Taxifahrer über die Wahrnehmung Herthas in Berlin sprach. Ein Taxifahrer war in der von mir verfassten Reportage nicht vorgekommen, ich hatte mit keinem geredet, und mir kam es auch recht unglaubwürdig vor, dass ich, als in Berlin lebender freier Sportjournalist, mit dem Taxi ins Olympiastadion fahren sollte, um mich beim Fahrer über Hertha zu informieren. Aber, wie schon bei der Formel-1, richtig schlimm fand ich es nicht, allenfalls kurios. Und ein bisschen peinlich war’s mir auch. Professionell kam mir das Verhalten der Zeitung, also des zuständigen Redakteurs, nicht vor.
Mein drittes Beispiel ist der Bericht von einer Konferenz zu einem sporthistorischen Thema in Berlin. Da hatte ich, für ein solches Thema ungewöhnlich, recht viele Aufträge: überregionale und regionale und lokale Blätter, und die großen überregionalen (eine im Inland, eine im Ausland) bediente ich mit exklusiven Texten, die regionalen und lokalen erhielten die üblichen Bauchladenmanuskripte. Das auseinanderzuhalten, machte ich zwar recht oft, fiel mir aber immer schwer – ich musste schließlich aus einem Ereignis zwei oder drei Berichte zimmern, die alle dem Ereignis gerecht werden und zugleich sollte es keine Texte besserer oder schlechterer Güte geben. Ob mir das da gelang, vermag ich nicht zu sagen, jedenfalls hatte eine Regionalzeitung, die meinen Bericht nahm, sich beim Redigieren fleißig aus anderen Quellen bedient und mir – neben den von mir zitierten Gesprächspartnern – noch mindestens einen Zeitzeugen reingeschmuggelt, den ich auf dieser Konferenz nicht gesprochen hatte. Die Zitate von ihm waren aus anderen Quellen – ich glaube: im Netz auffindbare Artikel – entnommen, also nicht erfunden, aber: Da wurde so getan, als hätte ich mit ihm gesprochen, aber das hatte ich halt nicht. Das fand ich, ehrlich gesagt, dann doch ein bisschen schlimmer und ärgerlicher als die zwei anderen gezeigten Fälle, aber so war’s halt.
Diese drei Geschichten sind mir eingefallen, wenn ich – wie heute in der taz über den Kollegen Dirk Gieselmann – Texte lese, die das Einhalten medienethischer Standards von Journalisten verlangen. Dieses zu verlangen, ist ja völlig richtig – doch darum geht es mir hier nicht.
Ich möchte nur auf eine (frühere und vermutlich noch aktuelle) Praxis in Redaktionen aufmerksam machen, nicht sehr sorgsam und respektvoll mit der Arbeit freier Journalisten umzugehen. Wenn dann, wie es jetzt im Falle Relotius (und wohl auch, ganz habe ich es nicht verstanden, im Falle von Gieselmann) zu Nachrecherchen kommt, ob denn an den Storys, wie sie im Blatt standen, alles stimmt, fände ich es doch wichtig, zu überprüfen, ob die Erfindung und Verfälschung wirklich durch den Autor geschehen ist.
Ich jedenfalls war in den Neunzigern nicht in Havanna, bin nicht mit dem Taxi ins Olympiastadion gefahren, und mit allen Zeitzeugen einer wichtigen sporthistorischen Konferenz habe ich damals auch nicht gesprochen.

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Dieser Beitrag wurde am 7. März 2019 veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink. 8 Kommentare

8 Gedanken zu „Mit dem Taxi nach Havanna

  1. Misere und Hybris der Qual.medien beginnen bei den Qual.redaktör_innen – danke, daß Martin Krauß dies in seinem eigenen Fall mal für die Laien aufgeschrieben hat.
    Ich könnte jetzt eigene Anekdoten beisteuern. Aber darüber muß ich erst mal mit dem Taxifahrer meines Vertrauens sprechen. – Jedenfalls ein großes Dankeschön an Martin Krauß für diesen feinen, keineswegs polemischen Text!

      • Zum Verständnis. Ich habe Schwierigkeiten mit dem Lesen längerer Texte. Thematisch orientierte Absatzwechsel erleichtern mir das Verständnis, und fallweise führt das Verständnis zu Erkenntnisgewinn.

        Zum Grundsätzlichen. Es geht das Gerücht, dass der Internet-Leser sich maximal 5 Gegenstände einer Seite merken kann. Das Gerücht ist haltlos. Es sind maximal 1-2 Gegenstände. An dieser Stelle kommt der Absatzwechsel ins Spiel. Er hilft, die Themenwolke in Wölkchen zu unterteilen. Dann kann sich der geneigte Leser aussuchen, welche zwei (von vorliegend drei) Erlebnissen er verinnerlichen will.

        Soweit ok? Mehr Fragen?

    • „Falsch“ – besser: mißverständlich – ist, wenn Sie etwas im Konjuktiv formulieren, was Sie indikativ meinen. Ich wünsche mir jedenfalls und jederzeit, daß eine/r sich nicht wünscht, etwas gewünscht zu haben.
      Und mehr möchte ich dazu nicht zu sagen gemocht haben. KS

      • Verstanden. Meine Philosophie ist anders. An manchen Stellen ist die Deutsche Sprache – korrekt angewendet – holperig. Letztgültiges Kriterium ist mein Bauchgefühl.

        Beispielsweise benutze ich sehr bewusst „wegen“ mit Dativ statt Genitiv. Also nicht „wegen des“, sondern „wegen dem Umstand“, dass ich auffiele (beziehungsweise auffallen würde).

        Weiterhin bin ich kommafest, verletze die Regeln aber von Fall zu Fall. Übrigens erlaubt der Duden mittlerweile gewisse Freiheiten.

        Um mich selbst zu zitieren: die Deutsche Sprache ist kein Felsen, sondern ein Fluss.

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