KONTRAFAKTUREN (4)
Hofpoet Martin Jürgens seziert Hausdichter der Deutschen
Im Grase
Glocken und Zyanen,
Thymian und Mohn.
Ach, ein fernes Ahnen
hat das Herz davon.
Und im sanften Nachen
trägt es so dahin.
Zwischen Traum und Wachen
frag ich, wo ich bin.
Seh die Schiffe ziehen,
fühl den Wellenschlag,
weiße Wolken fliehen
durch den späten Tag –
Glocken und Zyanen,
Mohn und Thymian.
Himmlisch wehn die Fahnen
über grünen Plan:
Löwenzahn und Raden,
Klee und Rosmarin.
Lenk es, Gott, in Gnaden
nach der Heimat hin.
Das ist deine Stille.
Ja, ich hör dich schon.
Salbei und Kamille
Thymian und Mohn,
und schon halb im Schlafen
– Mohn und Thymian –
landet sacht im Hafen
nun der Nachen an.
Josef Weinheber
Lürik und Botanik
„Ich will nicht ein Lyriker sein, ich
will ‚der‘ Lyriker sein. Wenn Lyrik gesagt wird, soll es Weinheber heißen (…)“
Weinheber 1926
Ein Dichterfürst, ein völkischer,
Aus der Hauptstadt Österreichs: Er
Liegt im Gras und läßt sich gehn und
Fragt sich „zwischen Traum und Wachen“,
Wo er sei, und fühlt in einem „sanften Nachen“
Sich und siehe da: Es senken Blumennamen
Sich auf ihn herab und nicht zu knapp:
„Glocken und Zyanen, Thymian und Mohn“,
„Löwenzahn und Raden, „Klee und Rosmarin“,
„Salbei und Kamille“.
Wo solche Blumenfülle blüht, da ist
Der liebe Gott nicht fern und
„Himmlisch wehn die Fahnen“.
In Rufnähe ist ER dem Ich, das seinen
Hafen sucht in seinem Blumenboot:
„Lenk es, Gott, in Gnaden
nach der Heimat hin.“
Wer so brav zu bitten weiß,
Der wird erhört. Die letzten
Zeilen sagen es: In der
Stille seines Herrn findet dieses Ich,
Das lürische, zum Inbegriff des
Blumigen: zu sich.
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