Kuchen sollst Du suchen!
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Ein Glückwunsch von Bernhard Torsch.
Wenn sich erst mal Kunsttheoretiker, Kulturwissenschaftler und Leute, die ansonsten unverständliches Angeberkauderwelsch in Ausstellungskataloge oder elitäre Hirnwixermagazine schmieren, mit einem befassen und einen im Zuge gut gemeinter Erklärungsaufsätze zum Objekt ihrer Sprachvernichtungen machen, muss man sich als Rockmusiker entweder die Kugel geben oder Bob Dylan sein, denn wenn man Bob Dylan ist, dann ist es einem egal, dass sich sogar in der Klagenfurter Universitätsbibliothek, gut versteckt in der Anglistikabteilung, eine Magisterarbeit über die „Surrealen Elemente in den Texten Bob Dylans“ findet.
Mit akademisch verpeilten Kindern aus gutem Hause, die jedes Bein anspringen, von dem sie annehmen, es gehöre zu einem, der ist, was sie nicht sein können, und sich dann so lange daran reiben, bis sie ein unlesbares Buch oder einen verschwurbelten Artikel ejakuliert haben, musste sich Dylan schon früh auseinandersetzen, und dass ihm das lästig war, ließ er die Welt auch wissen: You’ve gone to the finest school all right, Miss Lonely / But you know you only used to get juiced in it. Er war noch keine 22 Jahre alt, da sollte er schon „die Stimme seiner Generation“ sein, ein „Prophet“ gar, und alle, alle wollten sie ein Stück von ihm haben, nahmen ihn in ihre Parteien und Debattierclubs und Sekten und „Movements“ auf, ohne ihn zu fragen, und trugen seine frühen Songs vor sich her wie ein süditalienisches Dorf die mumifizierte Zehe ihres lokalen Heiligen bei einer Prozession, die von der Kirche zu den Weinkellern führt. Ein gutes Gefühl für das Dorf, für die „Bewegung“, aber letztlich heidnisch, unheilig, naiv.
Natürlich kam dann das erste große Nichtverstehen der Nixblicker, als Dylan der US-amerikanischen Folkszene, dieser Ansammlung von dauerempörten Halbtalenten, entwuchs und, ausgestattet mit einem messerscharfen Modebewusstsein, das ihn auch optisch zur hippsten Person des Universums machte, die Kraft seiner alles bislang in der Populärkultur Dagewesenen übertreffenden Sprachvirtuosität mit jener des Rock´n Roll verband und zusammen mit Musikern, die kapierten, was er kapierte, durch Amerika und England donnerte, so unaufhaltsam wie die Zeiten, die sich trotz des Beharrungswillens der Linken, Rechten, Lechten und Rinken änderten.
Die konservativen Progressiven buhten ihn aus, nannten ihn „Judas“, denn für sie war ein rockender, sonnenbebrillter engjeanstragender Dylan in etwa das, was die Gentechnik für angebliche „Grüne“ heute ist: Unverständlich, daher unheimlich und deswegen abzulehnen, so rein vom Buchgefühl her, welches bei diesem Menschentyp ja bekanntermaßen das Denken ersetzt.
Dylan hat das nicht gestört, er hat, ganz im Gegenteil, die Verwirrung der Dummen sogar genossen. Er spielte aber den empörten Unverstandenen und ließ genussvoll seine ätzende Ironie auf die Unbedarften los, die nicht ahnten, dass hier einer mit ihren Erwartungshaltungen und Vorurteilen spielte wie es sonst nur Meister des Neurolinguistischen Programmierens können. Man höre zB jenes Bootleg von seiner England-Tournee aus dem Jahr 1966, auf dem er, völlig bedröhnt von mindestens drei illegalen und zwei legalen Drogen, in Richtung Publikum nuschelt: „I ain´t gonne play any more concerts here in England. Because the english papers called the following song a drug song. This is not a drug song“.
Und dann spielt er das beste Lied aller Zeiten, den Drogensong „Visions of Joahnna“, der aber noch viel mehr ist, nämlich der Paradevertreter von Dylans damaliger Stream-of-Consciousness-Poesie, die den Hörer mitnahm auf einen Trip in eine Welt voller wunderschöner Metaphern, erleuchtender Gedankenblitze und Sprachbilder, die, und hier stimmt die Phrase, das Bewusstsein des Hörers erweiterten. „Judas“, brüllte ein dummer Mensch in Richtung Bühne. „I don´t believe you, you´re a liar“, konterte Dylan, und bat seine Band, „Like A Rolling Stone“ doch bitte „fucking loud“ zu spielen. Soweit die schöne Legende. In Wirklichkeit war es Robbie Robertson, der Gitarrist der Band, der die Empörung seines Chefs in die Aufforderung zum Lautspielen fasste.
Dann verstummte Robert Zimmerman, als der Dylan einst geboren worden war, nach einem Motorradunfall für fast zwei Jahre und sah zu, wie die ganze Welt plötzlich die Musik hörte, die er als Erster gemacht hatte, und die Drogen nahm, die er genommen hatte.
Und während sich tout le monde LSD einwarf und erst die psychedelische Majestät von „Blonde On Blonde“ zu begreifen begann, was sich unter anderem darin äußerte, dass dieses Dylan-Doppelalbum von 1966 an allen Kunst-Unis, auch an jener in Wien, wo die Fantastischen Realisten den Aufstand gegen gerade Linien wagten, auf Dauerrotation gesetzt wurde, antwortete Dylan auf Briefe von Johnny Cash und veröffentlichte zum Entsetzen der „linken“ Hippies nicht nur eine gemeinsame Platte mit dem als „reaktionär“ verleumdeten Man in Black, sondern spielte auch Solowerke ein, die stark vom Country beinflusst waren. Wer gerade noch zu „Subterranian Homesick Blues“ abgespaced war, verstand nun den neuerlichen Schwenk Dylans ebenso wenig, wie die Folkies Dylans Wechsel zum Rock kapiert hatten. Jimi Hendrix und andere verstanden sehr wohl, und kaum waren der Spott und der Hohn, die über den angeblich fortschrittsfeindlichen Dylan ausgegossen wurden, verklungen, griff schon eine ganze neue Generation von Musikern Dylans Faible für traditionelle Americana auf und wurde damit extrem erfolgreich. Dreimal schon hatte sich der schmächtige Gigant gegen Trends gestellt und damit die Musikwelt revolutioniert.
Drei Revolutionen angestoßen zu haben, das ist mehr, als alle anderen, die sich als Revolutionäre fühlten und fühlen, jemals geschafft haben, aber Anfang der 70er Jahre war die Musikpresse, im Gleichschritt mit all den anderen Hinterherrennern und Nachplapperern und Wenigdenkern, immer noch gefangen in der idiotischen, von Dylan längst als überholt entlarvten Zwangsvorstellung, wonach Musik danach bewertet werden müsse, ob sie dem politischen Mainstream entspricht, also „politisch korrekt“ bzw. „relevant“ ist, oder eben nicht und dann dem Reich des Bösen zugeordnet werden muss. Der Regisseur Sam Packinpah war einer, der Dylan verstanden hat, weshalb er Herrn Zimmerman auch bat, den Soundtrack zu seinem Western „Pat Garret and Billy The Kid“ zu schreiben. Das war ein Männerfilm, so wie Dylans Lyrik immer Männerpoesie war, keineswegs frauenfeindlich, aber eben der Tatsache bewusst, dass Männer die Welt teilweise anders wahrnehmen als Frauen. Übrigens etwas, was schon Italian Poets from the 13th century wussten…
Einmal noch konnte Dylan bei den Bauchlinken punkten, als er sich im Song „Hurricane“ für den seiner Meinung nach unschuldig eingesperrten schwarzen Boxer Rubin Carter stark machte, und zwar ganz im Stil seiner frühen Protestsongs. Und auch die zwei Ehekrisenplatten „Blood On The Tracks“ und „Street Legal“ wurden mit großem Wohlwollen aufgenommen. Nicht ganz zu Unrecht, betrachtet man das großartige Songmaterial auf diesen Scheiben, das in dem unfassbar deprimierenden, aber dennoch trotzigen „No Time To Think“, in dem Bob eine Art Generalabrechnung mit Kapitalismus und Realsozialismus vornahm und, als ginge es um sein Leben, für die Würde des zwischen den Extremen verrückt gemachten Menschen sang, seinen Höhepunkt fand. Nie zuvor und auch nicht danach hat Dylan sein Mitgefühl für die „bedrängte Kreatur“ so klar und direkt und poesiegewaltig ausformuliert.
Dann….ja dann wurde Herr Zimmerman spirituell neu geboren, mutierte also zum „born again christian“, und schockte als Vertreter einer ultrakonservativen Auslegung des Christentums nicht nur seine durchwegs nicht sonderlich religiösen Fans, sondern auch seine jüdische Familie. Jahrelang gab er den Hardcorechristen, drohte zum Entsetzen seiner Interviewpartner und seiner Anhänger Schwulen mit dem ewigen Höllenfeuer und veröffentlichte gleich drei Platten nacheinander, die sich alle mit dem tollen Wirken des Christengottes befassten (und mit der Ausnahme von „Slow Train Coming“ musikalisch nicht gerade zum Besten gehörten). Kaum jemand sah genau hin, denn dann wäre es vielleicht dem einen oder anderen aufgefallen, dass der Mann, der da evangelikanen Quatsch von sich gab und brav geschnittene Anzüge anhatte, an seinen Füßen immer noch Schuhe aus Schlangenleder trug. Vermutlich hat sich Dylan in diesen Jahren bei der Lektüre der ihn verdammenden Artikel in der progressiven Presse so amüsiert wie nie zuvor.
Ernst machte er erst wieder 1983, und zwar mit dem Album „Infidels“, das zwar seinen Abschied vom christlichen Fundamentalismus markierte, aber die Dummlinken unter seinen Fans noch schlimmer verunsicherte als es seine pseudoreligiösen Gospelausflüge getan hatten.
Denn während es in der „linken“ Szene zum schlechten Ton geworden war, Israel zu verfluchen und sich auf die Seite der Araber zu schlagen, ergriff Dylan so pointiert und eindeutig Partei für den Judenstaat, dass man seinen Song „Neighbourhood Bully“ als das bis heute gedanklich klarste und politisch redlichste Lied, das jemals über den Nahostkonflikt geschrieben wurde, sehen muss. Da gibt es kein Heurmgeeiere, kein Anheischen an den pseudoliberalen Mainstream, sondern einfach eine klare, nachvollziehbare und, bei Betrachtung der Fakten, einfach wahre Beurteilung der Lage Israels. Bob Dylan ist übrigens, schenkt man den Interviews seit 1980 Glauben (und, wichtiger: hört man sich die Texte genau an), ein spiritueller Mensch, der aber keiner organisierten Religion angehören mag, sondern die Nähe zu „Gott“ in der Musik fühlt – eine Herangehensweise an das Metaphysische, die er mit vielen Musikern teilt. Im wirkliche Leben, also abseits der Bühnen, der Masken und der Ironie lebt Dylan eine ganz normale jüdische Identität.
Seit Dylan Musik macht, fühlen sich unmusikalische Menschen bemüßigt, immer wieder Unsinn über seinen Gesangsstil zu schreiben. Von „Krächzen“ wird da berichtet, oder von „Näseln“.
In Wahrheit gehört Dylan zu den besten und stilprägendsten Sängern, die die Rockmusik hervorgebracht hat.
Aber Leute, die von Musik soviel verstehen wie ich von Quantenphysik, von den ersten Kritikern in den 60er Jahren bis zu heutigen Kollegen, haben nie realisiert, dass ein Rocksänger nicht mit denselben Maßstäben zu messen ist wie ein Angestellter der Wiener Oper. Und hier kommen wir wieder zum Anfang dieses Beitrags: Die Dämlacke und Klischeeliebhaber müssen Dylan in ihre viel zu kleinen Schubladen stecken, weil sie nicht begriffen haben, was dieser Mensch hervorgebracht hat. Sie dummschreiben etwas daher vom „Hippie“ Dylan, obwohl der nie ein Hippie war, und sie stellen Dylan in eine Gegenposition zum von ihnen, diesen Amateuren, so verehrten Punk, ohne auch nur eine Ahnung davon zu haben oder haben zu wollen, dass Dylan die Musikwelt in den 60ern wesentlich härter aufgerüttelt hat, als es der Punk in den 70ern tat.
Aber, und auch das haben wir ja schon festgestellt: Ein Bob Dylan steht da drüber und es ist ihm auch wurscht, ob er nun den Literaturnobelpreis bekommt oder nicht, oder ob irgendein Wicht seine jeweils neueste Platte als „gut“ oder „schlecht“ in seine knapp bemessene Schachtel steckt. Er macht einfach weiter, veröffentlicht gute bis sehr gute Musik und spielt immer noch gern live.
Happy 75th birthday, Bob!