Ein Doppelporträt aus Anlass der Erinnerungen Rita Bischofs an die kritische Theoretikerin und Surrealistin Elisabeth Lenk. Von unserer Gastprinzessin Ilse Bindseil
Am 16. Juni 2022 ist Elisabeth Lenk gestorben und am 29. Juli auf dem Alten St. Matthäus Kirchhof in Berlin Schöneberg bestattet worden. In der schlüssigen Charakteristik Rita Bischofs, die ihr ein Leben lang verbunden war und für sie den Nachruf geschrieben und die Trauerrede gehalten hat*, war sie kritische Theoretikerin und Surrealistin, in Städtenamen übersetzt sowohl Frankfurterin als auch Pariserin, in Personen ausgedrückt Adorno-Schülerin und Breton-Adeptin, dabei selbständig und eigensinnig, sonst hätte Adorno ihr auf ihre Fourier-Arbeit hin nicht vor Begeisterung einen „Liebesbrief“ schreiben und die Surrealisten hätten sie nicht wegen „situationistischer Abweichungen“ aus ihrem Fanclub werfen können. Sie war eben, in den Worten Rita Bischofs, „anarchisch“.
Mir steht es nicht zu, auch nur einen Satz über Elisabeth Lenk zu schreiben, die nach ihrer von Rita Bischof übermittelten Selbstaussage eher 62igerin als 68igerin war und um exakt die wenigen Jahre älter als ich, die sie mir einerseits in unerreichbare Ferne, andererseits in eine erdrückende Nähe rückten, kurz denen an die Seite stellte, von denen ich mir sagte: Wenn du – nämlich ich – in deinem Leben jemals etwas zustande bringen solltest, dann wird es etwas Ähnliches sein wie das, was die zustande gebracht haben. Also musst du so tun, als hätte es sie nie gegeben, sonst wirst du – nämlich ich – aus der geduldigen Rezeption, dem unermüdlichen Nachvollzug nie herausfinden. Ist das verständlich?
Rita Bischof, selbst kritische Theoretikerin ohne Fehl und Tadel, sofern man nicht ihr Geschlecht als eine Abweichung von der Frankfurter kritischen Norm verbuchen will, verkörpert für mich die von der Idee des Feminismus befreite Frau beziehungsweise den von seiner Idee befreiten, wirklichen Feminismus. In ihren Plaudereien über die gemeinsam mit Elisabeth Lenk verbrachte Zeit, in denen sich Theoretisches und Anekdotisches mischt, ist mir die feministische Forderung nach Gleichheit und Eigenheit nicht als Soll-, sondern als Ist-, um nicht gar zu sagen als Seins-Bestimmung begegnet, befreit von den angeblich motivierenden, für mich dagegen erstickenden Modi des Wollens und Sollens, des Möchtens und Verlangens, dank reiner Selbstbezüglichkeit auch frei von dem mir verhassten Appell an andere, von der Vorwurfs- und Schuldzuweisungsstruktur, die manches feministische Emanzipationsbestreben unterfüttert und ihm, das doch strahlend schön und selbstbewusst sein sollte, ein klägliches Aussehen verleiht. Bündiger kann man diese radikale Ist-Bestimmung nicht ausdrücken als jener Möbelpacker, der in die Trauerrede hineingewandert ist, weil er, nachdem er einmal kurz hintereinander die Wohnung von Elisabeth Lenk und die von Rita Bischof betreten hatte, mit Blick auf die Masse der Bücher äußerte: Verstehe, die Damen haben dasselbe Hobby.
Was es heißt zu sein, anstatt zu wollen, dafür gibt Rita Bischof in ihrer Rede ein Beispiel, das mitten in die Männerwelt von anno dazumal hineinführt, in der die Vorstellung vom Interesse ausgebildet und dem Genie und dem Rationalisten, dem Ingenieur und dem Künstler zugeordnet und damit das bürgerliche dichotomische Weltbild von Mann und Frau geprägt wurde. Elisabeth Lenk und sie seien „in ständigem Gespräch miteinander“ gewesen, berichtet sie. „Das konnten manchmal auch surrealistische Dialoge, dialogues de sourds sein, wenn jede von ihrem Thema so besessen war, dass sie gar nicht mehr zuhörte, was die andere sagte, sondern unbeirrt nur den eigenen Faden abrollte. Aber auch darin verstanden wir uns blendend.“ Selbstvergessenheit, nicht, wie es ihrer Generation entsprochen hätte, als Opferkategorie, Synonym für Hingabe an den Mann, den Vater, den Kameraden, auf dass der, sich seinerseits vergessend, seine Zwecke verfolgen konnte, sondern als Ausdruck eigener ungeteilter Interessiertheit, setzt – wohlgemerkt −, ein anderes Verhältnis als das zwischen Subjekten, kein Kommunikationsverhältnis, ein Verhältnis vielmehr zum Gegenstand voraus.
Rita Bischof skizziert zwei Voraussetzungen, die mich aufgrund meiner eigenen Sozialisation geradezu konträr anmuten, unverbrüchlich bei sich sein und sich an die Sachen verlieren können. Bei ihr hatte ich staunend erlebt, dass man sein Essen so sorgfältig zubereiten kann, als hätte man jemanden zu Tisch gebeten. Als das Befinden der Freundin sich auf Dauer verschlechterte, schloss die selbstverständliche Sorge für sich die um die andere ein. Rita Bischof kann sich auf eben jenen Charles Fourier berufen, der Adorno zu seinem „Liebesbrief“ an Elisabeth Lenk veranlasste. Er habe „die ‚Liebe zur Verachtung seiner selbst‘, die in unseren Gesellschaften ja durchaus verbreitet ist“, für „ebenso absurd“ gehalten wie „die rationale, gesellschaftlich verlangte „Einsicht in die Notwendigkeit“, die er für „pure Heuchelei“ hielt. Solcher Hedonismus verträgt sich mit der Bereitschaft zur Hingabe an eine Sache nur dann, wenn die mit Selbstaufgabe nicht das Geringste zu tun hat. Einzige Bedingung, der Gegenstand, der sie weckt, muss sie auch erfordern, er muss schwierig sein. Nur so kann das isolierte Moment das gesellschaftliche Ganze enthalten. Geht diese Bedingung verloren, reißt die Verbindung. „Elisabeths [… ] Seminare waren eine einzige Einführung in die surrealistische Praxis einer kritischen Wissenschaft“ stellt Rita Bischof im Nachhinein fest. Aber „die glücklichen frühen Jahre gingen schnell vorüber.“ Die Hochschulreform, so berichtete sie mir, hatte die Clique der C2-Professuren mit ihren wechselnden Mehrheiten nach oben gespült, für die der ‚richtige Stallgeruch‘ wichtiger als die wissenschaftliche Qualifikation war. Obwohl Ordinaria, konnte Elisabeth Lenk keine einzige Stelle besetzen.
Angesichts solcher Entfremdung erscheint der Tod als etwas Verbindendes. Er macht keinen Unterschied. „Zu schwierig“ gilt für ihn nicht. „In einer Welt, die den Neuheiten hinterherläuft, als brächten sie die Erlösung“, ist er „das einzig wirklich Neue, und er ist es stets aufs Neue. Der Tod ist immer ein wildes Ereignis, für den, den er trifft, und für die, die er zurücklässt. Er wirft uns immer aus der Bahn, unterbricht die Routine, lässt uns in den Tagesgeschäften innehalten.“ Von ihm, scheint es mir im Nachhinein, hat das Duo Bischof/Lenk die entscheidenden Momente seiner Lebensbejahung bezogen.
*Der Nachruf, „Vom anderen her denken“, ist in der taz vom 4.7.2022 erschienen , das Manuskript der Trauerrede hat mir Rita Bischof freundlicherweise zur Verfügung gestellt. Zitate von da und von da.
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