von Märchenprinz Sebastian Bartoschek
Knapp war das Ergebnis, das Martin Schulz’ Leiden als SPD-Chef um weitere Wochen verlängerte. Koalitionsverhandlungen nun also. Mutlos seufzte Martin den Teppich im Flur des Willy-Brandt-Hauses an. Es war Montag morgen. 6 Uhr. Das politische Berlin war noch nicht wieder ganz da. Kommentare waren gestern gegeben worden. Andrea war gestern noch einen trinken gegangen mit Heiko und Sigmar – ihn fragten sie nie, ob er mitkommen würde. Wegen seiner Vergangenheit, sagten sie, weil sie ihn nicht in Versuchung führen wollten, sagten sie, doch Martin kannte die Wahrheit. Es war einsam an der Spitze – und an der Spitze der SPD noch einsamer als irgendwo sonst. Der Wind der eiskalt über die Zugspitze zog, war immer noch ein heisser Föhn im Vergleich zu der sozialen Kälte, mit der der Schulz-Zug gestraft wurde. Wofür eigentlich? Er hatte doch getan, was die Anderen wollten. Hatte die Stichwörter und Gesten seiner Parteifreunde und Berater bedient, war bereit gewesen, sich selbst dafür zu vergessen. Hatte sich zum Gespött gemacht – als Kanzlerkandidat, als Nicht-Koalitionär. Und wofür? Für weitere 4 Jahre Posten – für die Anderen. Was sollte er schon machen? Er war Bürokrat gewesen, das konnte er.
„Martin! Das musst du sehen!“ Eine junge Mitarbeiterin lief auf ihn zu, holte ihn aus seinen sozialdemokratischen Gedankentiefen. Wie hieß sie gleich? Irgendwie. Wieso war sie so laut? „Was muss ich sehen?“ „Komm schnell. Die Kanzlerin!“ Ja, die Kanzlerin. Mutti Merkel. Verdammt. Konnte die ihm nicht einmal einen verdammten Tag durchatmen lassen. Er hatte damit gerechnet, dass Seehofer heute morgen Salz in seine mühsam geflickten Wunden schmierte: Hysterie-Horst, wie sie ihn hier nannten. Martin lächelte. Aber die Kanzlerin? Sein Lächeln gefror. „Was sagt sie denn?“ „Schau doch selbst. Bitte!“ Dieses elende Duzen. Dieses verdammte Duzen. So nahmen sie einem das letzte bißchen Respekt in dieser Partei. Mein Freund Martin. Wie ein Deutscher Roman, nur hatte er eben kein sprechendes Känguru. Er hatte Andrea.
Irgendwo wurde ein Fernseher eingeschaltet. Angelas Stimme halte durch den Flur. Martin drehte den Kopf. „…respektieren das Ergebnis der SPD-Delegierten. Aber die SPD muss auch unsere neue Entscheidungslage akzeptieren.“ Hinter Merkel, die an einem Pult stand, waren Özdemir und Lindner zu sehen. Was war da los? Welche neue Entscheidungslage? „Was ist da los? Was meint sie mit neuer Entscheidungslage?“ Martin war einer, der sagte, was er dachte. Er wollte jetzt wissen, wieso ihn alle so doof anguckten. Was hatte die denn nun gesagt? „Wieso guckt ihr mich alle so doof an. Was hat sie denn nun gesagt?“ Sein Handy klingelte. Andrea. Genau – die hatte ihm noch gefehlt. „Martin, hast du das gerade gesehen?“ „Nur den letzten Satz, was hat sie denn gesagt?“ „Bätschi, hat sie gesagt, einfach nur Bätschi.“ „Was meinst du damit, Andrea, verdammte Scheisse, was ist da passiert?“ „Die haben gestern getagt, geheim, bei den Schwarzen. Lindner, Cem, Schäuble und Söder – und jetzt sind wir am Arsch.“ „Was?“ „Die Merkel hat gerade gesagt, dass sie jetzt eben nicht mit uns koalieren möchte, weil ihr das gestern alles zu knapp war. Und die haben gestern abend wohl irgendwie einen Koalitionsvertrag aus der Schublade gezaubert. Und…“
Aber Martin hörte nicht mehr zu.
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