Gestern Abend haben sich in Chemnitz mehr als 1000 Menschen eingefunden, die für Demokratie und gegen Menschenfeindlichkeit auf die Straße gegangen sind. Es waren keine linke Gruppen, wie zum Teil berichtet wird. Für die Demokratie auf die Straße zu gehen ist nämlich nicht links, sondern eine Selbstverständlichkeit. Denn: Das Gegenteil von rechts ist nicht links, sondern nichtrechts. Diese wichtige Einordnung wird heute in einigen Medien vergessen, und so entsteht der Eindruck, dass rechte und linke Gruppen auf der Straße waren. von Sachsenprinzessin Jürgen Kasek
Das ist falsch.
Vor allem führt das Fehlen dieser wichtigen Einordnung dazu, dass dieser Eindruck entsteht: Der Extremismustheorie folgend, die heute dankbar von einigen CDU-Mandatsträgern reproduziert wird, gebe es ein Problem an den Rändern der Gesellschaft. Dieser Eindruck verschärft die Problemlage, da er verdeckt wie weit Einstellungsmuster inzwischen in die Mitte der Gesellschaft ausgreifen.
Die Rechten.
Wieviele Menschen sich letztlich der Demonstration von Pro Chemnitz angeschlossen haben lässt sich nicht sagen. Es dürften einige tausend gewesen sein. Darunter etliche Hooligangruppen wie Faust des Ostens aus Dresden, Inferno aus Cottbus und die NS Boys aus Chemnitz. Zu den hunderten gewaltbereiten Hooligans kommen organisierte Neonazis wie zum Beispiel vom dritten Weg, die an einheitlichen auftreten und Schildern gut zu erkennen sind, sowie Identitäre. Auch etliche Bürger sind dabei, die „nicht rechts sein wollen“, aber sich offenbar nicht anders zu helfen wissen als mit organisierten Neonazis zusammen auf die Straße zu gehen.
Dass Ausgangspunkt der Tod eines Menschen war, der selber gegen Nazis war, verschwimmt. Es geht nicht um den Tod eines Menschen, es geht darum, dass ein Ventil da ist, um den ganzen aufgestauten Frust heraus zu lassen.
Die Stimmung ist von Anfang an aufgeladen. Einige Teilnehmer sind vermummt. Mehrfach werden Hitlergrüße gezeigt, ohne das dies Folgen hat.
Gegen 19 Uhr kommt es zu einem ersten Durchbruchsversuch der Rechten. Auf die gegenüberliegende Gegendemonstration fliegen dutzende Flaschen und Steine, sowie Feuerwerkskörper. Die Polizei hat Müh und Not die Angreifer in Schach zu halten. Einzelne Personen werden verletzt.
In der Nacht wird die Lage völlig unübersichtlich. Überall durch das Stadtgebiet ziehen Rechte und die Bereitschaft Andersdenkende anzugreifen ist hoch.
Die Rechten feiern das Geschehen heute als Triumph. Dass sich angesichts der massiven Gewaltbereitschaft der Rechten der Staat beugen musste, ist ein fatales Zeichen.
Die Polizei
Die Polizei ist in Chemnitz nur mit wenigen Hundertschaften und zwei Wasserwerfern vor Ort. Eine völlige Fehleinschätzung der Situation. Am Abend räumt der Pressesprecher der Polizei ein, dass man nicht mit sovielen Menschen gerechnet habe. Seit Sonntagabend, der ersten Zusammenrottung, rasten Aufrufe nach Chemnitz zu kommen durchs Netz. Beobachter warnten davor, dass aufgrund der massiven Mobilisierung, mit mehreren tausend Rechten und Hooligans zu rechnen sei. Wie das Innenministerium und die Polizeiführung daher zur Schlussfolgerung kommen, dass man nur wenige hundert Personen erwartet bleibt schleierhaft.
Auf Grund der Kräftesituation vor Ort muss sich die Polizei auf ein rein defensives Trennungskonzept beschränken und versuchen, die Lager auseinander zu halten.
Nach den massiven Übergriffen hätte die rechte Demo nicht loslaufen dürfen.
Aber es fehlte der Polizei an Kräften, um eine Auflösung durchzusetzen oder Straftaten nachzugehen. So können vermummte Hooligans sich frei bewegen. Dies wird insbesondere in der Nacht deutlich als rechte Gruppen immer wieder Journalisten und Gegendemonstranten angreifen und die Lage völlig unübersichtlich ist.
Die eingesetzten Beamten werden von ihrer Führung und der Politik verheizt. Es dürften maximal 500 Beamte sein, die vor Ort sind. Viel zu wenig.
Die Eskalation ist auch deswegen eine Eskalation mit Ansage. Vorhersehbar, erwartbar und durch nichts zu rechtfertigen.
Die Politik
Während der Sprecher der Bundesregierung klare Worte zu Chemnitz findet schweigt die sächsische Landesregierung und der Ministerpräsident findet gleich gar keine Sprache. Heute Morgen äußert sich der Generalsekretär der sächsischen CDU und meint unter völliger Verkehrund der Wirklichkeit, dass die Polizei vorbereitet war und die Lage unter Kontrolle hatte. Diese Worte sind ein Hohn und diese Art des Realitätsverlustes ist nicht zu rechtfertigen. Aber sie zeigt auch das Problem. Immer wieder Relativierungen von rechter Gewalt, dass abstellen von pauschal auf Extremismus und eine nicht vorhandene Fehlerkultur sind Gründe wie es in Sachsen dazu kommen konnte.
Es fehlt eine klare Haltung. Eine klare Zurückweisung von Menschenfeindlichkeit und die Verfolgung von rechten Straftaten.
Das lavieren der sächsischen CDU, der durch das auftreten der AfD fortschreitende Rechtsruck der Gesellschaft, verschärfen die Problemlage und machen aus Sachsen einen failed state. Wenn Pressevertreter nur noch mit eigenen Sicherheitskräften vor Ort sind und die Berichterstattung in der Nacht eingestellt wird, Menschen mit Migrationshintergrund geraten wird die Innenstadt nicht mehr zu betreten und rechte marodierende Horden sich frei bewegen können ist dieser Staat gescheitert.
All das ist nicht zu rechtfertigen. Schon gar nicht durch vorangegangene Gewalt.
Wie es weiter geht.
Heute haben Rechte dazu aufgerufen vor dem Landtag in Dresden aufzulaufen. Für Donnerstag liegen neue Anmeldungen für Chemnitz vor.
Das größte Problem ist, dass das Vertrauen in den Rechtsstaat zum Teil irreparabel geschädigt ist. Die Rechten erlebten, dass sich der Staat vor Ihnen zurückzieht und bei massiver Gewalt nicht gegenhalten kann.
Viele Menschen, die für die Demokratie in Sachsen stehen, werden ebenfalls ihr Vertrauen verloren haben. Ein Staat, der Recht und Gesetz nicht durchsetzt, der Hetzjagden am hellichten Tag nicht stoppen kann, ist kein Garant für die Sicherheit.
Die Folge davon könnte ein weitere Zunahme der Gewalt sein. Wenn Menschen nicht mehr glauben, dass der Staat sie schützt, werden sie sich selber schützen.
All das ist Sachsen im Jahr 2018. Es ist beängstigend und beschämend.
Auch wenn es gerade schwer fällt: Schreibt Sachsen nicht ab.
Jetzt muss sich jede/r Mensch langsam entscheiden auf welcher Seite man stehen will. Es geht um die Grundfrage ob eine solidarische Gesellschaft, eine liberale Demokratie in Sachsen noch eine Zukunft hat.
Und dafür lohnt es sich zu kämpfen und zwar egal in welchen Farben und mit welcher Überzeugung. Es geht um die Verteidigung der freiheitlichen Demokratie.
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