Letzte Anrufung des Herrn.
Von unserem Gastpoeten Martin Jürgens
Herr, du warst groß,
Doch jetzt nicht mehr.
Du nahmst, was sich
Dir bot, von allen.
Gib es wieder her,
Gib alles, los!
Erst – mach ihn auf –
Erst alles aus dem Safe:
Bares, Unbares, wie es kommt,
Verträge und Belege, Schmuck,
Besitzurkunden, Wertpapiere, auch die Uhr
Von Breitling, teuer, hässlich, schwer,
Und auch das Döschen da aus
Elfenbein und voll mit
Koks, gib’s her!
Herr, du warst groß,
Doch jetzt nicht mehr,
Und es ist Zeit,
Dass man dich
Nicht mehr kennt.
Wir sind am Ziel,
Du bist am End.
Gib alles her und
Und du wirst sehn,
Wie selig geben ist,
Wenn denen, die da nehmen
Die Wünsche nicht vergehn:
Zu essen und zu trinken
Brot, Salz und Wein,
Vom grünen Veltliner bis hin
Zum Chateauneuf du Pape,
Und Kuchen ab und zu,
Und von der Entenleber
Ein Parfait mit Trüffeln
Aus dem Périgord und eine
Keule vom Poulet de Bresse
Und drei ganz kurz mit
Armagnac flambierte Gambas,
Dann das Zitroneneis mit
Einem Hauch von Gin.
Jedoch: kein Blumenkohl!
Kein „knackiger Salat“!
Kein Sauerkraut, solang es
Auberginen und Oliven hat.
Und wenn es Schinken gibt, dann
Den vom schwarzen Schwein,
Das sich von Eicheln nährt.
Groß warst du, Herr.
Das ist vorbei und dein
Verachtetes Gescherr
Nimmt alles, was du hast.
Und was du nicht hast, Herr,
Sieh zu, dass du es kriegst
Und gib es ab:
Vor allem das Blaue
Vom Himmel und das
Gelbe vom Ei und den
Schönen schwarzen Gedanken,
Der sich als Tango tanzen
Lässt und eine Stimme für
Ein Halleluja, als gäbe
Es der Menschheit
Unschuld noch.
Und was zu wünschen bleibt,
Besorgen wir uns in den
Gegenden, die du nicht kennst:
Ein leichtes Herz,
Vor allem das, wir
Hatten es noch nie,
Und von der guten Wut,
Jenseits von jedem Schmerz
Ein ungeheuer großes Faß,
Das nie zur Neige geht.
Das wird im Keller aufbewahrt
Und gut gekühlt. Und um nicht
Kalt zu werden – ja wir sind nett
Zu uns – auf die Empfehlung Heines
Hin zum Zudecken des Nachts, das
Beste, was es gibt auf Erden:
Das deutsche Federbett.
Und eine Freundlichkeit, die
Nicht das Ihre sucht,
Langmütig, unerbittlich,
Und verbittert nie.
Herr, du warst groß,
Und es ist alles aus
Und niemand, der
Dich jetzt noch kennt,
Denn deine Zeit liegt hinter dir.
Wir sind ihr weit voraus,
Wir leben in der Gegenwart
Von morgen, morgen schon
Weit im Futur, und du bist
Nichts als ein Gerücht aus
Einer Zeit, die man die
Vorgeschichte nennt.