Juristische Ein-Mann-Stadtguerilla and Friends, oder die Leserbriefschreiber von Rems-Murr

Eine kleine Prinzessinnen-Horrorschau. Von Alexander Rasumny

Prolog

Nachdem sie vom Einhornreiten (Dressur und Vielseitigkeit), vom andauernden Jasminblütenteetrinken mit den Zofen und sogar, ach, davon genug hat, mit Blumengirlanden komplexe dynamische topologische Räume nachzubauen, wendet sich eine Prinzessin der Frage zu, was eigentlich ihre Untertanen machen. Was beschäftigt denn derzeit die Bürger ihres Reiches, also ihre Reichsbürger sozusagen? Mit verbundenen Augen (die Augenbinde ist natürlich aus reinstem und herrschaftlichstem Samt) wirft die Prinzessin einen Dartpfeil auf die Karte ihres gesamten Reiches, das nicht umgangen, kaum umfahren werden kann, blickt auf und flucht in ihrem feinsten und prinzessinnenhaftesten Seemannsjargon, „Verfickt noch mal, warum landet dieser beschissene Pfeil ständig auf dem verdammten Sachsen Westens*, BaWü?“

 

Genauer genommen landete der Pfeil in der Wiege der Zivilisation (im Sinne von: da hat die Zivilisation ihre Wiege noch nicht verlassen), im Rems-Murr-Kreis, von wo aus einem ihrer Reichsbürger, bösem Zauberer, pensioniertem Bausachverständiger und juristischer Ein-Mann-Stadtguerilla Hans-Joachim Zimmer das gelang, wovon alle Reichsbürger in sehnsuchtserfüllten heißen Sommernächten träumen: Durch die Veröffentlichung durch den lokalen Spätzleeinwickler wurde sein Geschwurbel als eine ernstzunehmende Meinung legitimiert und vor seiner Peer Group durfte er oder ein Surrogat von ihm sogar angeben, dies alles sei in der renommierten Stuttgarter Zeitung stattgefunden. Wie es so oft mit Halbstarken oder innerlich halbstark gebliebenen ist, denkt sich die Prinzessin, muss man die Schwanzlängenauskünfte durch drei dividieren, um an die Wahrheit zu kommen. Doch wenn man anfängt, an einer solchen Kleinigkeit wie einem Reichsbürgerleserbrief herumzustochern, gerät man schnell in menschliche Abgründe, aus denen nur der Geübte wieder zurückfindet. Touch darkness, and darkness touches back. Doch der Reihe nach.

I

Das in den einschlägigen Reichsbürgerforen anonym ohne Angabe des Datums und mit dem Vermerk „Leserbrief in der Stuttgarter Zeitung“ erschienene Schriftstück wurde am 27. August dieses Jahres in den Zeitungen des Zeitungsverlags Waiblingen (ZVW), also in den Rems-Murr-Blättern Waiblinger Kreiszeitung, Schorndorfer Nachrichten, Winnender Zeitung und Welzheimer Zeitung, gedruckt. Jetzt gehört es – im Gegensatz zu der Tatsache, dass die Bundesrepublik Deutschland existiert – nicht zum absoluten Allgemeinwissen, dass der ZVW im Rems-Murr-Kreis jeden dritten Haushalt erreicht, aber für unsere Erzählung ist es vorteilhaft, wenn man das bedenkt.

Quelle: Internet

Quelle: Internet

 

Am 27. August regte sich also Hans-Joachim Zimmer aus Winnenden (ja, genau, das Winnenden) unter dem Leserbrieftitel „Deutsches Reich existiert fort“ darüber auf, dass der ZVW „von nichts eine Ahnung hat“ und daher „weder über sogenannte Reichsbürger berichten noch deren Thesen und Ansichten kommentieren“ sollte; überhaupt habe ja das Bundesverfassungsgericht „in BVerfGE 2 BvF 1/73 vom 31.07.1973 unter Randnotiz 77 ff. verkündet: ‚Das Deutsche Reich existiert fort […]‘“, womit „HaJo“ (den Spitznamen benutzen wir lediglich, weil wir uns ziemlich sicher sind, dass er ihn abgrundtief hasst) damit die magischen Grenzen von 1937 meint, notfalls aber auch die von 1942 nehmen würde. Dagegen wurde 1949 lediglich „ein Grundgesetz beschlossen, um eine Neuorganisation des Deutschen Reiches zu erreichen“, was „HaJo“ ja fein von dem BVerfG-Urteil abgeschrieben hat: Bravo, alle Erbsen richtig gezählt! Zur Sache tut es aber nichts, weil erstens die Grenzen von 1937 aufgrund der vom BVerfG postulierten Teilidentität des Deutschen Reichs und der Bundesrepublik in Hinblick auf die räumliche Ausdehnung sowieso hinfällig sind, zweitens das Grundgesetz und die Urteile des BVerfG damit ja gelten und die ganze Reichsbürgeridiotie, pardon, -ideologie damit hinfällig ist, und drittens… äh… worum ging es eigentlich?

 

Ach ja, eigentlich ging es um die Meldung „‚Reichsbürger‘ flieht, Polizist schießt“ des ZVW, die vom folgenden Geschehen berichtet: Mitte August wurde in Korb bei Waiblingen bei einer routinemäßigen Polizeikontrolle ein Opel (an dieser Stelle bitte keine Witze) angehalten, dessen Fahrer, ein treuer Angehöriger des Deutschen Reichs nach RuStAG von 1913, den Polizisten seinen gelben Schein, auf Deutsch Staatsangehörigkeitsausweis, als Identitätsnachweis vorzeigte, worauf diesen wohl dämmerte, dass hier einer auf Ärger aus war. „Gutes Zureden half offenbar nicht“, wie der ZVW selbst leicht genervt zusammenfasst, und als einer von den beiden Polizisten nun die Tür des Wagens öffnete, um den Zündschlüssel zu entfernen, entblödete sich der Bewohner der wilhelminischen Epoche nicht, selbst loszufahren und einen Beamten mitzuschleifen. Bevor das Ganze noch weiter eskaliert, dachte sich der zweite Polizist, schieße ich auf den Reifen, und so geschah es. Vor Schreck über seine leicht gedellte Felge hielt der Opelfahrer und Opfer einer Schneeballabzocke von den Virgin Islands dann doch an und muss sich jetzt, zurecht, wie die Prinzessin findet, „wegen Verdachts der gefährlichen Körperverletzung, Widerstands gegen Polizeibeamte und wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr verantworten müssen.“

 

Womit jedoch weder die Polizei noch der ZVW gerechnet haben, ist, dass der RuStAG-Teutsche mächtige Freunde hat! Wie mächtig? Nun, da wäre zum Beispiel der Vereinsvorsitzende von Freiheit von Deutschland“, Gründer der gleichnamigen Partei, Ministerpräsident des „Königreichs Württemberg“, laut Facebook-Eigenaussage ehemalige juristische Person bei BRD GmbH“ und Kumpel von „HaJo“ Zimmer Matthias Reckzeh, der die ursprünglichste und effektivste Form der Bürgerwehr gegen die Polizeiwillkürlichkeit, das YouTube-Video, aktiviert hat! (Und warum auch nicht? Erfolgreicher als seine Bemühungen „on the ground“ wie etwa die Demo „Fellbach wehrt sich“, zu der ganze elf Hansel kamen, ist es allemal.) Das besagte Video, samt einleitendem fiktivem Dialog unter Nachbarn und Argumenten nach dem Muster „‚Polizei‘ ist eine geschützte Wortmarke, also eine private Firma“, ist irgendwo zwischen Gruselschau und unfreiwillig komisch anzusiedeln und lässt den Opel-Fahrer, nennen wir ihn doch einfach Roland Balmer (Name eventuell, aber wahrscheinlich nicht von der Redaktion geändert), gefühlte Stunden darüber schwadronieren, wie er angeschossen wurde und dass er ein Opfer willkürlicher Polizeigewalt ist, bevor der Ministerpräsident und Weltherrscher Reckzeh seinen großen Auftritt hat und uns „als Bürger und Menschen“ anspricht, die sich um das Recht und Gesetz kümmern sollen. Die Anzahl der Bundesländer sollte er dennoch mal nachschlagen, es sind nämlich gar nicht 15, oder will er in kalter, kalter Erde tot liegen, bevor er Saarland anerkennt? (Verständlich.) Zwischendurch dürfen die obligatorischen Lügenpresse-Einblendungen und Stockfotografien zur Veranschaulichung nicht fehlen. Anschließend legten Balmer und Reckzeh mit einem weiteren Video nach und mimimiten noch ein wenig über die zerschlagene Fensterscheibe und das RuStAG.

II

HaJo“ Zimmer fühlte sich derweil sowohl ermutigt als auch demütigt und legte mit einem weiteren Brief nach, bei dem er sich über die Zensur durch die Lügenpresse beschwerte: „Wenn ein Leserbrief geändert wird, sollte dies nicht ohne Wissen des Verfassers vollzogen werden […]. Und wenn ein Leserbrief der Redaktion nicht passt: Sie entscheidet, ob er veröffentlicht wird. Also können unliebsame Leserbriefe doch ganz elegant liquidiert werden, indem sie nicht publiziert werden. Wäre auf jeden Fall besser, als zu zensieren.“ Ja, „HaJo“, findet die Prinzessin auch, findet halt nur leider der ZVW nicht, für den alles Nichtverbotene eben erlaubt ist und der nach Aussage der Redaktion „der Inhalt der Briefe […] grundsätzlich einerlei“ ist, nur zu lang soll es nicht werden und selbst in Waiblingen kann man nur so viel von „HaJo“ ertragen. Das muss man sich ja mal auf der Zunge zergehen lassen, denkt die Prinzessin, solange es nicht Volksverhetzung, Holocaustleugnung oder Beleidigung ist, drucken die in Rems-Murr alles stoisch und unkommentiert ab und, obwohl sich in der unmittelbaren Umgebung die Strukturen um „HaJo“, Ministerpräsident Reckzeh, Opelfan Balmer, Dr.Dr. steht für Drucksache“ Spaniol und Heiko Wo sind wir heute hier?“ Müller erblühen, sieht man sich da nicht veranlasst, diskursiv dazwischenzugrätschen, nicht einmal sich vom Inhalt des Briefes zu distanzieren. Man sollte ja denken, bei zehn bis 20 Leserbriefen am Tag, die der ZVW nach Eigenangabe bekommt, könnte man es sich leisten, diejenigen abzudrucken, die zumindest ansatzweise versuchen, sich an die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu halten, aber wahrscheinlich bestehen 15 von den 20 aus Beleidigungen des Bürgermeisters.

Aus dem gemeinsamen Mantel für die ZVW-Zeitungen vom 6. September 2016, freundlicherweise zur Verfügung gestellt vom ZVW (alles sehr nette Menschen dort, trotz merkwürdig liberaler Haltung zu Verschwörungstheoretikerleserbriefen)

Aus dem gemeinsamen Mantel für die ZVW-Zeitungen vom 6. September 2016, freundlicherweise zur Verfügung gestellt vom ZVW (alles sehr nette Menschen dort, trotz merkwürdig liberaler Haltung zu Verschwörungstheoretikerleserbriefen)

 

Freilich mögen die Mitarbeiter des ZVW aus reiner Notwehr gehandelt haben, denn wer weiß, welchen E-Mail-Terror der Rechtsexperte aus Winnenden auf den Verlag losgelassen hätte, wäre er nicht veröffentlicht worden, und wieviel Lebenszeit sie vergeudet hätten, hätten sie sich auf Diskussionen eingelassen. Denn „HaJo“ hat eine Vorgeschichte; er ist das, was manche als berüchtigt bezeichnen würden. 2009 nahm er einen Satz aus dem BPräsWahlG, demzufolge jeder zur Bundesversammlung wählbar ist, der zum Bundestag wählbar ist, zum Anlass, sich in die Bundesversammlung hineinzuklagen. Dafür adelte ihn Spiegel Online mit der Einschätzung, der streitbare 62-jährige Schwabe [treffe] doch einen wunden Punkt, der bislang jedenfalls wenig beachtet worden ist“, und machte sich nicht die Mühe, die Ideologie des Herren ein wenig unter die Lupe zu nehmen. Aus dieser machte „HaJo“ nämlich schon damals keine Mördergrube: Mit Verlaub, mich hat keiner gefragt, ob ich dieses Grundgesetz zur Verfassung haben will“, behauptet er auf einer Webseite, die er ganz offensichtlich schon seit längerer Zeit nicht mehr pflegt, denn da finden sich auch Sätze wie diese: „Unser ‚deutscher Obama‘ kann nach meiner Vorstellung keine einzelne Person sein. Das gibt unser Rechtssystem nicht her, und das ist auch gut so. Unser Obama kann nur der unmittelbar vom Volk beherrschte Bundestag sein“ – ach, die seligen Zeiten, als die verfassungsfeindliche Intelligenzija noch keine Vorbilder von rechts herbeiziehen konnte. (Inzwischen fordert „HaJo“ natürlich, dass wir alle den „Trump“ machen, aber ich will so viele Frauen gar nicht sexuell belästigen.)

 

Zurück zum ZVW: Schützenhilfe bekam „HaJo“ aus dem Nachbarskaff Berglen, und zwar aus Uta Königs Hundeschule und Tier-Beratungspraxis für ganzheitliche Lebens-Energieberatung. Da lacht ihr umsonst, steht ja wirklich alles so auf ihrer Hompage“ (sic), die ein digitales Monument für alle ist, denen Menschen immer schon ein kleines bisschen weniger sympathisch waren als Nichtmenschen. Nachdem nun Uta König nun den ganzen Tag Papageien mit Bachblütentherapie und Meerschweinchen mit chinesischer Entsprechungslehre behandelte, setzte sie sich eines Abends hin und schrieb an den ZVW ein Wort des Lobs und der Unterstützung für „HaJo“: „Leider interessieren sich die wenigsten Bürger dafür und kennen die Hintergründe nicht – aber mitreden wollen.“ Uta dagegen hat den absoluten Durchblick, Uta kennt aber keine Hunde oder Katzen, sondern – nur Deutsche: „Man kann nur an die Deutschen appellieren, endlich aufzuwachen, denn wir können nicht die ganze Welt retten.“ Der restliche Brief offenbart, worum es den juristischen Experten aus Rems-Murr nun eigentlich geht: „Auch wäre es sinnvoll in der heutigen Zeit, sich einen beglaubigten Liegenschaftskatasterauszug zu beschaffen, wenn man eine Eigentumswohnung oder auch nur ein Gartengrundstück hat. Um sicherzustellen, dass man Eigentümer und nicht nur Besitzer ist. Als Besitzer kann man schneller enteignet werden in der heutigen Situation, als man denkt.“ Am Ende geht es letztendlich wie in vielen Fällen darum, dass man die Pfändung umgehen will, indem man sich der Fiktion hingibt, die entsprechenden Gerichte haben über einen keine Verfügungsgewalt. (Außer das BVerfG, wenn es etwas sagt, dass einem in dem Kram passt, und man die Teile ignoriert, die es nicht tun.) So geschehen übrigens auch bei Ministerpräsident Reckzeh, der sich in bester Michael Kohlhaas-Manier gegen die Nachzahlung von Rundfunkgebühren wehrte, welche dann eben mittels Zwangsvollstreckung von der Firma Polizei eingetrieben werden mussten.

Epilog

Anfang November wandte sich „HaJo“ noch einmal an den ZVW, eigentlich aber weit darüber hinaus. Rechtsexperten wie ihm und seinen Kumpels „könnte die Staatsgewalt ganz einfach dadurch den Wind aus den Segeln nehmen, indem sie offenlegt, […] ob das Grundgesetz dessen Verfassung ist.“ Die Prinzessin könnte das mit einem einsilbigen, zweibuchstabigen Wort offenlegen, aber das wäre verlorene Liebesmüh, und auch „HaJo“ selbst hat nun größere Hallen zu bespielen: „Das Grundgesetz ist im Übrigen in keinem Bundesland die gültige, oberste Rechtsnorm“, schreibt er in Missachtung von 66 Jahren Rechtsprechung in Deutschland an den ZVW, eigentlich aber weit darüber hinaus, und reicht einen Volksantrag beim Landtag von Baden-Württemberg ein, da dieser sich pro forma mit jedem Quatsch beschäftigen muss, der eine ausreichende Anzahl an Unterschriften vorzuweisen hat. Zimmers Gesetz zur Stärkung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit (GeStDeRe)“ hält, was der Titel verspricht, und beinhaltet über 260 Seiten geballte Rechtsexpertise und Reichsbürgerparanoia. Ein Jahr hat der Herr ab diese Woche Zeit, weswegen es einer besonderen Marketingkampagne bedarf: Ihr habt es sicherlich schon erraten, eines YouTube-Videos, das gleichzeitig auch als Nachweis für ein irgendwann einmal erfolgtes intensives Haareraufen darüber, dass BaWü ein rechtsfreier Raum ist, dient. Nun ist die Anzahl der benötigten Unterschriften ja klein genug, aber über 38.000 Irre wird „HaJo“ doch kaum finden? Auf Reckzeh beim Stimmenfang kann er einstweilen nicht zählen, der Ministerpräsident steht diese Woche nämlich jeweils wegen Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes und Holocaustleugnung vor Gericht.

 

Derweil zieht die Prinzessin den Pfeil zurück aus der Landkarte, veranlasst, ihn abzuspülen und zu desinfizieren, seufzt kaum hörbar auf und geht in den Garten, vielleicht ist ja noch etwas von dem Jasminblütentee übrig.

 

* Der Prinzessin ist das eigentliche Sachsen Westens, die Provinz Niedersachsen, bestens bekannt. Wie alle denkenden Menschen zieht sie es allerdings vor, dieses Land nicht einmal zu ignorieren.


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Dieser Beitrag wurde am 14. Dezember 2016 veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink. 2 Kommentare

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