20 Jahre Jungle World – ein Rückblick. Teil 3: My private Arbeitskampf

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Nun war sie also besetzt worden, die jW. Aber mit welchem Ziel eigentlich? Teil 3 des strikt subjektiven Rückblicks von Elke Wittich

Was bisher geschah, können Sie hier und hier nachlesen.

Zitternd vor Wut stand der Chefredakteur vor mir: „Du bist die unwichtigste Person hier in dem ganzen Laden“ brüllte er. Ich antwortete: „Ich weiß“ und ging nach Hause.

Aber fangen wir von vorn an.
Schon in der ersten Nacht der Besetzung hatte ich entschieden, dass es netter wäre, zu Hause zu schlafen, auch deswegen, weil Martin ja schon auf den Honeckers nächtigte und sonst nirgendwo Platz war.
Ich schlief also aus, fuhr am nächsten Tag in die besetzte Redaktion, wo aufgeregt gemacht & getan wurde und saß dann dort herum.

Das Interessante, jedenfalls im Rückblick, an der Jungle-Besetzung war eigentlich, dass man dort so viel über Politik lernen konnte. Beziehungsweise über die eher unangenehme Art von Politik.
Die Entscheidungen von Belang wurden nämlich nicht basisdemokratisch auf Konferenzen oder Vollversammlungen oder wegen mir auch Plena getroffen, sondern vorab von den wichtigen Leuten ausgehandelt. Und weil es ja keinen Spaß macht, wichtig zu sein, wenn es niemand mitbekommt, wurde auch ganz großer Wert darauf gelegt, dass es wirklich alle kapierten, wenn gerade wieder so eine hochgeheime „Sorry, nein, nur wir vier“-Runde anstand. Die man keinesfalls stören durfte, natürlich.

Auf den folgenden Sitzungen eigene Ideen oder Vorstellungen einzubringen, war keine richtig gute Idee, außer es ging um irgendwelchen Killefitz.
Aber egal, wir waren ja eine große glückliche Besetzungs-Familie, und darauf kam es an.

Nach viel Hin und Her und einem äußerst verngüglichen Abend im Sportressort, an dem wir zusammen Borussia Dortmund im Champions League-Finale guckten, hatte irgendwann auch ich meinen Aufgabenbereich bei diesem Ausstand gefunden. Wir hatten nämlich zu Hause ein Notebook mit Faxmodem, und auf dem gingen nun die Soli-Faxe aus aller Welt ein, die ich täglich ausdruckte und nach Treptow brachte.
Es waren viele, und manche waren unglaublich schön.
Wie auch überhaupt die Solidarität immens war. Heute, in Zeiten in denen jedes Start-Up über sowas verfügt, klingt es nun wirklich nicht sensationell, aber während der Besetzung kam tatsächlich ein mobiler Masseur vorbei, der sich dachte, so ein bisschen Auflockerung würde gut tun. Und als ich irgendwann – mittlerweile hatte ich meinen Job auch auf das Thema Unterhaltung ausgedehnt – im Kreuzberger Videodrom vorbeiging, um diesmal nicht nur für Axel und mich Filme auszuleihen, sondern vor allem für die Kollegen, durfte ich mir aussuchen, was ich alles kostenlos mitnehmen wollte, denn: „Ah, Du gehörst zur jW-Besetzung? Geht aufs Haus, bring sie zurück, wann immer Ihr fertig seid.“

Wir waren, ungelogen, der Gipfelpunkt von cool, und das nicht, weil wir auf irgendwelche Befindlichkeiten Rücksicht nahmen, sondern weil wir exakt das taten, was wir wollten. Und weil wir keine Angst vor nix hatten, jedenfalls offiziell.

Wir waren außerdem alle wichtig. Ja gut, außer ich. Der Chefredakteur hatte mir schon ein paar Tage zuvor mitgeteilt, dass ich die unwichtigste undsoweiter sei, und damals war ich ebenfalls nach Hause gegangen, hatte diesen Rückzug aber total verkackt. Spanni war mir nachgelaufen, hatte mich auf der Treppe mit einem footballesken Manöver umgeworfen und dann saßen wir erstmal beide leicht unschlüssig da. „Du kannst nicht einfach so gehen“, sagte er und redete und redete, woraufhin wir uns kurz drückten. Und dann antwortete ich „Kann ich wirklich nicht, meine Autoschlüssel liegen noch im Ressort“.

Und so ging ich zurück und stand halt herum und verpasste deswegen auch den Moment nicht, in dem sich plötzlich eine Hand in mein Blickfeld schob. „Angenehm, Modrow“, sagte der dazugehörige Mann und fragte nach dem Händeschütteln, wie es denn so laufe.
„Was weiß denn ich?“ wäre natürlich keine adäquate Replik gewesen, deswegen sagte ich irgendwas und dann sagte er irgendwas und schüttelte weitere Hände und ich stand verdattert da.

Wenn sich der letzte Ministerpräsident der DDR persönlich herbeibemühte, dann passierte also grad etwas sehr Bedeutendes. Bloß was?
Womit wir zu diesem Streik kommen. Wofür zur Hölle arbeitskämpfte ich da eigentlich? Für mein Menschenrecht auf frühes Aufstehen, angeschrien zu werden und meine Jugend Seit an Seit mit gestandenen Nationalbolschewisten zu verplempern?
Hmmmm.

Und dann kam die Nachricht, dass der Zeitungsinhaber eine Vertrauensabstimmung angesetzt hatte. Und dass die wichtigen Leute entschieden hatten, dass wir alle nicht daran teilnehmen.
Warum, habe ich bis heute nicht verstanden.
Denn: Wir waren die Mehrheit, und zwar nicht so eine pegida-mäßig halluzinierte Mehrheit, sondern wir waren tatsächlich mehr als die.
Das hatte George, der Mathematik studiert hatte und die Zeilengelder für unsere Autoren schneller im Kopf ausrechnen konnte als Martin mit dem Taschenrechner, in Sekundenschnelle festgestellt. Aber alle meine diesbezüglichen Fragen wurden nicht beantwortet.

Ich nahm dann solidarisch nicht an der Abstimmung teil, auch, weil sie sonntags zu nachtschlafener Zeit angesetzt war. Das Votum endete wenig überraschend mit einer überwältigenden Mehrheit für die anderen.

Ansonsten war ich zu diesem Zeitpunkt äußerst ungehalten: Zusätzlich zu den Videodrom-Filmen hatte ich nämlich eine meiner, irgendwann gekauften, Kassetten zum Besetzungsunterhaltungsprogramm hinzugefügt, die echt richtig toll war. Es handelte sich um eine Art Cannes-Rolle (die Älteren werden sich erinnern), nur eben nicht mit Werbefilmen, sondern mit alten Parteireklame-Spots, die heute nirgendwo mehr angeboten wird. Und genau die hatte jemand geklaut. Womit wir zur persönlichen Botschaft an den Dieb kommen: „Ich hoffe, die mit etwas Glück nur wenigen Male, in denen Du diesen Film anschautest, waren die schönsten Momente Deines ansonsten unglücklichen Lebens. Arschloch.“

Kurz darauf ging ich dann wirklich nach Hause, nachdem ich (siehe oben) schon wieder angebrüllt worden war, diesmal, weil ich es gewagt hatte, eines der wenigen Handys (die Telefone waren mittlerweile abgestellt worden) zu blockieren, um dafür zu sorgen, dass Praktikantin Anne bei mir zu Hause die dringend benötigten neuesten Faxe abholen konnte. Wie konnte ich nur.

Im nächsten Teil des Rückblicks geht es darum, wie der Name der Jungle World entstanden ist (so war die Festplatte des einzigen internetfähigen Rechners in der jW von Udo Tremmel benannt worden), um große Träume von einer eigenen Wochenzeitung und darum, wie ich als einzige darum kämpfen musste, auch eine Kündigung zu bekommen. Und es wird darum gehen, dass für ein bisschen blöd gehalten zu werden sehr unterhaltsam ist.

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