Sächsische Verhältnisse: Wer sich bei der Polizeibeschwerdestelle beschwert, landet vor Gericht

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Merkwürdige Prozesse in Sachsen sind keine Seltenheit sondern kommen in etwa so häufig vor wie der sprichwörtliche Sand am Meer, weswegen man auch den schönen Begriff der sächsischen Verhältnisse geprägt hat.
Ein heute durchgeführtes Verfahren ist aber quasi die Creme de la Creme dessen, was man gemeinhin unter Ungereimtheiten versteht: Ein Pressevertreter, der sich bei der Polizeibeschwerdestelle beschwert und deswegen am Ende vor Gericht landet. Von Juraprinzessin Jürgen Kasek

Aber von Anfang an.
August 2016 in Heidenau. Ein Jahr nach den Pogromen in dieser sächsischen Kleinstadt findet eine linke Demo statt, unter dem Motto „Das Schweigen brechen“. Im Vorfeld gibt es das erwartbare Geplänkel, inklusive dass CDU-Bürgermeister bescheinigt, diese Demo sei nicht hilfreich sei. Mit anderen Worten: Nicht die rassistischen Pogrome von einst sind das Problem, sondern dass sie nach wie vor thematisiert werden.

Die mehreren hundert Demo-Teilnehmer treffen in Heidenau – in enger Polizeibegleitung – auf Döner essende, den Hitlergruß zeigende Nazis, pöbelnde Rentner und am Ende wird ein Thor-Steinar-Träger freundlich, aber bestimmt des Platzes verwiesen, was ein Gerangel mit der Polizei nach sich zieht. Soweit, so normal. Hitlergrüße am Rande einer linken Demo sind nun nicht so schrecklich selten, vielleicht wollte der tätowierte Nazi auch nur seine Freunde grüßen…

Am Rande steht ein Pressevertreter, erkennbar am Presseausweis, und filmt eine einige Meter entfernte polizeiliche Maßnahme. Dies wiederum stört eine anwesende Polizeibeamtin, die sich vor das Objektiv stellt und Presse- und Personalausweis fordert. Man kennt das ja. Polizeibeamte sind ein bimschen sensibel beim Filmen so vong Schutz her, jedenfalls dann, wenn es um die Aufnahme polizeilicher Maßnahmen geht.

Der Pressevertreter weist sich aus und fordert anschließend, ebenfalls den Ausweis der Dame zu sehen, was im sächsischen Polizeigesetz auch geregelt ist. Die Beamtin zückt ihren Ausweis auch kurz, aber verkehrtherum, und weigert sich dann, ihn erneut und lesbar zu zeigen. Dem Pressevertreter gelingt es trotz der Unterstützung eines ehemaligen Landtagsabgeordneten und Rechtsanwaltes und eines Parteivorsitzenden und Rechtsanwaltes nicht, an die Daten der Beamtin heranzukommen, um sich zu beschweren. Daher fertigt er eine kurze filmische Aufnahme und beschließt danach eine Eingabe bei der zu diesem Zweck angelegten Polizeibeschwerdestelle zu machen. Und schickt an eben diese Polizeibeschwerdestelle den Link zum bei Youtube eingestellten, aber nicht gelisteten Video, was bedeutet, dass das Video ohne den Link nicht zu finden ist.

Der Behördenapparat setzt sich in Gang und leitet die Beschwerde mit Link zum Video an fünf oder sechs Polizeidienststellen weiter. Irgendwann landet das alles auch bei der Beamtin, verbunden mit dem Hinweis, dass sie zum Vorgang Stellung nehmen solle.
Sie sieht sich das Video an – und stellt umgehend Anzeige gegen den Pressevertreter wegen Verstoß gegen das Kunsturheberrechtsgesetz, da er die Aufnahmen weiterverbreitet hätte. Von da an wandert das Video dann auch durch die sächsische Justiz, erreicht mehrere Staatsanwaltschaften und schließlich landet der Fall vor Gericht.

Am Ende plädiert die Staatsanwältin auf Verurteilung zu einer Strafe von 50 Tagessätzen, weil der Pressevertreter mit seiner Anzeige bei der Polizei für die Verbreitung gesorgt hätte und damit gegen das Recht der Beamtin am eigenen Bild verstoßen hätte.
Konsequenterweise bedeutet das, wer ein Beweismittel bei der Polizei einreicht, macht sich ggf. strafbar.
Logik, hallo, irgendjemand da?
Die Richterin sieht zwar den Tatbestand verwirklicht, entscheidet aber aufgrund dieses Wertungswiderspruchs auf Freispruch.
Der Betroffene hat ein mehr als ein halbes Jahr dauerndes Verfahrens hinter sich, weil er der Polizeibeschwerdestelle eine Beschwerde eingereicht hat, mit Material, um die Beamtin, über die er sich beschwerte, zu identifizieren.
Übrigens: Aus der Polizeibeschwerde ist nichts geworden.
So schön, so sächsisch.

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