Von unserem Pop-Beauftragten Bernhard Torsch
Wenn man schon ein Abo bei einem Streaming-Dienst hat, will man das auch ausreizen, und so kam ich nun dazu, den Konzertfilm „Roger Waters: The Wall“ zu sehen. Der will mehr sein als nur halbwegs kompetentes Abfilmen von Waters‘ Tour zwischen 2010 und 2013, nämlich irgendwie auch Kunst, bisserl Biopic und natürlich politisches Statement. Ist ja von Roger Waters, dem größenwahnsinnigsten aller Musikanten, gegen dessen Megalomanie selbst die ägyptischen Pharaonen wie bescheidene Bauern wirken.
Hier ist alles so groß, dass der Küchenpsychologe in mir murmelt: „Der Waters hat sicher voll den kleinen Schwanz.“ Die Auftrittsorte: riesengroß. Die Bühne: irrwitzig groß. Die Pyrotechnik: gigantisch groß (hier wird an einem Abend mehr verfeuert als von allen Chinesen im ganzen Jahr). Die auf der Bühne gebaute Mauer: die größte aller jemals auf Bühnen gebauten Mauern. Ich sehe Roger Waters vor mir wie er mit seine Technikern über den Plänen hockt und immerzu drängt: „Größer! Das muss doch noch größer gehen!“
Ich gebe zu: Das ist alles sehr hübsch anzusehen. Wenn man Ästhetik mag, wie sie Riefenstahl und Eisenstein inszeniert hätten, hätte es die technischen Möglichkeiten damals schon gegeben. Da strahlen Scheinwerfer und Laser Lichtdome in den Himmel, da wird die knapp 100 Meter lange Bühnenmauer zu einer einzigen Leinwand voller flashiger Lichteffekte und Videospinnereien, da rasen nachgebaute Weltkriegsflugzeuge über das Publikum hinweg, da schwebt ein (natürlich riesengroßes) Schwein über den Zuseherinnen, da wird ’ne fucking Mauer aufgebaut und dann gesprengt, kurz: Da geht es showtechnisch so dermaßen heftig ab, dass selbst der abgebrühteste Acidhead nicht anders kann als leise „wow“ zu murmeln. Überwältigungsbudenzauber vom Feinsten. Die Absicht: Das Publikum und der DVD-Gucker soll sich ein bisschen so fühlen wie die Nazis in Nürnberg. Natürlich nicht beim Prozess, sondern beim Parteitag.
Waters tritt bei einigen Songs als Faschistenführer auf. Das ist sicher irgendwie kritisch gemeint, aber er fühlt sich ein bisserl sehr wohl in der Rolle, gibt den Ober-Fascho ein Spur zu überzeugend. Klar, er spielt das nur. Ist ja nur Showbusiness. Aber ihm scheint es zu gefallen. So wie dem Publikum, das brav den Faschistengruß mit den gekreuzten Armen nachmacht. Es gibt auch eine Art Rahmenhandlung zum Konzertfilm. Bei der geht es darum, wie Roger Waters im Rolls Royce durch Europa gurkt, um die Gräber seines Großvaters und seines Vaters zu besuchen. Kriegsgräber, denn beide hatten das Pech, als Soldaten jung zu sterben. Der Musikant tut auf den Soldatenfriedhöfen so, als würde er heulen. Er verpflichtet auch seine drei Söhne und seine Tochter dazu, betroffen an den Gräbern zu stehen. Alles sehr kalkuliert, wie man es von Waters kennt. Der Mann mag keine Spontanität.
Was hat der Kerl doch für Daddy-Issues! Seit 1979 singt er fast über nichts anderes mehr als über seinen Vater, den er nie gekannt hat. Vater im Krieg kaputt, also Krieg scheiße. Und zwar jeder Krieg. Kapitalismus ist irgendwie auch nicht gut, weil da ja doch wieder nur Krieg bei rauskommt. Eine überzeugende Weltanschauung – für Zwölfjährige. Wer die mit 70 vertritt, ist entweder doof oder ein zynischer Arsch. Waters ist nicht doof.
Männer verzehrende Vaginen und Davidsterne neben Hakenkreuzen
Und dann das Frauenbild! Du liebe Güte, dieses Frauenbild! Frauen sind in „The Wall“ entweder unterdrückende Mütter oder bösartige Schlangen, die den sensiblen Künstler vernichten wollen. Wie schon in Alan Parkers Verfilmung sehen wir auch hier wieder die ekelhaften Cartoons des Antisemiten Gerald Scarfe, der aus Frauen Monster macht, die nur aus Beinen, Augen und Vaginen bestehen. Männer verzehrende Vaginen. Die Darstellung passt aber zu der Rolle, die Frauen in Waters‘ Texten spielen. Treuelose, irgendwie angsteinflößende Wesen. Verlassen beispielsweise ihre armen Männer, nur weil die psychotische Schlägertypen sind. Verstehe einer das Weibsvolk.
Apropos Antisemitismus: Zwar konnte ich auf dem großen schwebenden Schwein keinen Davidstern ausmachen, wie es bei einigen Aufführungen der Fall gewesen sein soll, aber in einer Zeichentrick-Sequenz werfen Bomberstaffeln Dollarzeichen, Hakenkreuze, Hammer & Sichel, Konzernlogos und – Davidsterne ab. Der Zionismus in einer Reihe neben Nazismus und Stalinismus. Alles eine Soße und alles voll schlimm. Das ist massentauglich, da ist für jeden was dabei. Damit wird man reicher als viele von Waters so verachtete Kapitalisten und kann dann im Rolls über die Ungerechtigkeit der Welt sinnieren.
Der Über-Gassenhauer von „The Wall“ ist natürlich „Another Brick In The Wall, Part II“. Entsprechend geht das Publikum voll ab zu den regressiven Zeilen, die davon handeln, dass man keine Bildung nicht brauche. Zum pseudoantiautoritären Schlager lässt Roger Waters bestens abgerichtete Kinderlein streng choreografierte Tänze aufführen. Ist das eine Metaebene? Kunst? Ich weiß es nicht, ich hab keine Ahnung von Kunst. Ein bisschen Ahnung hab ich von Sachen wie Narzissmus, und Waters ist sich nicht zu blöd, den schwer zu erreichenden Narzissmus-Weltrekord aufzustellen, indem er ein Duett mit sich selber singt. Er lässt ein Video von einem alten Konzert einspielen und beklagt sich zusammen mit seinem jüngeren Ich über seine Mutter. Freudian shit ahoi.
Schüsse ins Publikum
Was Waters von denen hält, die ihn reich gemacht haben, zeigt eine Sequenz, in der er mit einem Sturmgewehr ins Publikum ballert. Klar, das Ding ist nur mit Platzpatronen geladen, aber es wirkt dennoch wie eine bedenkliche Eskalation jener Tournee von 1977, als Waters die Fans von der Bühne aus anspuckte. Fantasien hat der Mann!
In der das Konzert einrahmenden „Doku“ gibt es eine Szene, in der ein jüdischer Freund Waters davon erzählt, wie die Nazis und ihre Kollaborateure in Budapest wüteten. Der Rockstar stiert betroffen in seinen Drink. Denkt er nach? Oder überlegt er sich bloß, wie er das in sein selbstmitleidiges Sonnensystem mit dem Zentralgestirn Roger Waters einbauen kann?
Immerhin: Musikalisch ist das alles ganz erträglich. Waters kann inzwischen halbwegs akzeptabel Bass spielen, singt sogar weniger scheiße als in den 70ern, und die Begleitmusiker sind ohnehin die besten, die man für Geld engagieren kann. Und Waters hat einige wirklich gute Songs geschrieben. „Comfortably Numb“ zum Beispiel. Nein, Moment, das stammt von David Gilmour. Aber „Us And Them“ ist super. Ach Mist, das hat der Rick Wright geschrieben. Jetzt hab ich´s: „Astronomy Domine“! Nein, wieder nix, das schrieb Syd Barrett. Nun ja, sagen wir es so: Roger Waters kann gut mit Worten umgehen, ist sehr geschäftstüchtig und hat ein großes Selbstvertrauen. Ein netter Mensch und großartiger Songwriter ist er nicht.
In aller Bescheidenheit, Euer Hoheit, möchte ich anmerken, dass es sich bei Waters nach wie vor um einen Untertanen handelt, der ein bischen traurig und neidisch ist, nicht ein Übertan zu sein, wie Eure Hoheit selbst, und von daher sich auf seinem Platz noch nicht selbst gefunden hat. Daher das Pompöse Spektakel, das aber auch dem Volk und seinesgleichen dient, als Ventil und als Opium zugleich, denn: „Spektakel müssen sein!“ Vergebt dem Untertan, er weiß es nicht besser und dient uns mit seiner Narretei zur Kurzweil und dank Ohrwurmstichigkeit auch der Langweil (im Sinne von langanhaltender Kurzweil). Ich denke, die bildungsfernen singen „Einsam durch die…“ und die „Another Brick“ singenden gehen trotzdem studieren, wenn auch unter Protest, aber nicht so sehr, dass es jemandem weh tut.