Happy Birthday, Mr Tambourine Man

Bevor es alle anderen tun: unser royaler Popbeauftragter Bernhard Torsch gratuliert Bob Dylan.

Jetzt wird Bob Dylan auch schon 80 und in den kommenden Tagen werden Zeitschriften und TV-Sendungen Elogen auf den am 24. Mai 1941 als Robert Zimmerman geborenen Mann veröffentlichen. Viele dieser Texte, oft verfasst von sogenannten Edelfedern, liegen ja schon als Nachrufe bereit und müssen nur ein bisschen an die Tatsache angepasst werden, dass Dylan nicht gestorben ist, sondern einen hohen runden Geburtstag feiert. Über Dylan wurden mehr Bücher geschrieben, als Wikipedia weiß, und in den Universitätsbibliotheken dieser Welt finden sich hunderte wissenschaftliche Abhandlungen, die sich mit dem Wirken des bedeutendsten Songwriters der vergangenen 50 Jahre auseinandersetzen. Obwohl über den Mann so viel geschrieben wurde wie über wenig andere Männer, sei auch mir gestattet, Herrn Zimmerman zum Geburtstag zu gratulieren und sein Schaffen zu würdigen.

Wer jetzt gehofft hat, den üblichen Schwachsinn von wegen „Stimme seiner Generation“ zu lesen, den muss ich enttäuschen. Bob Dylan war nie die Stimme „seiner“ noch irgendeiner anderen Generation, sondern die Stimme einer lodernden Intelligenz, die sich nicht in ideologische oder ästhetische Raster zwängen lässt. Dylan war und ist das, was durch und durch deutsche Waldmenschen-Hirne wie Martin Walser nicht verstehen können, weshalb Walser einst auch den Dylan-Fan Günter Amendt fragte, was dieser an einem „herumzigeunernden Israeliten“ so toll fände. Dylan erschließt sich Antisemiten so wenig wie ihn Menschen verstehen können, die nichts wissen von der Vielfalt und Tiefe amerikanischer Musik.

I was so much older then, I’m younger than that now

Auf den ersten drei Platten Bob Dylans sind viele seiner bekanntesten Songs aber keine seiner besten. Das apokalyptische „A Hard Rain’s a-Gonna Fall“ lässt erstmals die ungeheure Metaphern-Kompetenz des gerade mal 22-Jährigen erkennen, und ein Jahr danach schneidet er der Wiedergutwerdung der Deutschen mit „With God On Our Side“ tief ins Fleisch, wenn er singt: „When the Second World War came to an end, we forgave the Germans and soon we were friends. Though they murdered six million, in the ovens they fried. The Germans now too have God on their side“. Sein Song „The Times They Are A-Changing“ wird zur Hymne der Protest- und Reformbewegungen der 60er jahre, aber das beruht auf einem Missverständnis. Eigentlich hat Dylan in dem Lied nur beschrieben, wie müßig es ist, sich massiven soziopolitischen Tendenzen entgegenstellen zu wollen. Ob er das gut oder schlecht findet, sagt er nicht. Erst mit seiner vierten LP namens „Another Side Of Bob Dylan“ wird klar, dass hier ein Genie wirkt und nicht bloß ein Protestsänger oder irgendein Sprecher irgendeiner Sache. Statt direkter Kritik an Böslingen wie Waffenhändlern gibt es plötzlich höchst reflektierte Lyrik über das Wesen echter Liebe („All I Really Want To Do“), eine freudige Lossagung vom altklugen Politisieren („My Back Pages“) und mit „Chimes Of Freedom“ das erste epische Meisterwerk, das ihn als ernsthaften Poeten etabliert. Die Empathie, die Dylan in diesem Song auf höchstem sprachlichen Niveau ausdrückt, macht das Werk so groß, wie es ist. Bob benennt, wem seine Sympathie gilt: Flüchtlingen, Sexarbeiterinnen, und all den armen Schweinen, die von den Herrschenden in die Fleischwölfe der Kriege gepresst werden.

To dance beneath the diamond sky with one hand waving free

Als 1965 um die Ecke biegt und Folk-Acts wie Peter, Paul & Mary Hits mit Dylans „alten“ Protestsongs haben, hat Bob längst neue Welten für sich entdeckt. Inspiriert von Surrealismus, Symbolismus, Beat-Poetik, Cannabis, Opium und LSD und angetrieben von Methamphetamin tauscht er die Akustikgitarre gegen eine elektrische und veröffentlicht zwischen 1965 und 1966 drei Alben, deren Wirkung auf die Popkultur sich allenfalls mit Elvis erster Platte und vielleicht noch mit den Beatles vergleichen lässt. Gleichzeitig stylt sich Dylan neu. Hautenge Hosen, Punktmuster-Hemden, Bunte Paisley-Shirts, Sonnenbrillen auch bei Nacht – so was hat die Welt noch nicht gesehen. In jenen knapp zwei Jahren ist Dylan der coolste Mensch der Welt. Seine alten Folk-Freunde halten ihn für einen Verräter, aber das ist ihm egal. Er hat Besseres zu tun, als sich mit Dogmatikern zu zanken. Er muss Lieder schreiben, die man auch in 200 Jahren noch kennen wird. „Mr. Tambourine Man“, „Like A Rolling Stone“, „Visions Of Johanna“ – Dylan ist in einem Schaffensrausch. Er komponiert rund um die Uhr, und wenn er die Gitarre nicht in der Hand hält, hämmert er auf seine Schreibmaschine ein, dabei mindestens zwei Schachteln Kippen pro Tag rauchend. Er macht die Beatles mit Haschisch bekannt und hat die beste und lauteste Tour-Band der Welt. Alles dreht sich immer schneller. Auftritt folgt auf Auftritt, Interview auf Interview. Bei den Konzerten wird er oft von „Fans“, die gerne den Dylan von 1963 zurück hätten, ausgebuht. Dylan wird immer dünner, denn wer braucht schon Essen, wenn er LSD und Speed hat und dringend schreiben muss? Während einer Tour in Großbritannien brüllt ein enttäuschter Fan „Judas“ in Richtung Bühne. Dylan antwortet: „I don’t believe you. You’re a LIAR“. Und dann, an seine Band gerichtet: „Play it fucking loud!“

There must be some way out of here

Im Juli 1966 stürzt er beim Motorradfahren – oder behauptet das zumindest. Weder ein Transport mit einem Rettungswagen noch ein Krankenhausaufenthalt sind dokumentiert. Jahrzehnte später wird Dylan in seiner Autobiographie schreiben, dass er einfach nur raus wollte aus dem „Rattenrennen“. Den Rest von 1966 und den größten Teil von 1967 verbringt Dylan zurückgezogen in seinem Haus in Woodstock. Dort schreibt er hunderte Songs, mit denen Leute wie die Byrds oder Manfred Mann Hits landen. Bob selbst veröffentlicht 1967, dem Jahr von Sgt. Pepper’s und grellbunter Psychedelic, das semi-akustische Album „John Wesely Harding“ mit einem Cover, das ein Schwarzweiß-Foto ziert, das wie aus dem 19. Jahrhundert wirkt. Moritaten über Wildwest-Helden reihen sich an Liebesbekundungen für Obdachlose und dazwischen, fast versteckt, ein neuer Jahrhundert-Song: „All Along The Watchtower“, getragen von nur drei sich ständig wiederholenden Akkorden, ist ein sehr rätselhaftes und unheimliches Lied Dylans, aber mit einer Sogwirkung auf den Zuhörer, die kaum ein anderes Musikstück entwickelt. Eine Einladung, beim Woodstock-Festival aufzutreten, schlägt Dylan aus. Er macht lieber Musik mit Johnny Cash und führt seine langjährige Begleitgruppe, aus der als „The Band“ werden wird, in die Finessen amerikanischer Musikgeschichte ein.

There’s a million dreams gone

Die 70er Jahre beginnt Dylan zunächst orientierungslos, schafft aber immerhin, mit „Knocking on Heaven’s Door“ und „Forever Young“ zwei Welthits zu schreiben. Ab 1975 gelingt ihm dann, was nur wenige Musiker schaffen: Er wiederholt seinen Hattrick aus den 60ern, spielt also drei perfekte Alben nacheinander ein. „Blood on the Tracks“, „Desire“ und „Street Legal“ speisen sich inhaltlich vor allem aus den Qualen der auseinanderbrechenden Ehe mit seiner Gattin Sara, sind also voller wehmütig-schöner Liebeslieder („Shelter From the Storm“), wobei es auf „Desire“ wieder politisch wird, konkret antirassistisch, und auf „Street Legal“ stellenweise zappenduster. 1978 erschienen ist diese Platte, deren Titel etwas holprig übersetzt schlicht „Straßenzulassung“ bedeutet, eine verzweifelte Abrechnung mit dem Zustand der Welt anno ’78 und dem, was klügere Menschen kommen sehen. Auf der einen Seite verkümmert die westliche Welt zum globalen Spielplatz grenzenloser Kapitalmacht, auf der anderen steht als Alternative nur ein verkalkter Staatskapitalismus zur Verfügung, oder anders gesagt: Zur Wahl steht, seine einmalige Lebenszeit einem Privatunternehmer oder einem Bürokratengremium verkaufen zu müssen. Und da sind dann noch die Frauen, die es einem auch nicht immer leicht machen. Wobei: Misogyn ist Dylan nicht. Er ist kein Feminist, aber er mag Frauen und versteht sie auch. Der Mann hat immerhin Lieder wie „Just Like A Woman“ oder „Sad Eyed Lady Of The Lowlands“ geschrieben!

Saved?

Neben den Plattenaufnahmen geht Dylan mit einer bunten Truppe aus Musikern und Freaks auf eine Tournee, von der Menschen, die dabei sind, noch Jahrzehnte später ehrfürchtig berichten werden, sie hätten nie zuvor und nie danach dermaßen exzessiven Drogenkonsum gesehen. Zusätzlich verfolgt Dylan noch das überambitionierte Filmprojekt „Renaldo and Clara“. Ende 1978 kommt, was nicht ganz unerwartet ist: Allein in einem Hotelzimmer hat Dylan offenbar einen Nervenzusammenbruch und sieht eine Jesuserscheinung. Er bekennt sich als „Wiedergeborener Christ“, spielt drei religiöse Alben ein und geht sogar so weit, in Interviews die Steinigung von Homosexuellen zu fordern, da das ja in der Bibel so erwünscht sei. Wie ernst er es mit all dem meint, wird später umstritten sein. 1983 besucht er Israel und besinnt sich seiner jüdischen Identität. Auf der Platte „Infidels“ ergreift er so eindeutig wie kein anderer Rockstar Partei für Israel („Neighbourhood Bully“) und warnt hellsichtig, dass hinter der Rede von „Frieden“ nicht immer nur gute Absichten stehen müssen („Sometimes Satan comes as a man of peace“). Zu dieser Zeit startet er seine Never Ending Tour, eine Konzertreihe, die ihn jahrzehntelang rund um die Welt führen und erst mit der Covid-Pandemie ein vorläufiges Ende finden wird. Nach qualitativ eher durchwachsenen Platten bringt er 1989 mit „Oh Mercy“ ein neues Meisterwerk heraus. Ein Hattrick gelingt ihm zwar nicht mehr, aber 1997 läuft er noch einmal zu alter Bestform auf und schenkt der Welt „Time out of Mind“ mit Highlights wie „Not Dark Yet“ und „Highlands“.

I contain multitudes

Nach einigen durchschnittlichen Werken legt Dylan 2020 „Rough and Rowdy Ways“ vor, ein sehr hübsches Alte-Säcke-Album mit reichlich Selbstironie und Reflexion über die Vergänglichkeit allen Seins. Kurz danach beschließt Bob, die Rechte an seinem Werk an Universal Music zu verkaufen, ein Deal, der ihn um mindestens 300 Millionen Dollar reicher mach. Irgendwo hat das sicher ein alter Folkie gelesen und entsetzt „Ausverkauf“ gerufen. Oder „Judas“.

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