„Linksextremer“ Halbmond über Leipzig – oder das Ende einer Party.

Eine Geschichte aus der Vorweihnachtszeit, erzählt von Gerechtigkeits-Prinzessin Jürgen Kasek.

 

Vor einiger Zeit titelte eine Boulevard Zeitung: „Geheimdienst: Links-Autonomer Halbmond zieht sich durch Leipzig“. Der Verfassungsschutz meinte, aufgrund von soziodemographischen Daten, eine Verbindung zwischen den Wohnsitz von linken Straftätern und Szenevierteln ausmachen zu können.

Szeneviertel seien ein wichtiger Indikator, schreibt der Verfassungsschutz. In Leipzig seien dies die an die Innenstadt südlich, westlich und östlich angrenzenden Viertel plus Umgebung. Eine beachtliche Zusammenrottung von Szenevierteln.

Mit der Frage was genau Szeneviertel sind, halten sich dann jedoch weder die Presse noch der Verfassungsschutz auf. Klar, Begriffe in den Raum werfen ist auch leichter als genaue Analysen. Man kennt das ja. Aber die Meldung sitzt und dürfte bei dem ein oder anderen Besorgten für Schweißausbrüche gesorgt habe. Von diesen Schweißausbrüchen nicht gänzlich unverschont blieb offenbar eine Stadträtin der SPD, die aufgrund einer weiteren Meldung einer Zeitung mit 4 großen Buchstaben, die folgendermaßen titelte : „Polizei sprengt illegale LINKEN-Party“ und dann von Flaschenwürfen und Sitzblockaden fabulierte, zu einer beachtenswerten Pressemitteilung ausholte. Dort schrieb sie, was von der Presse auf der Suche nach Diskussionen dankend aufgegriffen wurde: „Im Inneren Osten Leipzigs dürfen keine Zustände wie in Connewitz entstehen…. Dass sich das staatsverachtende Gedankengut der linksextremen Szene nun dort auch in gezielten Aktionen zeigt, war nur eine Frage der Zeit. … Wer jede Regelung zur öffentlichen Ordnung und Sicherheit als Repression begreift, legt die Axt an die Wurzeln unserer Demokratie. Die Geschehnisse sind nicht nur für Anwohner, betroffene Fahrgäste der LVB und die Polizisten ärgerlich, sie sind ein offener Angriff auf unseren Rechtsstaat„.

Harter Tobak- sofort erscheinen vor dem inneren Auge die Bilder blutrünstiger Horden, die in offenen Straßenschlachten den Staat herausfordern. Connewitz, dieser sympathische Leipziger Stadtteil, ist für Besorgte und Konservative das Buzzword schlechthin, wenn es um linke Strukturen geht. Denn Connewitz, dieser Drachenhort der Antifa, ist ein alternativ geprägter Stadtteil mit einer funktionierenden Jugendkultur und entsprechenden soziokulturellen Einrichtungen. Das allein reicht freilich aus damit nach den G20-Riots in Hamburg Polizei und Innenministerium bis zum Bundesinnenminister „Connewitz“ raunen und zum Sturm auf Jugendeinrichtungen unter dem Motto „es darf keine rechtsfreien Räume geben“ blasen.

In Leipzig jedenfalls führte das soweit, dass ein Streetballplatz am Connewitzer Kreuz in den Mittelpunkt der Auseinandersetzung rückte. Die rückwärtige Mauer des Platzes hatten unbekannte Künstler mit einem Graffito verziert auf dem steht: „No Cops, No Nazis – ANTIFA AREA“. Weil man ja keine rechtsfreien Räume zulassen wollte wurde das „no cops“ durch die Stadt übermalt und fortan der Platz von der Polizei ein bisschen bewacht. Jedenfalls so ein bisschen, dass der Schriftzug immer wieder aufs Neue angebracht wurde. Daraus wurde ein lustiges Katz- und Maus-Spiel, in dem momentan Connewitz mit 11 zu 10 zu 1 führt. Zu 1, da die weiße Fläche zwischendurch regelwidrig mit einem „love Cops“ bemalt wurde.

Was jedoch der Stadtteil Leipzig-Connewitz, in dem die Wohnzufriedenheit für Leipziger Verhältnisse überdurchschnittlich hoch ist, mit Hamburg und G20 genau zu tun hat, wurde freilich nicht verraten. Aber Erklärungen stören auch nur, wenn man viel einfacher Feindbilder hegen und pflegen kann. Stimmungsmache funktioniert ohne Fakten schließlich immer noch am besten, dass weiß nicht nur die AfD. Auch die CDU trällert fröhlich mit. Jedenfalls hatte die SPD-Stadträtin noch etwas von staatsverachtenden Gedankengut gefaselt und darüber berichtet, dass irgendjemand die Axt an die Wurzeln der Demokratie gelegt habe.

Grund genug jedenfalls, sich der Sache mal näher anzunehmen und zunächst mal mit den Betroffenen zu reden. Betroffen in erster Linie sind die Bewohner der besagte Straße im Leipziger Osten und die Nachbarn. Die Ergebnisse sind eher unspektakulär, aber erwartbar. Die Häuser sind nicht etwa besetzt, schade eigentlich, sondern an die Bewohner verkauft, die damit Eigentümer sind.

In der besagten Nacht begab sich folgendes: in einem der Häuser hatte ein Freundeskreis zu einer Festivität geladen. Da dies aber über das soziale Netzwerk Facebook geschah, wurde das Ordnungsamt der Stadt Leipzig darauf aufmerksam. Das Ordnungsamt wiederum wird später angeben, dass man im Vorfeld versuchte habe,  zu den Bewohnern Kontakt aufzunehmen. Die Bewohner können dies jedoch, trotz vorhandenen Telefonen, Internetanschlüssen, Briefkasten und Klingeln nicht bestätigen.

Am Abend selber erschienen zunächst drei Beamte der örtlichen Polizeistelle, um die Bewohner eines Hauses darauf hinzuweisen, dass heute Abend keine Festivität stattfinde. Die Bewohner versprachen, dies auch einzuhalten und sagten die Feier kurzerhand ab. Das hätte das Ende der Geschichte sein können, wäre nicht die Polizei ein wenig übereifrig gewesen und hätte begonnen, in der Straße vor die Eingänge der angrenzenden Häuser jeweils zwei bis drei Beamte zu stellen, die kontrollieren sollten, dass nur noch die Menschen in die Häuser kommen, die ein Anliegen haben und sich ausweisen können.

Dies wiederum führte dazu, dass auch Freund*innen der Bewohner und sogar Bewohner selber nicht mehr in ihre Wohnungen kamen.

Einigermaßen unerfreut über diesen Zustand und die mangelnde Kooperationsbereitschaft der Polizei kamen weitere Personen zum Ort des Geschehens, die sich zunächst an einer Straßenecke sammelten und der Polizei deutlich zu verstehen gaben, dass man gedenke, solange zu bleiben bis die Polizei die Menschen wieder in die Häuser lasse.

Dazu wurde auch eine Spontandemo angemeldet. Da sich kein direkter Versammlungsleiter oder Verantwortlicher anzeigte, was nach dem vielzitierten Brokdorf-Urteil des Bundesverfassungsgerichtes auch nicht notwendig ist, entschied sich die Polizei irgendwann, die Kreuzung zu räumen.

Selbst die Polizei schrieb übrigens nicht von Flaschenwürfen. Die Anwohner berichten allerdings vom Einsatz von Pfefferspray und Schmerzgriffen, was die Polizei entschieden dementierte.

Bis auf einen schwer verständlichen und wohl nicht rechtmäßigen, weil unverhältnismäßigen, Polizeieinsatz alles also eher so halbaufregend. Aufregend wird es erst mit dem Boulevard und der erklärungsbedürften Wortmeldung der SPD-Stadträtin, von der sich wenig später dann Teile der Fraktion und der eigene Ortsverband distanzierten.

Illegale Partys sind in Leipzig nicht gerade selten und trugen zumindest in der Vergangenheit zum Ruf der Stadt als „Hypezig“ bei und machten die Stadt vor allen Dingen bei jungen Leuten beliebt. So beliebt, dass angefangen von der „ZEIT“ bis zum „Spiegel“ über die „FAZ“ und die „NEW YORK TIMES“ von der Stadt und ihrer lebendigen Szene geschwärmt wurde. Aber in Zeiten manigfaltiger Aufregung und Hysterie reichen offenbar schon nicht stattgefunden habende Partys, um vom drohenden Untergang des Abendlandes zu munkeln.

War noch was? Ja, die Bewohner hatten im Nachgang ihre Stellungnahme zu den Geschehnissen in einer Pressemitteilung publik gemacht und diese in einem übergroßen Plakat auch an die Hauswand des ihnen gehörenden Hauses gepappt. Hinzu kam ein Bild, dass Polizisten im Einsatz zeigte, versehen mit der Headline „gewaltbereit und vermummt“, was eine wahre Tatsachenbehauptung darstellen dürfte. Die Polizei jedenfalls fand es nicht ganz so lustig und riss wenige Tage später die Plakate wieder ab und murmelte irgendwas von Verächtlichmachung des Staates und seiner Symbole und Verstoß gegen die Werbesatzung. Dies wiederum dürfte noch ein Nachspiel haben, Stichwort Vernichtung von Beweismitteln.

Fazit: viel Hysterie in der Sache, Bewohner deren Vertrauen in den Rechtsstaat gesunken ist, übereifrige Stadträte, die, statt sich nach Fakten zu erkundigen, lieber mit AfD-Vokabular punkten wollen und eine leicht orientierungslose Polizei, die angestachelt vom ausgerufenen Halali, nicht zwischen besetzten Häusern und Eigentumshäusern unterscheiden kann.

Und bevor ich es vergesse: Ein hoch auf den links-autonomen Halbmond von Leipzig und allen eine frohe Weihnacht.

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