Peter Green – der Antigitarrenheld

Eine Würdigung von Musikprinzessin Bernhard Torsch

Peter Green war einer meiner Helden. Und genau das hätte er nicht gerne gehört,  denn er wollte nie das sein, was Eric Clapton, Jeff Beck oder Jimmy Page waren, nämlich Heldenfiguren im großen Mythos des Rock ’n Roll, Halb- oder gar Vollgötter an der Gitarre. Seit den spektakulären Kunststückchen von Jimi Hendrix und untrennbar mit den Genannten verbunden gibt es den Begriff „Guitar Hero“ für Virtuosen an der E-Gitarre. 

Die Szene der Heldenverehrer ist genauso toxisch, wie es die Begrifflichkeit schon andeutet. Als der britische Sänger und Gitarrist Richard Thompson während des Corona-Lockdowns ein kleines Konzert übers Internet streamte, waren viele Zuschauer nicht etwa einfach nur glücklich, ihn live und gratis erleben zu dürfen. Immer wieder forderten sie im Chatfenster zum Stream, Thompson möge doch bitte so sitzen, dass sie seine Hände sehen könnten. Darauf nämlich kam es ihnen an. Thompson genießt völlig zurecht den Ruf, ein großartiger Gitarrist zu sein, eben ein „Gitarrenheld“, und die Heldenverehrer interessieren sich nicht für die Songs oder gar die Texte, sondern für die Heldentaten ihres Helden, und im Falle eines Gitarristen ist es eben die Tätigkeit mit den Fingern und Händen. Wie das besoffene Publikum in einem Strip-Club brüllten die Heldenverehrer immer wieder „Hände Hände Hände!“ Thompson nahm es gelassen, aber es war ein trauriges Schauspiel.  

Während der hohen Zeit des Rock ’n Roll, also ca zwischen 1967 und 1997, war die Anhängerschaft zum „richtigen“ Gitarrenhelden für meist männliche Jugendliche oft ähnlich identifikationsstiftend wie jene zu einem Fußballverein. Erbitterte Streitgespräche wurden über die Frage geführt, welcher Gitarrenheld „besser“ sei als der jeweils andere. 1966 stieg Peter Green, geboren als Peter Greenbaum, in den kleinen Kreis der „Helden“ auf, als er bei John Mayall’s Bluesbreakers den ausgestiegenen Eric Clapton ersetzte. Green konnte durchaus das, was auch Clapton konnte, nämlich schnelle und originelle Soli spielen, aber es war sofort klar, dass das nicht das war, was er wollte. Sein Spiel war viel zurückhaltender, suchender, ernsthafter. Damals fand Green zu seinem oft kopierten aber nie erreichten Ton, einem leicht phasenverschobenen Vibrato, das einen anrührenden, aber auch unheimlichen Klang ergab. Wer sich mit dem Blues auskannte, traute seinen Ohren nicht, denn da spielte ein junger englischer Jude so Gitarre, wie die größten amerikanischen Meister des Genres, und er erschöpfte sich keineswegs im Kopieren, sondern rang dem Blues neue Ausdrucksformen ab. Greens Talent sprach sich bald bis in die USA herum, wo er als einer der wenigen europäischen Musiker von den  Größen des Blues wirklich ernst genommen wurde. 

1967 gründete Peter Green zusammen mit Mick Fleetwood, John McVie und Jermey Spencer die Band Fleetwood Mac, schrieb Hits wie „Albatross“, „Black Magic Woman“ und „Oh Well“, und trat nur drei Jahre später wieder aus der Gruppe aus. Zuvor aber hatte er mit Danny Kirwan einen Gitarristen, Songschreiber und Sänger in die Band geholt, der genauso gut war wie er selber. Das beschreibt Greens Charakter sehr treffend. Jeder andere „Bandleader“ oder „Gitarrengeld“ hätte zu jener Zeit penibel darauf geachtet, sich keine Konkurrenz innerhalb der Band heranzuzüchten. Green interessierte aber nur eines, nämlich die Qualität der Musik. Und die war vor allem live atemberaubend gut. Was als Bluesband begann, wurde in kürzester Zeit zu einem der interessantesten Gigs jener Jahre. Green, Kirwan und Spencer machten mit ihren Gitarren vor dem von McVie und Fleetwood aufgebauten Rhythmus-Hintergrund Musik von außerirdischer Schönheit und dunkler Härte. Immer mehr ging es musikalisch in Richtung Hardrock und langen Jams. Die Texte wurden finsterer, die Songs unheimlicher. Etwas nagte an Green. 

Wer selber Musik macht oder sich wenigstens halbwegs gut mit Musik auskennt, dem fällt beim Hören von Peter Green sofort ein Begriff ein, für dessen Verwendung man normalerweise ins Gefängnis gesteckt gehört: „Authentisch“. In Greens Fall ist es aber ausnahmsweise erlaubt, ihn zu benützen, denn er trifft recht genau das, was Green von anderen Bluesrock-Legenden unterschied: Er spielte nicht nur Musik, er WAR die Musik. Er channelte mit seiner Gitarre und seiner Stimme echte Gefühle. Das war echter Blues, kein Rich-White-Boy-Gejammer. Das war auch oft echter Spaß, denn Musik, auch Blues und Bluesrock, muss ja nicht zwingend traurig sein. Peter Green war dafür bekannt, auf der Bühne oft und viel zu lächeln, vor allem dann, wenn ihm und der Band gerade gute Musik geglückt war oder wenn er eine seiner kleinen, aber zeitlosen Weisheiten vom Stapel ließ: „Don’t ask me what I think of you, I might not give the answer that you want me to“.  

Dass Peter Green 1970 Fleetwood Mac und später für viele jahre dem Musikgeschäft adieu sagte, wird in der Legende gerne Uschi Obermaier und Rainer Langhans angelastet. Die schleppten Green nämlich 1970 auf eine dreitägige Party und verabreichten ihm extrem starkes LSD. Green selbst hatte gute Erinnerungen an die vermeintliche Katastrophe. Er sprach später von „netten Leuten“, mit denen er „spirituelle Musik“ gemacht hätte. In der Tat jammte Green während jener berüchtigten drei Tage mit diversen deutschen Krautrockern, was ihm sehr gefallen hatte, denn er wollte Fleetwood Mac schon seit längerer Zeit in eine Art europäische Version der Grateful Dead umwandeln, also in eine psychedelische Jamband. Vermutlich war der Trip in München nicht schuld an Greens sogenanntem „Zusammenbruch“, den er später in jenem Jahr erlitt. Er hatte schon lange zuvor mit LSD experimentiert. Als er einmal Meskalin nahm, erschien ihm die Jungfrau Maria, die aber statt dem Jesuskind ein verhungerndes Baby aus Biafra am Schoß hatte. Danach spendete Green nach heutiger Währung 100.000 Dollar an die Hungerhilfe und forderte von seinen Bandkollegen, in Hinkunft alle Einnahmen wohltätigen Zwecken zukommen zu lassen. Das kam bei denen, die gerade erst angefangenen hatten, das Rockstarleben zu genießen, nicht gut an und so einigte man sich schließlich darauf, getrennte Wege zu gehen. Der Weg von Fleetwood Mac führte einige Jahre später zu Platinalben und ausverkauften Stadien, der von Peter Green in die Obskurität. 

Green selbst hat in einem späten Interview die Frage beantwortet, warum er so viele Drogen, vor allem Halluzinogene, genommen habe. „LSD half mir, mich nicht wie ein Jude zu fühlen, aber gleichzeitig Jude bleiben zu können“. Drogen als Flucht vor den antisemitischen Traumata seiner Kindheit und Jugend – Wer nicht davon betroffen ist, wird es nicht verstehen, aber wer es versteht, versteht Peter Green. Peter Green war als jüdisches Kind einer Arbeiterfamilie im Londoner East End aufgewachsen, eine raue Gegend, in der es wenig Pardon für Minderheiten gab. Dass Peter Jude war und sie nicht, ließen ihn seine Mitschüler am Pausenhof oftmals verbal, aber auch mit den Fäusten spüren. Die Musik war der erste Ausweg, später kamen die Drogen dazu. Aber das Leid des einsamen Kindes, das das Leid jeder Minderheit ist, war womöglich ein Grund dafür, dass Greens Sound so viel Emotion hatte, so real klang.  

In den frühen 70er Jahren führte Green ein recht freies Leben. Er nahm jede Menge Drogen, verbrachte einen Sommer in Israel, machte Musik nur dann, wenn er es wollte, und sprang hin und wieder ein, wenn ihn seine ehemalige Band um Hilfe bat (bei Fleetwood Mac ging es nämlich eine Zeit lang drogenbedingt drunter und drüber und wenn mal wieder ein Gitarrist auf Tour ausfiel, übernahm Green großherzig dessen Part). 1976 machte Green dann einen Fehler, den er teuer bezahlen musste. Er war gerade in Kanada gewesen und rief seinen Agenten an, um zu fragen, ob er Geld haben könne, Als dieser verneinte, scherzte Green, er habe aus Kanada ein Gewehr mitgebracht. Der Scherz führte ihn schnurstracks zwangsweise in die Psychiatrie. Dort war man rasch mit der Diagnose „Schizophrenie“ zur Hand und bearbeite Green mit Elektroschocks und antipsychotischen Medikamenten. Man wollte den Mann, der keine andere Ambition hatte, als ein netter Hippie zu sein, unbedingt „normal“ machen. 

Als er nach zwei Jahren wieder frei war, war er geistig wie körperlich gezeichnet. Die Medikamente ließen seinen Körper anschwellen und seine Haare ausfallen. Und Green wurde ernsthaft seltsam und noch weltabgewandter als zuvor. Dennoch raffte er sich 1979 dazu auf, eine neue Platte einzuspielen, das großartige „In the Skies“, auf dem noch einmal sein Genie als Gitarrist, Songwriter und Sänger aufblitzte, auch wenn die Texte von einem merkwürdigen christlichen Fundamentalismus geprägt waren und ein Song sogar eine explizit antijudaistische Zeile enthielt. Es folgten noch zwei schwache Platten und dann ein neuerliches Abtauchen. Einmal wollte ihm sein früherer Bandkollege Mick Fleetwood einen millionenschweren Vertrag mit einem Plattenlabel beschaffen, aber just in dem Moment, als er unterschreiben sollte, sah Green aus dem Kopf des grinsenden Vertreters der Plattenfirma Teufelshörner wachsen. Er legte den Kuli weg und ging einfach nachhause. Manchmal stöberten ihn Reporter in seiner Londoner Kleinwohnung auf und brachten Stories über den “verwahrlosten ehemaligen Star“, manchmal baten ihn Fleetwood Mac um ein kleines Gitarrensolo für eine ihrer Platten, aber meist verbrachte er diese Jahre mit Nichtstun und dem Schlucken der Antipsychotika und Beruhigungsmittel, nach denen man ihn in der Psychiatrie süchtig gemacht hatte. 

Mitte der 90er Jahre schaffte es der Musiker Nigel Watson, mit dem Green schon Anfang der 70er kurz zusammengearbeitet hatte, den Einsiedler aus seinem Loch zu locken und ihn noch einmal ins Studio und auf Tour zu bringen. Diese dritte Karriere war auch seine letzte. Green genoss es zwar, wieder auf der Bühne zu stehen, aber er schien nur widerwillig Gitarre zu spielen. Manchmal, an speziellen Abenden, war der alte Green wieder da und er zündete ein Feuerwerk auf der Gitarre wie in dn 60er Jahren. Meist aber spielte er sehr sehr leise und es schien manchmal so, als fürchtete er sich vor seiner E-Gitarre. Tatsächlich sagte er, als diese Phase vorbei war, nun sei aber Schluss, denn er wolle sich nie wieder von einer Gitarre das Herz brechen lassen. Das nämlich war das Musikmachen für ihn: Etwas, das so intensiv war, dass es verletzen konnte. 

Zwischen 2005 und 2010 lebte Green bei seiner schwedischen Lebensgefährtin in Stockholm. Glaubt man einem Interview, das er der BBC gab, war er damals sehr zufrieden. Green war nie ein großer Womanizer, aber er hatte mehrere Partnerinnen und eine Ehefrau, mit der er auch ein gemeinsames Kind zeugte. Wenn eine Liebschaft endete, nahm er das zur Kenntnis. Er kämpfte nicht und er wehrte sich nicht. Er hatte, wie es Mick Fleetwood ausdrückte, schlicht „kein Ego“, was man aber vor allem in jenem Sinne verstehen muss, dass er kein Egoist war und keinen Sinn darin sah, wie die meisten anderen Menschen nach Ruhm, Geld und Sex zu jagen. 

Das war jetzt ein bisschen viel Biographie, aber ich wollte einen Hintergrund dafür liefern, warum Peter Green mein „Gitarrenheld“ war. Nicht Hendrix, nicht John McLaughlin, nicht irgendein superschneller 80er-Jahre-Schredderer und keiner dieser Breitbein-Rock-Bühnenkasper. Nein, der kleine Jude mit der großen Seele, der sensible Anti-Star, das angebliche „LSD-Opfer“, der voyeuristisch für Krawallmedien fotografierte „Sozialfall“. Lange glaubte auch ich den romantischen Mythen vom tragischen Genie, aber dank langer Interviews, die er vor wenigen Jahren gewährte, ergab sich ein viel freundlicheres Bild, nämlich das von einem Individualisten, der ein Dasein als Superstar gegen eines als freier Mensch getauscht hatte. Green war niemandem böse, nicht den deutschen LSD-Kommunarden und nicht den Gesundheitsbehörden, die ihn wegsperrten. Er hat seine letzten Jahre wohl als zufriedener Mann verbracht, der am liebsten stundenlang am Wasser saß und so tat, als ob er fischte. Das ist kein misslungenes Leben. 

Schreibe einen Kommentar