Von unserer Real-Life-Korrespondentin und Antihysteriebeauftragten Sarah Hinney, Heidelberg
In Heidelberg ist gestern ein Mensch mit einem Auto auf den Bismarckplatz gefahren und hat dabei drei Menschen verletzt. Einer ist an den Verletzungen gestorben. Ich war wenige Minuten, bevor das passierte, an dieser Stelle und hab mir eine Brezel gekauft. Ich hatte Hunger. Das ist profan, ich weiß.
20 Minuten später war da nur noch Blaulicht, der Fahrer des Wagens niedergeschossen, in Sichtweite. Er soll mit einem Messer bewaffnet gewesen sein.
Während die Polizei also den Verkehr um den gesamten Platz umleitet und Zeugen befragt, geht das Leben auf dem Platz zum Glück einfach weiter. Die meisten kriegen gar nicht mit, was da passiert ist. Kommen vom H&M und erfreuen sich an ihren neuen Lieblingsstücken. Der Verkehr liegt lahm, aber es herrscht reges Fußgängertreiben. Am Absperrband der Polizei sammeln sich Menschen. Gerüchte machen die Runde. Ein Mann spricht mich an, in gebrochenem Deutsch. Die Angst steht in seinen Augen. Fragt mich: „Terror?“
Ich antworte, dass wir das nicht wissen. Die Ermittlungen der Polizei abwarten sollten. Er greift meine Hand. Ich sage ihm: „Warten wir ab, gehen wir nach Hause.“ Er drückt meine Hand.
Die Polizei vor Ort befragt Menschen. Alle sind gefasst.
Unterdessen läuft die Maschinerie im Netz an. Die ersten Zeitungen veröffentlichen die Nachricht. Von einem psychisch labilen Menschen ist die Rede. Die Menschen in den Sozialen Netzwerken wittern Terror. Schreien lauthals nach Durchgreifen, ergehen sich im wilden Mutmaßungen ob der Nationalität des Fahrers. An den Tatsachen sind nur wenige interessiert. Es gibt ja auch wenige.
Sie fordern auf jeden Fall hartes Durchgreifen der Polizei, die zu diesem Zeitpunkt einfach ihren Job macht. Nach meinem subjektiven Eindruck souverän.
Währenddessen fahren irgendwann die Straßenbahnen wieder. Die Menschen darin haben größtenteils nicht mal mitbekommen, was da passiert ist, wenige Meter von der Polizeiabsperrung entfernt, reden über Alltägliches.
Ich sitze in jener Bahn, höre den Menschen zu. Zwei junge Frauen diskutieren über den Halbmarathon. Das ist real.
Parallel lese ich Kommentare auf Facebook zu diesem Vorfall. Kommentare von Menschen die ebenfalls nichts, aber auch gar nichts davon mitbekommen haben, was eigentlich passiert ist, weil sie nicht mal hier sind. Und trotzdem urteilen. Sicher sind, dass das ein Terroranschlag war. Von einem Islamisten. Mindestens.
Und ich sitze in dieser Straßenbahn und mein Herz rast.
Und mir wird wieder einmal bewusst, dass das reale Leben und das parallele Leben in den sozialen Netzwerken leider gar nichts miteinander zu tun haben.
Bis zur Umsetzung unseres Journalismusfinanzierungsdekrets kann unsere Arbeit mittels eines einfachen Klicks auf den „Spenden“-Knopf gleich oben rechts unterstützt werden. Oder mit einem Einkauf in unserem Shop.