Satire auf Kosten von Juden

Offener Brief an die norwegische Kulturministerin

Sehr geehrte Kulturministerin Trine Skei Grande,

wie Sie sicherlich mitbekommen haben, sorgte der „Judenschwein“-Sketc­h des Satire-Show „Satiriks“ des Norwegischen Rundfunks (NRK) für großes Aufsehen unter seinen vielen Zuschauern. Dennoch vergingen fast zwei Wochen, bis der geschmackslose Bericht – nur aufgrund kräftigen Drucks in sozialen und klassischen Medien – aus dem NRK-Programm entfernt wurde.

Aber am gleichen Tag machte der NRKs Unterhaltungschef Charlo Halvorsen seine bereits – gelinde gesagt widerstrebende – Entschuldigung wieder rückgängig, indem er Argumente dafür aufzählte, dass der Sketch nicht antisemitisch zu verstehen sei. Mittlerweile sieht Charlo Halvorsen jedoch zumindest ein, dass es möglicherweise nicht besonders geschmacksvoll und intelligent war, einen Sketch über einem dermaßen historisch belasteten und schmerzhaften Begriff zu veröffentlichen. Ein Erkenntnis, für die Halvorsen zehn Tage – und dazu noch einige vorbereitende Arbeitswochen – gebraucht hat.

Der Leiter des NRK-Unterhaltungsabt­eilung schaffte es, am Ende sein Bedauern über den Ablauf auszusprechen, formulierte das jedoch als Bitte um Entschuldigung gegenüber den etwa 1.300 norwegischen Juden, die vom Sketch beleidigt wurden. Aber Halvorsen irrt sich gewältig in seiner Vermutung, dass er und der NRK nur 1.300 Menschen beleidigt haben. Halvorsen verletzt nämlich auch die Gefühle und Einstellungen eines Großteils der norwegischen Bevölkerung, die in ihrem Elternhaus gelernt haben, dass Ausdrücke wie „Judenschwein“ gehässig und verachtend sind und keineswegs zum guten Umgangston gehören. Die norwegische Bevölkerung weiß nur allzu gut, welche Grausamkeiten entstehen können, wenn das Menschenbild, das sich hinter solchen Begriffe verbirgt, einen Nährboden in unserer Alltagssprache findet.

Für die wenige noch lebenden norwegischen Konzentrationslagerginsassen, die selbst Zeuge von Morden und unfassbaren Übergriffen auf Juden – die man als „Judenschwein“ beschimpfte – waren, ist es äußerst schwer, miterleben zu müssen, wie der NRK im Jahr  2019 zu einer Schaubühne wird, auf der man versucht, solche gehässige und diffamierende Redewendungen zu legitimieren.

Viele Überlebende der Konzentrationslager der Nationalsozialisten waren in den letzten 30 Jahren als mitreisende Zeitzeugen auf Fahrten norwegischer Schulkinder nach Auschwitz, Buchenwald, und Sachsenhausen dabei. Abertausende norwegische Schüler sind mit „Aktive Fredsreiser“ und „Hvite Busser“ nach Polen und/oder Deutschland gefahren. Um diese Reisen finanziell zu ermöglichen, haben Tausende von Eltern im Laufe der Jahre einen beachtlichen Einsatz unentgeltlich und freiwillig geleistet. Viele der Eltern haben auch als Begleiter an einem Projekt, das die Übergriffe der Nationalsozialisten auf Juden, andere Minderheiten und politische Widerstandskämpfer thematisiert, teilgenommen.

Eine wesentliche Botschaft an die Jugendlichen während der Besuche der einstigen KZ ist, dass der tödliche Rassismus und Antisemitismus in Deutschland in verbaler Form, mit Tabu-Wörtern und geschmacklosem, hämischem Spott über Juden, anfing.

Dass der NRK mittlerweile den Sketch entfernt hat, kann den bereits angerichteten Schaden nicht ungeschehen machen, der sich mit Sicherheit nun auf den Schulhöfen bemerkbar macht, wo Kinder nun davon ausgehen, es sei in Ordnung jemanden als „Judenschwein“ zu beschimpfen, weil sie diese infame „Lustigkeit“ beim NRK gesehen haben.

Sei es bewusst oder unbewusst – die Methode des Rundfunksenders an sich ist ein Spiegelbild dessen, was in den letzten Jahren bei den rechtspopulistischen­ Parteien Europas Routine geworden ist. Zuerst wird eine perfide Behauptung oder ein Witz gemacht. Danach wird behauptet, die Aussage sei völlig in Ordnung, und anschließend – und erst nach großem Aufsehen – gibt es eine widerstrebende Entschuldigung: „Wenn es denn tatsächlich so ist, dass jemanden sich hiervon verunglimpft fühlt.“

Es ist unvorstellbar, dass der verantwortliche NRK-Redakteur Thor Gjermund Eriksen in den zwei Wochen nach der Veröffentlichung des Sketches selbst nichts dazu gesagt hat. Als er dann endlich vom Urlaubsort aus das Wort ergreift und das Entfernen des Sketches und eine Entschuldigung anordnet, beauftragt Eriksen gleichzeitig unter anderem den Leiter der Unterhaltungsabteilu­ng Charlo Halvorsen mit der Aufgabe zu erklären, was geschehen ist. Derselbe Halvorsen, der einen Tag zuvor, der Zeitung Aftenposten versichert hat, die Thematik des Sketches sei völlig in Ordnung.

Die Argumente für die Veröffentlichung des „Judenschwein“-Sketc­hes erscheinen unglaubwürdig. Der Ausschnitt zeigt ein stereotypisches Bild eines alten Rabbiners, der mit „Tagg einen Juden!“ gekennzeichnet ist. Die Scrabble-Regeln müssten auch gebrochen werden, damit der Witz passt. Daher ist es kaum zu glauben, dass dies nur waghalsige Satire sein soll. Es besteht keinerlei Zweifel daran, dass das Endergebnis als höchst antisemitisch zu verstehen ist – egal, ob Halvorsen und seine Leute etwas anderes behaupten.

Wenn der Vorstand dieses staatlichen Unternehmens so viel Zeit braucht, um festzustellen, dass etwas fürchterlich daneben gegangen ist, ist es auch höchste Zeit, die Frage zu stellen, inwiefern der Wille und die Fähigkeit, das Ganze in Ordnung zu bringen, überhaupt vorhanden ist.

Sie, verehrte Trine Skei Grande, repräsentieren den Besitzer des Senders. Es ist jetzt Zeit, dass Sie klar und deutlich zeigen, wo es nun entlanggehen soll.

Mit freundlichen Grüßen,

Bernt H. Lund
Ehemaliger Gefangene in Sachsenhausen, Zeitzeuge, Vorstand des Internationalen Sachenhausenkomitees­

Harald Sunde
General, ehemaliger Oberkommandierender der norwegischen Streitkräfte, Leiter eines Informationszentrums / Kriegsmuseum für Jugendliche

Asbjørn Svarstad
Journalist in Berlin, Fremdenführer der Gedenkstätte Sachsenhausen

 

 

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Dieser Beitrag wurde am 31. Juli 2019 veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink. 2 Kommentare

2 Gedanken zu „Satire auf Kosten von Juden

  1. Judenwitze sind pietätlos nicht nur wegen der Verfolgung durch die Nationalsozialisten, sondern auch wegen ihrer weltweit isolierten und durchaus prekären Lage. Viele Islamische Staaten nehmen die Forderung des Koran wörtlich: töte auch den letzten Juden.

    Der inkriminierte Sketch ist mir nicht bekannt. Dazu keine Stellungnahme.

    „Eine wesentliche Botschaft an die Jugendlichen während der Besuche der einstigen KZ ist, dass der tödliche Rassismus und Antisemitismus in Deutschland in verbaler Form, mit Tabu-Wörtern und geschmacklosem, hämischem Spott über Juden, anfing.“

    An der Stelle Korrektur: Nicht Spottworte waren der Anfang, sondern Anfang war eine 1933 professionell betriebene Propaganda. Anders als suggeriert war das kein „zwangloses Abtreiben“ in das Unheil, sondern dieses war konkret beabsichtigt. (Goebbels, Joseph? Klingelt da was?)

    Schmäh- und Spottworte über Juden gibt es seit Jahrhunderten. Spätestens seit Gründung des Deutschen Reichs hatten die gleichen bürgerlichen Rechte wie alle anderen auch. Erst im Nationalsozialismus wurden mittelalterliche Zustände künstlich restauriert.

    Das Verpönen von Spottworten ist Beschneidung der Sprache. Es bedeutet Erziehung von mündigen Bürgern (böses Wort, du-du!). Die „Politische Korrektheit“ in der Sprache ist entwürdigend und untergrundfördernd, meine Damen und Herren. Der Staat hat in der Sprache nichts verloren.

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