von Lügenpresse-Prinzessin Elke Wittich
Was die gemeine Lügenpresse tut, ist schnell erklärt: Nicht haargenau das schreiben oder senden, was der Meinung des nicht minder gemeinen Lügenpresse-Schreiers entspricht. So einfach ist das – und so einfach ist das auch wieder nicht. Denn das Misstrauen Journalisten gegenüber ist nicht nur unter denjenigen, die mit großem Vergnügen auf Pegida-Demos Rednern zujubeln, die Journalisten als Pack bezeichnen, das mit Mistgabeln aus ihren Redaktionen herausgejagt gehöre, groß. Auch unter Menschen, die sich als links oder irgendwie kritisch bezeichnen, neigt man dazu, Berichte, die nicht ins Weltbild passen, für erlogen zu halten – was zusammen mit der überall in sozalen Netzwerken grassierender Leseinkompetenz zu erstaunlichen Ergebnissen führen kann. Im Fall der Fakegeschichte über einen verstorbenen Flüchtling in Berlin hatten beispielsweise nur wenige die ersten Artikel wirklich auch zur Gänze gelesen oder gar verstanden, denn sofort bildete sich auf Twitter eine empörte Masse, die lautstark beklagte, dass „schon wieder“ jemand am Lageso „erfroren“ sei, und „wieviele Tote es denn noch“ geben müsse. Mit (später als Lügen entlarvten) Fakten zu argumentieren erwies sich als ähnlich unmöglich wie denjenigen, die nach unzureichender mentaler Verarbeitung diverser Alarmmeldungen einige Wochen zuvor fest davon überzeugt waren, dass es in der Kölner Silvesternacht zu „tausendfachen Vergewaltigungen“ gekommen sei.
Nun unterscheiden sich rechte Verschwörungstheoretiker von allen anderen Leuten, die Überschriften bloß zur Hälfte lesen und sofort Bescheid wissen, darin, dass sie ihre Informationen fast nur noch von einschlägigen Hetz-Publikationen beziehen. Und alle Journalisten am liebsten an Laternenpfählen aufhängen würden, mindestens (wobei in Redaktionen regelmäßig weitergehende, sehr blutrünstige und auch Familien und Freunde mit einbeziehende Mordphantasien landen), und nicht wie manche Linke bloß die von Springer.
Aber woran liegt es, dass das Schlagwort von der Lügenpresse so immens populär wurde? Mit RT deutsch haben rechte Wutbürger zwar in der Tat seit November 2014 einen eigenen Fernsehsender, der ihnen Pegida- und Legida-Kundgebungen live überträgt, allerdings greift man dort auch Themen wie rassistische und flüchtlingsfeindliche Karnevalswagen auf, die in diesen Kreisen eigentlich für ganz besonders lustig gehalten werden.
Der Hass auf Presse, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, grüne und linke Politiker, Amerikaner, Israelis und so weiter und so fort begann allerdings nicht erst mit dem Sendungsbeginn des russischen Propagandasenders. Verschwörungstheorie-Seiten sind so alt wie das Internet, allerdings wurden Leute, die an Chemtrails und gezielte Versklavung der Menschheit und Strahlen, die Gedanken beeinflussen glauben, lange Zeit als harmlose Spinner gesehen. Dass die verbreiteten Hetzgeschichten in aller Regel so angelegt sind, dass sie beispielsweise die in diesen Kreisen gern gelesenen „Prophezeihungen der Weisen von Zion“ nachträglich legitmieren, also Fakten so verbiegen, dass sie zu den Aussagen des uralten Propagandamachwerks passen, wurde gerade unter Journalisten als nicht wirklich dramatisch angesehen. Dazu passt, dass in Boulevardzeitungen, Talkshows, Illustrierten regelmäßig Themen auftauchten, die eigentlich nichts weiter waren und sind als Verschwörungstheorien, teilweise vorgetragen von ausgiebig zu Wort kommenden Leuten, die heute eindeutig als antisemitische, rassistische, rechte Hetzer gelten. Interessierte Leser und Zuschauer, die sich im Internet weiter informieren wollten, gerieten bei ihren Suchen in bestens vorbereitete und vernetzte Foren und auf Webseiten, die das bieten, was verunsicherte Menschen nicht erst seit Pegida so massenhaft zu suchen scheinen: Einfache Erklärungen und klare Schuldige, und dazu das Gefühl, zu den wenigen Eingeweihten zu gehören, die den Lauf der Welt verstehen.
Dabei ist es nicht nur Pegida zu verdanken, dass mittlerweile jede bessere Kleinstadtzeitung sich ihre eigene Verschwörungstheorie-Koryphäe hält, denn es waren unter anderem Masernepidemien, die zum ersten Mal zeigten, dass es mit den Impfgegnern einer ganzen Szene gelungen war, Menschen zu erreichen, die mit dem landläufigen Bild vom arbeitslosen, leicht trotteligen und sozial isolierten Verschwörungstheoretiker nichts gemein hatten. Und die über diese Impfgegner immer tiefer in den üblichen Strudel aus „der Mainstream-Presse nicht mehr vertrauen“ und daraus resultierender Empfänglichkeit für weitere Lügenpropaganda gerieten.
Ist das reversibel? Vermutlich nicht. Denn für Aufklärung ist es längst zu spät – sie wird als Desinformation betrachtet, und erreicht diejenigen, die sehr zufrieden mit den einfachen Erklärungen sind, schon lange nicht mehr.
Ein Teil dieses Textes erschien zuerst in der Jungle World
Zustimmung!
Ich denke auch, dass soviel geschrieben wird, weil alle immer lesen wollen. Ich verstehe den Ansatz der Autorin, die ganz zutreffend und richtungsweisend dafür plädiert, dass für jeden geschrieben wird, was er lesen will!
Schließlich ist der Leser auch Kunde und wofür haben wir denn das Internet?
Bravo! Und, liebe @Elquee, weiter so!
HA! 81. Das soll ja wohl ein Witz sein.