Der royale Journalistenfragebogen der Prinzessinnenreporter (1)

Foto: Bertz + Fischer

Foto: Bertz + Fischer

Ausgefüllt von Georg Seeßlen 

Der Journalist – das unbekannte Wesen. Wir wissen zumindest: Journalisten sind vielbeschäftigte Leute. Dennoch baten wir ausgewählte Exemplare, sich einen Augenblick Zeit zu nehmen und unsere Fragen zu beantworten. Es ist schließlich zu ihrem Besten. Denn um den Online-Journalismus zu retten, brauchen die Prinzessinnenreporter ein paar Daten zur Evaluation. Und im Sommer lassen wir nun mal auch gern andere für uns arbeiten. Die Prinzessinnenreporter bedanken sich huldvoll bei allen Teilnehmer/innen und veröffentlichen die Antworten in loser Folge. 


Den Anfang macht Georg Seeßlen, freier Autor, Kultur- und Filmkritiker, letzte Buchveröffentlichungen: „Digitales Dating. Liebe und Sex in Zeiten des Internets“ (Bertz + Fischer), „Geld frisst Kunst – Kunst frisst Geld. Ein Pamphlet“ (mit Markus Metz; Suhrkamp).

 

1) Gerüchteweise achten eigentlich nur Journalisten auf die Autorennamen über oder unter einem Text – wann haben Sie sich/hast Du Dir zum ersten Mal einen Autorennamen gemerkt und warum?
Es war, glaube ich, die Unterschrift unter einem Bild; später sagt man „Signatur“. Signaturen haben mich immer fasziniert, auch wenn es sich um die Krawatten von Bankangestellten handelt. Jeder Name ist ein Roman. Jede Signatur eine Abenteuergeschichte. Ein Mensch sagt: Ich sage. Das ist allerhand. (Ich glaube, irgend jemand hat herausgefunden, dass es bei Affen einen speziellen Code für „Jetzt rede ich“ gibt.)
Ein Libretto für eine Oper schreiben, das nur aus den Namenschildern einer Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit oder für Futtermittelherstellungsrationalisierung besteht!
In der Literatur kann man schlechte und gute Namenerfinder unterscheiden.
Signaturen von journalistischer Arbeit sind mir wichtig, seit ich weiß, dass Journalismus auch ein Verbrechen sein kann.
Es ist erhebend sinnlos, Menschen dabei zuzusehen, wie sie vergeblich versuchen, sich einen Namen zu machen. Die Signatur zum Branding machen: Professionalisierung: Man verdient Geld mit seinem Namen, der eine mehr, die andere weniger.
Erst durch die Signatur wird aus den journalistischen Texten eine Erzählung.
Genau das ist die Frage: Das journalistische Subjekt. Dieser verdammte Name ist ein schlechter Ersatz für die Frage nach dem journalistischen Subjekt.
Und ganz davon abgesehen: Eitelkeit ist nicht mal die schlimmste Eigenschaft, die man Journalisten und Journalistinnen nachsagen kann.

2) Wie lautet Ihre/Deine Lieblingsschlagzeile?
Mel Brooks: „Es ist genau so, wie X. gesagt hat.“ (Nachdem drei Tage hintereinander die Verlautbarungen von X die Schlagzeilen bildeten.)

3) Ihr/Dein peinlichstes Erlebnis auf einer Pressekonferenz?
Ich bin in meinem Leben nie auf einer Pressekonferenz gewesen. Alles, was ich davon via Fernsehen, Radio oder Erzählung gehört habe, ist schrecklich. Aber ich erinnere mich an Gespräche mit Regisseuren bei Filmfestivals, von denen ich die meisten glücklicherweise verschlafen oder in halbbetrunkenem Zustand erlebt habe. Und manchmal habe ich mich gefragt, ob Künstler und Künstlerinnen nicht so sehr für ihre Arbeit als dafür bezahlt werden sollten, dass sie die geballten Ladungen von Dummheit, Ignoranz und Arroganz überstehen und nett dabei bleiben sollen, oder wenigstens eine Rolle spielen, die eine gewisse Konsistenz verraten soll. 
Die Besucher einer Pressekonferenz werden an Furchtbarkeit nur durch jene übertroffen, die eine Pressekonferenz, äh, „geben“.
(„Journalistenschreck“ ist anstrengend und führt am Ende auch zu nichts.)

4) Wie kann der Journalismus auf keinen Fall gerettet werden?
Journalismus ist auch nur ein Wort. Wörter kann man nicht retten, wenn sie nichts mehr sagen.
Auf jeden Fall kann der Journalismus nicht von Journalisten gerettet werden. Von anderen schon gar nicht.
Der Journalismus muss unter das Dach der Kunst flüchten, und da ist er dann natürlich kein Journalismus mehr. Oder er muss unter das Dach der Wissenschaft flüchten, und da ist er natürlich keine Kunst mehr. Oder er zieht eben die Konsequenz und tut gar nicht mehr so, als sei er was anderes als Werbung und Propaganda.
Journalismus wird zerfallen. Mal sehen, was aus den Zerfallsprodukten wird. Von etwas auszugehen, was man als irgendein Ganzes „Journalismus“ nennt, könnte im jetzigen Stadium schon retromanisch scheinen (und ist an anderem Ort garantiert reaktionär).
Es gibt keinen Journalismus in der Postdemokratie.

5) Wenn es einen speziellen Himmel für Journalisten gäbe – auf wen da oben würden Sie sich/würdest Du Dich freuen?
Karl Kraus und Susan Sontag. Aber waren das „Journalisten“? Oder Franca Magnani, die war, wie man so sagt, eine „Vollblutjournalistin“, und vor allem eine wunderbare Erklärerin. Sie war bei den Leuten während ihre Kollegen und Kolleginnen bei den Mächtigen waren; sie hat Situationen erfasst, während ihre Kollegen und Kolleginnen Verlautbarungen kommentierten oder Sandkastenspiele spielten. Sie kommt aus einer Zeit, da Journalismus noch geholfen haben hätte können. Seufz!

6) Und wem auf Erden würden Sie/würdest Du am liebsten den Stift klauen?
Ohne Schmarrn: Mir selber. Weil: Schreiben ist nicht nur ein Broterwerb (und das immer weniger), sondern auch eine Droge. Es ist eine Form zu existieren, und nicht die gesündeste.

7) Welchen anderen Beruf hätten Sie sich/hättest Du Dir noch vorstellen können?
Was ist ein Beruf? Das 19. Jahrhundert ist vorbei. Man nennt das jetzt Geschäftsmodell.
Mit halbwegs gutem Gewissen immer woanders zu sein, unterwegs, dazu braucht man eben eine Ausrede. Und eine politische Ökonomie.
Ich bin was ich bin und das ist alles was ich bin – was bin ich denn? (Popeye der Seemann)

8) Ihr/e Wunschinterviewpartner/in?
Ich hatte sie alle. Ich kriege sie alle. Nein, Quatsch. Aber „Journalismus“ war für mich unter anderem immer die Möglichkeit, Menschen und Räume kennenzulernen, zu denen ich ansonsten keinen Zutritt gehabt hätte.
Ich mache aber keine Interviews. Ich rede mit Leuten.
Klugen Menschen ihre Klugheit abverlangen (wie ein gewisser Zöllner); dumme Leute ihre Dummheiten sagen lassen.
Jetzt fällt es mir ein: Detektiv hätte man auch werden können. Aber erstens wird man da auch sehr leicht erschossen, und zweitens, also ich bitte Euch!

9) Wie würde eine Zeitung aussehen, bei der Sie/Du ganz alleinige/r Chefredakteurkönig/in wären/wärst? Und wie würde sie heißen?
SMS (Stop Making Sense) Und sie würde jeden Morgen an einem anderen Ort der Stadt von einer immer anderen Band vorgetragen und wäre dann weg.
Alle anderen Zeitungen müssten natürlich schon verschwunden sein, ist ja nur eine Frage der Zeit. Boa, das wäre ein Auflauf, jeden Morgen. Wäre auch gut für den Verkehr, oder gegen ihn, wie man es nimmt.
Ich weiß aber nicht, ob die Zombies sich für so eine Zeitung interessieren werden. Oder Cyborgs. Cyborgs, die plötzlich keinen Sinn mehr machen dürfen. Das gibt’s doch gar nicht.
Aber mit der SMS würden wir alle so furchtbar reich, dass wir auf eine Sonntagsausgabe verzichten könnten. Und das wäre doch schon was, oder?

10) Wenn Gott Journalist wäre, für welche Zeitung tät sie schreiben?
Für SMS natürlich. Aber weil es Gott nicht gibt oder sie zumindest was Besseres zu tun hat, als sich um uns zu kümmern, sehe ich auch für die SMS nicht besonders unschwarz.

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