Die Große Distanz : Elektroschrott

Foto: #WOCinTech unter CC

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Jedes Jahr, etwa um die Zeit herum, da Apple seine neuen Produkte vorstellt, besinnt sich ganz Deutschland auf das Verfallsdatum seiner Elektrogeräte. Ganz Deutschland? Nein, ein Bullshitbeauftragter regt sich auf. Samael Falkner über (un)geplante Neuanschaffungen und das Internet of Shit.

Früher haben Geräte zehn bis zweihundert Jahre lang gehalten. Das ist ausnahmsweise keine Übertreibung, sondern ein Fakt. Sehr zur Überraschung ihres Erfinders Robert Walker, der sie für einen Fehlversuch hielt, klingelt die Oxford Electric Bell seit 1840. Nun ist das Klingeln heute nicht mehr allzu laut hörbar, treibt dafür auch bereits die zehnte Generation von Museumswächtern in den Wahnsinn. Zehn Milliarden Mal hat sie bisher geklingelt. Mein exakt zwei Jahre altes Smartphone hingegen klingelte vor einem Monat zum letzten Mal.

Neben dem Akku waren auch der Lautsprecher und Kopfhöreranschluss hin. Für ein so hochleistungsfähiges Gerät, das Musikplayer, Computer, Reader, sehr gute Digitalkamera, Navigationsgerät und Telefon in einem ist, stellen zwei bis drei Jahre heute bereits eine relativ lange Nutzungszeit dar. Das liegt jedoch selten daran, dass irgendwelche geplanten Schwachstellen die Obsoleszenz einleiten, sondern viel mehr daran, dass wir jederzeit zu einem neuen Gerät greifen können. Rund 28 Millionen Smartphones gingen im laufenden Jahr in Deutschland über die Theke. Und sie machen eine Bruchteil der Elektronikverkäufe im Unterhaltungs- und Kommunikationsbereich aus. Wearables, Digitalkameras, PCs, Laptops, Tablets, Spielekonsolen, Fernseher – Sie alle verkaufen sich im Akkord. Der billigste Smart-TV kostet bei Amazon aktuell 129,99€. Damit lohnt nicht nur die Reparatur nach zwei Jahren nicht mehr, es steht auch einer Neuanschaffung mehrmals im Jahr theoretisch nichts mehr im Wege.

Meine Facebook-Timeline jammert. Laut. Pünktlich eine Woche nach dem Verkaufsstart der neuen Apple-Produkte denken in jedem Jahr auch Windows- und Linux-Nutzer plötzlich darüber nach, ob sie den neuen Gadgets nicht doch eine Chance geben sollten. Dabei reicht die Mythenbildung von der längeren Haltbarkeit bis hin zur besseren Verarbeitung. Während die asiatischen Hersteller ihre Billiggeräte immer günstiger anbieten können, gehen bei Apple die Preise steil und mit ihnen steigt die Bereitschaft, die vermeintlich höhere Qualität zu erwerben. Das alte Handy sei ja nun doch bereits etwas älter, das Notebook bräuchte eigentlich auch mal einen neuen Prozessor – da könne man doch gleich zum neuen Macbook greifen.

Natürlich hätte ich das Smartphone weiternutzen können. Dann eben nur 18 Stunden bis zur nächsten Aufladung und nur, um Terminkalender und Mails zu pflegen, Anrufe zu tätigen und zu fotografieren. Also kurz gesagt, all dem, wozu so ein Gerät geschaffen wurde. Warum habe ich mich für den Neukauf entschieden? Und warum denke ich seit Monaten sowohl über die Anschaffung eines Putzroboters nach, als auch über eine Smartcam, die meine Katze für mich überwacht, wenn ich länger als einen halben Tag außer Haus bin?

Das „Internet of Shit“ ist quasi das lebendige Gegenstück zum nahezu fiktiven „Internet of things“, eine Utopie in der Geräte sinnvoll miteinander kommunizieren und den Alltag vereinfachen. In seinem Smarthome, also voll vernetzten Haus, in dem das Dach den Rollläden mitteilt, ob Sonne oder Regen vorherrschen und die Heizung sich ausschaltet, wenn sich länger als eine Stunde niemand im Raum bewegt, sollte der moderne Mensch, hier im reichen Westen, eigentlich keine Arbeitszeit mehr mit Putzen, Lüften und Füttern seiner Haustiere verbringen müssen. Dass er es trotzdem tut, liegt daran, dass Elektronik auch weiterhin, entschuldigen Sie den Ausdruck, dumm wie Scheiße ist, wie der Roomba eindrucksvoll beweist.

Aber wir kaufen es. Wir kaufen alles, wenn es uns angeboten wird. Zu günstigen Preisen, oder auf Raten, Hauptsache die Wohnung ist vollgestopft mit Elektronik. Und jedes Jahr zur Keynote, lassen wir alles stehen und liegen und fragen uns, ob wir das „Richtige“ gekauft haben, oder es irgendwo da draußen einen noch schöneren Haufen Scheiße gibt, der nach zwei Jahren im Sondermüll landet. Alle fünf Jahre dann, leeren wir unsere „Technikkiste“ – oh ja, jeder hat eine, auch Sie – und entsorgen Kabel, Festplatten, alte Tastaturen und Mäuse, die wir uns mal als Backup beiseite gelegt hatten. Nur für den Fall, dass mal etwas kaputt geht und wir nicht sofort das Nachfolgemodell kaufen. In der Realität ist das allerdings noch nie geschehen. In der Realität wischen wir dem Putzroboter nach und die Katze sitzt anklagend vor dem defekten Futterspender. Hier, in der futuristische Realität, kaufen wir viel zu viel von diesem Elektroschrott.

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