Der Führer hätte sich gelangweilt: „Finis Germania“

Fast wäre der vermeintliche rechte Bestseller des Jahres unbesehen an den Lesern vorbeigezogen, wie alle Veröffentlichungen der Nischenverlage. Aber dann tauchte er plötzlich in einer Liste auf und das Drama nahm seinen Lauf. Über Sieferles “Finis Germania”, ein Buch, so glanzlos wie ein Kanten Brot.

von Samael Falkner

Wie viele Bücher aus dem Verlag Antaios haben Sie im Regal stehen? Ich bitte um eine ehrliche Zählung. Machen Sie gern auch Ihr Kreuzchen bei “Kenne den Verlag nicht”. Sie haben auch nicht allzu viel verpasst. Viel wichtiger ist jedoch : Wenn Sie die Debatte um “Finis Germania”, diesen spannenden Bestseller der Rechten, um den es wochenlange Diskussionen gab, verfolgt haben, dann kennen Sie Antaios. Der Verlag Antaios mit Sitz in Schnellroda ist ein kleiner Nischenverlag mit kleinen Editionsauflagen unter Leitung des Rechten Götz Kubitschek. Kubitschek wird gern als Vordenker und waches Hirn der neuen Rechten gefeiert, aber ganz sicher entkoppelt er das meisterlich von seiner Verlagstätigkeit. Aktuell findet die jährliche Frankfurter Buchmesse statt und wie in jedem Jahr regen sich hier und da Stimmen, man sollte die rechten Verlage doch endlich von dort verdrängen, rechte Politik habe auf einer Buchmesse nichts verloren. Wenn Sie mich fragen, ist das Unsinn. Wenn politische Literatur ein Bestandteil der Messe ist, dann haben auch die Rechten ihre Ecke verdient. Richtig ist allerdings, dass gerade Verlage wie der Kopp Verlag oft große Flächen aufkaufen, die man ihnen durchaus beschränken sollte, um die Bühne nicht größer zu machen, als sie ist. 

Der Verlag Antaios hat nun also im Februar 2017 “Finis Germania” des verstorbenen Historikers Rolf Peter Sieferle verlegt, eine Sammlung von Texten zu allen möglichen Dingen, hier und da zu Deutschland. Von Sieferles Historikertätigkeit ist in den kurzen Texten leider wenig zu merken, aber dazu später mehr. Finis Germania ist ein kleines, unscheinbares Buch. Viel kleiner, als man es sich vorstellt, wenn man die hitzigen Debatten dazu las, in denen die Meinung dominierte, das Buch dürfe nicht auf einer gedruckten Bestsellerliste erscheinen, da es sonst gekauft würde. Und natürlich geschah genau das, es wurde gekauft. Und dann, ja dann, stelle ich mir die Gesichter der wütenden Rechten vor, die einen neuen Leitfaden erwarteten, etwas das man herumerzählen kann. “Ich habe bei Sieferle gelesen, die Deutschen sterben aus!”, “Die Flüchtlingswelle überrollt uns!” oder ähnliches. Irgendeine Referenz auf das Buch, um belesen zu wirken und heimlich daheim ein kleines Heil Hitler zu machen, sich ein Bier zu köpfen und endlich wieder Deutsch zu fühlen. Endlich verstanden!

Und dann die beruhigende Stille bereits beim Vorwort. Wie viele Ausgaben des Buches wohl in Zimmerecken verrotten, in die sie krachend flogen, nachdem der Leser bereits nach wenigen Seiten verstand, dass er nicht die Zielgruppe ist? Wir werden es nicht erfahren. Ich habe Finis Germania gelesen. Ich habe es dazu nicht erworben. Ich glaube, man sollte rechte Verlage, die aus ihren Einnahmen möglicherweise Naziversammlungen, rechte Konzerte und Propaganda finanzieren, nicht unterstützen. Zuerst noch ein Wort zu dem Buch selbst. Die Ausgabe ist ausnehmend gut gearbeitet und hochwertig gedruckt. Es gibt keinen Zweifel daran, dass Antaios sich mit seiner Edition tatsächlich Mühe macht und, für den Leser der den Themen des Verlags zugesprochen ist, einen wirklichen Mehrwert erzeugt. Nur leider täuscht auch die wertige Aufmachung nicht darüber hinweg, dass das Buch selbst absoluter Schund ist.

Ich weiß nicht, in welcher Verfassung Sieferle die Texte verfasst hat, aber sie überzeugen weder inhaltlich noch sprachlich. Sprachlich sind sie sogar häufig so unangenehm verklausuliert, dass den Leser ein Hauch von Pseudo-Elitarismus anweht. Auch ein Fachbuch ist nur so gut, wie es Inhalte zu vermitteln weiß. Das gelingt Sieferle an keiner Stelle. Schräge Metaphern und unsinnige Analogien weisen darauf hin, dass es auch innerhalb der Texte keinen roten Faden gab. Kommen wir aber zum Inhalt. Sieferle schreibt über Dinge, die er als Historiker eigentlich hätte recherchieren können. Ein Leitmotiv dabei ist die NS-Zeit. “Hah, ich wusst es! Nazis!” ruft der Leser nun aus. Und tatsächlich kommen die Nazis in diesem Buch nicht schlecht weg. Allerdings tun sie es auf eine so komplizierte Weise, dass der Rechte, der hier nach Bestätigung sucht, vermutlich gar nicht erkennt, dass er bestätigt wird. Dabei gibt es einiges zu entdecken!

Da ist beispielsweise die Stelle, an der sich Sieferle dafür einsetzt, es müsse eine herrschende Klasse in Deutschland geben. Unter dieser versteht er eine Politikerkaste, die ihre Posten ausschließlich vererbt und ewig regiert. Er ist der wirren Ansicht, nur wer als Politiker geboren würde, könne auch gute Politik machen und ordnet die aktuelle Regierung einer Arbeiterklasse zu. Dass diese Art der Politik zu einer Aristokratie führen würde, ist Sieferle dabei augenscheinlich egal, von der Demokratie hält er ohnehin nicht viel. Weiter ist er der Meinung, dass Diktaturen auch ihr Gutes haben und – hier ist auch die Anordnung der Texte witzlos – gleich nach einem Text über die NS-Führung setzt er sich dafür ein, dass gestürzte Herrscher keinerlei Strafe erhalten sollten, sie seien ja gestraft genug mit einem neuen System um sie herum. Eigentlich sagt Sieferle hier “Nürnberg war bisschen too much”, aber er sagt es eben nicht direkt. Direkter wird er bei der “Auschwitzlüge”. Auschwitz ist für ihn ein Mythos wie eigentlich die gesamte NS-Zeit und um diesen Mythos herum sei ein Opferkult gebaut, in dem die Deutschen gefangen seien. Soso. Kein Wunder eigentlich, dass er diese Art Text nicht zu Lebzeiten veröffentlicht hat. Ganze Seiten lang nutzt er Juden und Deutsche als einen Gegensatz, der Deutsche als vermeintlicher Täter und “der Jude” als vermeintliches Opfer. “Die Welt braucht offenbar Juden oder Deutsche, um sich ihrer moralischen Qualitäten sicher zu sein” schreibt er, verliert sich dann darin, dass der deutsche Opferkult aufgehoben werden müsse und schließt den Text zum “Mythos” mit “Aber vielleicht braucht die Welt dann andere Juden”. Aha.

Auch Tiermetaphern sind in Finis Germania gern gesehen. Bereits der Führer wusste ja Tiermetaphern zu schätzen, nicht wahr. Und so ergeht sich Sieferle darin, dass der Mensch ja ein territoriales Tier sei und nur in seinem Lebensraum überleben könne. Etwas später vergleicht er Migranten mit Ackergäulen. Moment, tut er das wirklich? Nein haha, nur Spaß. Er schreibt natürlich erst über Migration und dann über Ackergäule. Das sind zwei völlig voneinander abgetrennte Absätze, keine Sorge. Vermutlich ist Finis Germania das Letzte, was je von Sieferle erscheinen wird. Je weiter man in dem Buch mühselig vorrückt, desto mehr erwartet man, dass der letzte Text einfach mit einem fröhlichen “Heil Hitler!” abschließt. Aber so dumm sind weder Sieferle noch Kubitschek. Und eigentlich ist alles viel dröger, denn der letzte Absatz liest sich wie eine Zusammenfassung des grauenhaften Stils des gesamten Bandes. “Wäre es da nicht plausibel, wenn nach dem Obsoletwerden der Geschichtsphilosophie auf den antiken Gedanken einer ungeordneten Fluktuation zurückgegriffen würde, unter Verzicht auf die Annahme kosmologischer Konstanz?” fragt Sieferle “Also eine erneute Renaissance, jedoch als neuartiges Amalgam zweier Figuren: irreversible Prozesse ohne Bewertung im Sinne von Fortschritt oder Niedergang?”. Man möchte ihm antworten “Nope.”, nur um das überakademisierte Geseier zu beenden, aber es endet nicht, ihm folgt ein Nachwort.

Zwei Fragen: Würden Sie 100 Seiten in diesem Stil lesen wollen? Glauben Sie, dass andere Menschen 100 Seiten in diesem Stil lesen wollen? Die Leserschaft, die dieses Buch anspricht, ist eher übersichtlich. Aber es landete dennoch in den Bestsellerlisten. Und dann in der öffentlichen Debatte und am Ende bekam es mehr Aufmerksamkeit, viel mehr Aufmerksamkeit, als es sich verdient hatte. Kubitschek dürfte sich über diese Beachtung in den Schlaf gelacht haben. Und es ist bemerkenswert, mit was dieses Buch davonkommt. Es betreibt ganz offen Geschichtsrevisionismus, behauptet verklausuliert, die Linken hätten massiv von dem Massenmord der NS-Zeit profitiert und macht “den Juden” zu einer Art Einhorn, das der Deutsche nur aus dem Hut zaubert, um den Rechten ein schlechtes Gewissen zu machen. Sprachlich geschickt werden hier direkt mehrere Straftatbestände umschifft.

Dennoch waren die Medien sich nicht zu blöd, diesem Stück extrem langweiligen, langwierigen, für den pensionierten Philosophieprofessor der nun auch AfD wählt geschriebenen, Hass ihre ungeteilte Aufmerksamkeit zu schenken. Einem Buch, das praktisch jeder in der Buchhandlung ungelesen zurück ins Regal gestellt hätte, eben weil es nicht deutlich wird. Und nun fragen sich alle wieder, warum die rechten Verlage auf der Buchmesse immer mehr wachsen. Aber ich verrate es ihnen nicht.


Eine weitere Meinung dazu von Prinzessin Bernhard Torsch.

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