“ABER DAS MACHT DOCH NICHTS“

Wie war Theodor W. Adorno eigentlich als Prüfer? Unser Gastprinz, der Soziologe Dieter Bott, erinnert sich an sein Vordiplom in Soziologie bei TWA Mitte der sechziger Jahre in Frankfurt am Main.

Foto: Marit Hofmann

Es hatte sich bei uns Prüflingen herumgesprochen, dass höchstwahrscheinlich und wenigstens eine Klausur sich mit einem Thema aus der „Industrie- und Betriebssoziologie“ beschäftigen müsse, und so bimsten wir Industrie- und Betriebssoziologie. Haste gedacht – falsch spekuliert: Zur „Soziologie der Schule“ – die uns Doktor Manfred Teschner beigebracht hatte, der später auch seinen jüngeren Bruder unseren SDS-Genossen Eckhart Teschner als Professor an die TU  nach Darmstadt holte – schrieb ich die Klausur, und ich meine, ich bekam nur eine knickerige und mickerige Drei plus.

Für die mündliche Prüfung war bekannt, dass Adorno die KandidatInnen  generös fragt, auf was sie sich denn vorbereitet haben: “WAS MÖCHTEN SIE MIR DENN ERZÄHLEN, HERR  BOTT?“

Als ich ihm Industrie- und Betriebssoziologie vorschlug, um mein für die Klausur vergeblich angehäuftes Spezialwissen abzutragen, sieht mich TWA ganz unglücklich an und sagt: „Lieber Herr Bott, ich höre schon den ganzen Morgen dieses Thema beim Prüfen. Können Sie mir einen Gefallen tun und mir bitte was anderes erzählen?! Ich werde das auch in der Note berücksichtigen, dass es nur Ihre zweite Wahl ist.“

Wieso ich ihm Auguste Comte vorschlage, den französischen Großvater der Soziologie und des empirischen „Positivismus“? Ich weiß es nicht mehr – jedenfalls repetiere ich brav sein berühmtes Drei-Stadien-Gesetz. Und dann greift Adorno ein: Für einen Positivisten  sei ein solches Drei-Stadien-Gesetz dann doch merkwürdig. TWA will darauf hinaus, dass das dann doch noch ein ganz schönes Stück Geschichtsphilosophie sei  – für einen Positivisten, aber mir fällt der philosophische Fachbegrifff nicht ein.

Ob ich denn die Doktorarbeit von Oskar Negt über Comte gelesen hätte, fragt mich Adorno – und ich muss  meinen ganzen Mut zusammen nehmen  und sage NEIN. “ABER DAS MACHT DOCH NICHTS“, tröstet mich Adorno. „So gut ist diese Arbeit von Negt ja gar nicht.“

Ich war erleichtert und bekam eine glatte Zwei. Adorno war ein humaner Prüfer. Er hatte es nicht nötig, sich am Angstschweiß seiner Kandidatinnen zu delektieren, was ich später als Beisitzer in vielen Prüfungen erlebt habe. 

Und Oskar Negt? Mit seiner Tabakspfeife, die er sich in aller Bedachtsamkeit stopfte? Du merkst schon – er war einfach nicht der Typ, der mich begeistern konnte, er war mir zu bräsig – und hat zum Entsetzen von seinem alten Freund und SB-Genossen Wolf-Dieter Narr kurz vor dessen Tod noch einen Aufruf zur Wahl der SPD unterzeichnet – trotz Hartz 4 und alledem …

Nur noch eine Kleinigkeit über Adornos Prüfungen, allerdings aus zweiter Hand. Mein Freund Axel Hübner von den linken Pfadfindern – der viel zu früh verstorben ist und der mich gottseidank wegen der schmalen Rente überredet hat , bei ihm an der Frankfurter FH noch eine zusätzliche externe Prüfung als Sozialarbeiter zu machen -mit einer Diplomarbeit über die Eintracht-Fans …-

Professor Axel Hübner erzählte über seine mündliche Prüfung bei Adorno: Adorno, der auch nicht mehr der Jüngste war – und doch schon mit 66 Jahren 1969 gestorben ist – hatte sich auf seiner Schässe-longe ein bisschen ausgestreckt, als Axel ins Prüfungszimmer reingeholt wurde. Das muss ziemlich entspannend für die beiden gewesen sein – und Adorno fragt wie üblich, was denn Axel Hübner ihm erzählen möchte. Über Ernst Bloch will er sich prüfen lassen, sagt Axel und bekommt prompt einen Korb von Adorno: “Über meinen Freund Ernst Bloch prüfe ich nicht ab.“

Wobei „mein Freund Ernst Bloch“ und seine Beziehung zu Adorno ein weites Feld ist. Höchste Zeit, das Nähkästchen zu schließen.

(Feedback erwünscht an bott.dieter@gmx.de)

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