Gastprinzessin Kuku Schrapnell hat eine erschlichene Tageskarte für die Buchmesse wieder für eine unglaublich spannende und wichtige Hintergrund-Reportage genutzt
Die Leipziger Buchmesse ist ja schon immer so ein Ereignis. Mit dem fünften Besuch stellt sich aber auch eine gewisse Abgeklärtheit ein. Es gibt halt viele Verlage, unzählige Autor*innen, die ganze Bandbreite des bildungsbürgerlichen Spektrums und Bücher. Richtig viele Bücher. Vor allem so Bücher, die man dann bei einer Lesung vorgestellt bekommt oder von einem Klappentext, und man denkt sich: „Das müsste ich echt mal lesen.“ Und dann landet es doch nur auf dem riesigen „Das müsste ich echt mal lesen“-Stapel. Das ist der Stapel neben dem „Ach, der Anfang war ja ganz gut, bald lese ich es wirklich mal“-Haufen und dem „Das könnte ich auch echt mal wieder lesen“-Regalbrett.
Trotzdem geh ich halt wieder hin, aber wirklich nur den einen Tag! Allein für die Atmosphäre. Literatur liegt in der Luft. Schon die Security am Einlass wartet mit einer formvollendeten Metrik auf und begleitet den Blick in die Handtasche mit einem trochäischem „Messer, Schere, böse Dinge? Pfefferspray?“. Doch nicht nur die Arbeitenden sind der Sprache verfallen. Neben mir säuselt ein Althippie in unendlicher Langsamkeit ins Telefon „Sach ich Max, wir müssen alle mal arbeiten.“ An anderen Orten wäre das eine glatte Lüge, hier wird es zum performativen Widerspruch, zur Fiktion, die die Realität nur über sich selbst hinaus treibt. Kunst, Baby!
Aber was Kunst denn jetzt ist, ist ja immer heiß umstritten. Also eigentlich geht es ja vor allem um die Frage, was keine Kunst ist. Bei einem sind sich dann aber doch die meisten erfahrenen Kulturmenschen einig: Cosplay ist keine Kunst. Denn die Cosplay-Halle sorgt zwar seit Jahren für unglaublich gute Umsätze, aber die seltsam angezogenen Kids wollen sich eben nicht so ganz in das Selbstbild des kritisch informierten Messebesuchers integrieren. Solange die kritisch informierten Messebesucher aber mit Sebastian Fitzek Merchandise herumlaufen, sollen die Cosplayer ruhig weiter ihr Ding machen und mit fabelhaft unpraktischen Outfits durch die Hallen flanieren.
Weniger eindeutig ist die Meinung hingegen in der Frage, wie man jetzt mit den rechten Schmuddelverlagen umgehen soll. Am besten halt gar nicht, dachte man sich auch dieses Jahr und hatte Glück, dass Kubitschek seine eigene Buchmesse in Halle schon eine Woche vorher veranstaltet hat. So sitzen Compact und der Terra Nostra e.V. halt alleine in der Nazi-Ecke. Also nichts wie hin. Auf dem Weg zu Elsässer muss ich aber irgendwo falsch abgebogen sein und bin plötzlich im Antiquariatsbereich gelandet. Das ist aber ungefähr das gleiche Publikum. Außer beim roten Antiquariat. Da stehen normale linke Muskelmänner und lesen Stalin. Bin jetzt verliebt. Jetzt aber doch zur Nazi-Ecke. Das Ganze ist aber wenig spektakulär. Elsässer wartet alleine hinter seinem Tresen, dass ihn jemand anspricht. Leider sind die einzigen Leute, die dafür in Frage kämen, damit beschäftigt halb im Selbstgespräch auf und ab zu gehen und zwischendurch niemand Bestimmtem zuzurufen: „Aber recht haben sie ja schon mit dem!“
Aber genug von den ganzen toten Büchern und leeren Gesichtern von ausgemergelten Verlagsangestellten. Die Buchmesse lebt ja von den Interaktionen und den Synergien und dem ganzen Drum und Dran. Irgendwie lande ich aber beim Deutschen Jugendliteraturpreis und bei der Laudatio für irgendein Stipendium sagt – Ja, wer eigentlich? Warum nehme ich denn nie die Pressemappe mit? – den schlauen Satz: „Das ist eine Ausbeutung, die uns glücklich macht.“ Der Saal applaudiert höflich. Als dann die Nominierten vorgestellt werden, kommen die Jugendjurys auf die Bühne und spielen ihre Lieblingsbücher vor, und auch wenn niemand von den Kleinen jetzt in naher Zukunft auf irgendwelche Schauspielpreise hoffen darf, setzen bei mir sofort die Mutterreflexe ein, und ich bin so stolz auf meine Bebis und heule eine halbe Stunde durch.
Nach dieser emotionalen Achterbahnfahrt erstmal runterkommen. Tief durchatmen. Nochmal durch die Messe spazieren. Das stellt sich aber schnell als Fehler heraus, denn unbedarft bin ich mitten in ein Verkaufsgespräch gelaufen, und ehe ich mich versehe, kriege ich zwei Wochen die Süddeutsche nach Hause und nehme an einem Gewinnspiel teil. Die Typen vom SZ-Stand sind auf jeden Fall richtig cool. Ich glaube, sie nennen sich gegenseitig „Dude“, aber vielleicht erfinde ich das auch gerade. Neben mir haben sie auch schon so einen älteren Herren in ihre Fänge bekommen, der aber sehr resolut sagt, er lese keine Zeitung, sondern gucke im Internet oder im Fernsehen nach, wenn ihn was interessiert. „Immerhin ne ehrliche Antwort“, kriegt er als Antwort. Und schon sind sie wieder bei mir: „Liest du häufiger die SZ? Willst du nur das kostenlose Kurzabo oder gleich das richtige? Gefällt dir die SZ?“
„Puh ja nee nich so, aber ich würde gerne mal wieder die Fenster bei mir in der WG putzen und damit das keine Streifen gibt…“
„Immerhin ne ehrliche Antwort.“
Langsam frage ich mich wie ehrlich diese Phrase eigentlich ist, aber da dringt auch schon ein unverkennbares Ploppen an mein Ohr. In der Halle nebenan wird gefeiert, dass Anke Stelling den Preis der Leipziger Buchmesse gewonnen hat, und es gibt Sekt umsonst. Und das ist vielleicht auch der wahre Geist der Leipziger Buchmesse: Give-Aways und Alkohol.
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