Warum man sich gar nicht oft genug umziehen kann.
Von unserem Modezar Harald Nicolas Stazol
Nun, Gentlemen, schlechte Nachrichten: Auch wenn sich eine Zeitung ja wohl eher auf die guten Dinge im Leben verstehen sollte, auf Wachstum, Kommerz und rosige Aussichten, hier, inmitten der ganzen Anti-oder-Pro-Rezessionsartikel, inmitten scheiternder Riester-Renten und während die T-Aktie längst unter 10 Euro dümpelt, nur so zur Entspannung, der Auszug. Ein Konto-Auszug, gewissermaßen, aus einer Zeit, in der man laut Keynes lebte, „indem man immer ein kleines Stück vom Kuchen abschnitt, der aber nicht größer wurde” — dem viktorianischen Zeitalter also, als Männer noch Männer, Gentlemen Gentlemen, Königinnen Königinnen und Frauen ohne Wahlrecht waren. Ein Plädoyer also für die Flucht aus dem flüchtig Materiellen ins ewig Lebensbejahend-Genießerische. Männer, macht Euch Mut! Fast also eine Währungsreform …
James Bowden schreibt in seiner 1897 erschienenen, unverzichtbaren Anthologie „Manners of Men” das Folgende: „Man befleißige sich unterschiedlicher Kleidung zu diesen Anlässen: Zum Spazierengehen, Reiten, Kutschieren, zum Besuch, beim Rudern, der Jagd, dem Schießen, Golfen, Radfahren und Tennis. Ferner beim Cricket, dem Dining, Rauchen, Lounging. Zum Fußball (spielen wie gucken, Anm. d. Übers.), Pferderennen, Yachting – zu schweigen von Uniform, dem Anzug für die Audienz bei Hofe, abgesehen auch von den langsam sich entwickelnden Outfits zum Fahren von Automobilen.” In einem Magazin jener Tage bemerkte man, dass „jeder decent gentleman auf einer Schiffsreise weiße Hosen, ein weißes Flanellhemd, und eine gestreift-weiße Jacke aus Flanell” zu tragen habe.
Wer nun feststellt, dass er zu mindestens drei der obengenannten Tätigkeiten heute dieselben Klamotten anhatte, der sei darauf hingewiesen, dass sich der Mann von Welt um die Jahrhundertwende mindestens siebenmal am Tag umzog. Unterstützt von einem Butler, wie jenem in E.M.Fosters Roman Maurice, der folgendes äußert: „Wenn Sie erlauben, Euer Lordschaft, werde ich Ihnen die helle Flannell-Hose vorlegen, es scheint heute ein sonniger Tag zu werden.” Das kann man sich zur Not auch selbst vor dem Kleiderschrank vorflüstern, um den Butler zu sparen. Den Smoking entwickelte man übrigens als eine Art Überziehjacke – die Soldaten des Krimkrieges 1850 hatten das Zigarrettenrauchen als exotische Mode mit in die feinen Salons gebracht -, um den Rauch nicht an die feinen Hemden zu lassen. Manche dieser Jacken hatten wilde Seidenmuster, und eine Kappe gehörte auch dazu, um die Haare zu schützen.
Wer solchem vorbeugen möchte, und ihrer sind ja hoffentlich viele im Lande, dem sei geraten: Man kann nicht zu gut angezogen sein. Man kann nicht zu viele Anzüge haben. Und man kann sich gar nicht oft genug umziehen. Wer es wagt, zur Arbeit zu joggen und die verschwitzten Klamotten wochenlang zur Freude der Sekretärin im Regal zu stapeln (so geschehen in einem großen Verlagshaus, jeden Tag), dem kann nicht geholfen werden. Für alle anderen gilt: Change for a change!
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