Haltet die Druckerpressen an, Kersten Augustin hat eine große Entdeckung gemacht! Was in Möbelkatalogen abgebildet ist, so der scharfsinnige Autor, entspricht gar nicht immer seiner eigenen Lebensrealität. Folgerichtig ist sein Text in der „Zeit“ unter der Rubrik „Entdecken“ erschienen. Dieser Ansatz reicht Augustin, um sich einen Aufsatz mit rund 11.500-Zeichen abzuquälen, die sich aneinandergereiht so lesen, wie Onkel Gottfried redet.
Eine Meinungsanalyse von Bernhard Torsch
Fast jede Familie hat einen Onkel Gottfried. Onkel Gottfried wurde als Kind unter den Nazis sozialisiert und wenn er ein, zwei Verdauungsschnäpschen intus hat, schmilzt die Re-education hinweg, die Original-Erziehung kommt zum Vorschein und Onkelchen wütet gegen die fiesen Psycho-Tricks der Werbung wie 19,99-Preise, Lockangebote und Werbefotografen, die es wagen, die angepriesenen Produkte etwas weniger schäbig erscheinen zu lassen, als sie in Wirklichkeit sind. Kurze totalitarismustheoretische Werbekritik-Kritik: Manch ein Onkel Gottfried wuchs auch in der DDR auf. Fast alle Onkel Gottfrieds sind in der SPD. (Onkel Gottfried schrieb übrigens auch bereits einen ähnlichen Text zum gleichen Katalog.) Nur ist Augustin, Jahrgang 1988, im Grunde nicht Onkel Gottfrieds Generation zugehörig. Dafür imitiert er sie realitätsnah.
Augustin leitet sein „J´accuse, IKEA“ damit ein, dass er für das Möbelhaus eine große Ausnahme macht, denn für gewöhnlich interessiert ihn Postwurf-Werbung nicht:
„Mich interessiert nicht, dass es beim Supermarkt jetzt ein Kilo Hack für eins neunundsiebzig gibt.“
Der Autor hat damit erfolgreich etabliert, keiner jener Hungerleider zu sein, für die ein paar Euro mehr oder weniger auf der Supermarktrechnung tatsächlich eine Bedeutung haben. Das muss er machen, damit ihm die „Zeit“-Leserschaft, bestehend aus Onkel Gottfrieds mit Abitur, das später folgende Augenzwinkern abnimmt, mit dem er die eigene Bruchbude der angeblich völlig abgehobenen IKEA-Katalogwelt gegenüberstellt.
Schon das Cover passt Augustin nicht in den Kram: „Auf dem Coverfoto sieht man eine Clique beim Abendessen, die offenbar ein Antidiskriminierungsbeauftragter zusammengestellt hat.“ Bämm, Antidiskriminierungsbeauftragte! Die Feindbilder aller Onkel Gottfrieds dieser Welt! Aber schauen wir mal, wer da wirklich auf dem Cover ist. Eine lesbische Rollstuhlfahrerin, ein Rabbi, eine Hijab-Trägerin und ein schwuler Chinese? Leider nein. Man sieht drei Weiße und eine dunkelhäutige Person, die zusammen an einem Tisch sitzen. Eine Mischung, die in fast jeder Berliner Kneipe an Diversität übertroffen wird. Wenn das für Augustin so aussieht, als habe es ein Antidiskriminierungsbeauftragter inszeniert, dann fragt man sich, wo der Kollege lebt. In einem ostdeutschen 500-Einwohner-Dorf? Hinter dem Mond? In der Vergangenheit?
Dann beschwert sich Augustin, Ikea solle ihm nicht vorschreiben, nicht in Panik zu geraten, wenn ihm das Nudelwasser überkocht. Zumindest habe ich das so entziffert.
Ikea: „Es macht überhaupt nichts, wenn dir mal die Nudeln überkochen“.
Augustin: „Das stimmt, aber dafür brauche ich deine Erlaubnis nicht“
(Augustin ist, welch gelungener stilistischer Kniff, mit Ikea per Du, weil Ikea mit allen per Du ist. Beide schreiben das anredende Du klein, was beiden hiermit eine sanfte Grammatik-Rüge einbringt. Natürlich darf man Anredepronomen mittlerweile klein schreiben. Schön ist das aber nicht.)
Nun folgt schonungslose Selbstentblößungs-Prosa. Weil Ikea es wagt, in Zusammenhang von Badezimmern von „meine, deine, unsere Oase“ zu schreiben, teilt Augustin der Welt mit, in welchem Saustall er leben muss:
„Mein Bad hat etwa vier Quadratmeter und ist ein Schlauch, die Fugen zwischen den orangefarbenen Kacheln schimmeln.“
Alter! Wie wär´s mal mit Putzen? Notfalls kannst Du auch eine Reinigungskraft engagieren. Am Geld sollte es – wir erinnern uns an das coole „Mir doch egal, was das Hack kostet“ – nicht scheitern, oder? Dem Hygiene-Striptease schiebt Augustin ein Bekenntnis zur Schwarzen Pädagogik hinterher. Dass Ikea fünf Regeln für das Kochen mit Kindern vorschlägt und dabei unter anderem rät, Kinder nicht zur Schnecke zu brüllen, wenn die mal was falsch machen, quittiert der „Zeit“-Autor so: „Mit meinen ungeborenen Kindern schimpfe ich, wann ich will“. Das Bild im Kopf, wie Augustin seine Hoden anbrüllt, kommen wir zur nächsten Onkel-Gottfriedigkeit im Text: „Früher war alles besser“. Und tatsächlich steht da: „Früher warst du (IKEA, Anm.) ehrlicher“. Was „früher ehrlicher“ gewesen sein soll? Augustin:
„Die meisten deiner Fotos zeigten früher Kleinfamilien. Vater, Mutter, Tochter, Sohn. Im neuen Katalog sieht man dieses Familienmodell auf einem einzigen Foto.“
Hah, als hätten es die Onkel Gottfrieds dieser Erde nicht geahnt: Auch IKEA ist ein Teil der großen Verschwörung der Kulturmarxisten, mit der sie uns alle zu schwulen, alleinerziehenden Patchwork-Globalisten machen wollen!
Das geht noch eine ganze Weile so weiter, alles im Modus „Kreatives Schreiben für Gymnasiasten, deren Talent eher Mathematik ist“. Augustin findet die IKEA-App scheiße und bindet uns auf die Nase, nicht nur in einer schimmeligen Substandardwohnung zu hausen, sondern dort auch gerne in der Unterhose herumzulaufen, da er nur eine einzige Jogginghose besitzt. Das ist nach dem Geschrei mit Augustins ungeborenen Kindern das nächste Bild, das wir möglichst rasch wieder vergessen zu können hoffen. Das ganze Elend gipfelt schließlich in der bedrückenden Selbstbeschreibung von Augustins Generation:
„Du (IKEA, Anm.) hast das gleiche Problem, das auch die Autohersteller haben: Die Jugend will deine Produkte nicht mehr. Weil wir glauben möchten, dass wir individuell sind. Weil wir nicht mehr Unmengen konsumieren wollen – und wenn, dann klimaverträglich und nachhaltig. (…) In deinem Katalog gibt es eine Reportage aus dem Irak, du hast dort ein paar Unterkünfte für Flüchtlinge gespendet. Schön für dich. Mir würde es schon reichen, wenn du ausreichend Steuern zahltest.“
Pfuh! Dieses verbale Wegwischen einer konkreten Hilfe für Refugees! Dieses spießige Genöle über Konzerne, die wie jeder nölende Spießer möglichst wenig Steuern zahlen wollen! Die Selbstinszenierung als ökologisch korrekter Mensch! Was ist das nur für eine Zeit, in der solche Texte erscheinen?
„Warum nennst du BILLY nicht gleich YUSSUF?“
… Ach. Egal.
Kein Aufsatz ist freilich so schlecht, dass man nichts aus ihm lernen könnte. Wir lernen hier: Kersten Augustin sollte beim Hack-Einkauf Preisvergleiche anstellen, damit er sich Putzmittel für sein verschimmeltes Badezimmer und vielleicht sogar eine zweite Jogginghose leisten kann.
Herzlichen Dank für diese weitestgehend gelungene Kritik.
Ich kann mir nun eine ebensolche sparen, sogar ein Brief an den Leser Kersten Augustin erübrigt sich fast. („Hej da, Kersten Augustin, wenn du dein IKEA-Regal YUSSUF nennen möchtest, während du mit einer Gurkenmaske deine Klöten anschreist, kannst du das natürlich tun. Aber bitte verschwende mit solchen Erzählungen in der prekariatsliberalisierten ZEIT nicht, nun, unsere Zeit. Und weißt du eigentlich, was so eine ZEIT-Seite kostet? Dafür kannst du eine Menge Hackmett kaufen, und dir vielleicht was draus backen. Wir hätten da die Rubrik ‚Basteln mit Wurst, IKEA-Edition‘ anzubieten. Für dich: 1.99. Deine Wurstwarenfachzusammenbauer von der…“)
Was „Neunzehnneununeuzig!1!11“-bejammern mit Nazi-Sozialisierung oder gar DDR-Spätfolgen zu tun haben, das will mir allerdings nicht ganz in den Sinn. Das schafft jeder Arsch, ganz gleich welcher Coleurbruderschaft und welchen Geburtsjahrgangs.
Übrigens, das er uns als gnadenvoll spät geborener (gute Güte, der Junge war Zehn als Schröder die sogenannte bleierne Kohlzeit beendete und uns mit der ‚Agenda 2010‘ eine Zukunft voll schimmelnden Badezimmerfliesenfugen versprach…) Lohnschreiber ihrem Frust über die nicht eingelösten Versprechen des IKEA-Katalogs in Zeilenhonorar umwandeln, das entbehrt selbstverständlich nicht einer gewissen Komik.
Allerdings wohl unintentional und zur unZEIT.
Sicher, dass die meisten Biodeutschen nur eine Person auf dem Cover als nicht-weiß klassifizieren würden? Ansonsten gelungener Text.
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Was ist dieses „IKEA“ von dem in diesem Artikel die Rede ist? Und warum gibt es so viele Menschen, die sich damit auseinandersetzen?
Mangels Zukunftsperspektive zieht sich die Jugend zurück in eine Wertewelt von um 1950 inklusive dämlicher Hornbrillen, Pokemongo-statt-Kleinwagen, mangels Ideologie oder Religion in den Konsum und dann ist die Enttäuschung groß, wenn der Schimmel zwischen den Fliesen nicht so schick aussieht, wie vom Industriefotografen inszeniert.
„Ich bin Jacks vollkommenes Defizit an Überraschung.“
Ich habe eigentlich nur zwei Fragen: 1. Wenn der Katalog so ein Mist ist, wie K.A. behauptet, wieso liest er ihn dann so gründlich? 2. Was ist aus der alten Tante ZEIT geworden, dass sie so einen Müll ins Blatt hebt?
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IKEA benutzt in Deutschland und anderen Ländern das Gesundheitswesen, Bildungseinrichtungen (für qualifizierbares, gesundes Personal), die Infrastruktur, die Sicherheit uvm. . Mit Hilfe legaler und halblegaler Vermeidungstaktiken drückt sich die Firma ums Steuerzahlen und leistet keinen angemessen Beitrag zur Finanzierung. Das ist womöglich legal (bei Apple war\’s das nicht), es ist so üblich unter Konzernen und Reichen, aber es ist trotzdem unmoralisch. Und die Konzerne nutzen nicht nur vom Himmel gefallene Gesetze aus, sie kaufen sich derartige Gesetze aktiv mit Geldgaben und Drohungen. Wenn mir Ikea mit \“wir sind ja so eine herzensgute Firma\“ kommt, dann wende ich mich angewidert ab. Ich habe den Flüchtlingsartikel gar nicht erst gelesen, es ist einfach egal, für welche humanitäre Werbemaßnahme genau IKEA ein bisschen Geld spendet, es ist verlogen! IKEA ist und bleibt ein Arschlochkonzern. Ich will im Katalog sympatische Models vor hübschen Produktarrangements sehen, keine Artikel über geheucheltes Mitgefühl vor die Nase bekommen.
Es ist, als würde mir mein Geldautomat ungefragt auf dem Display mitteilen, dass John Cryan mit einem Kamerateam bei den Tafeln war und dort 1000 Kugelschreiber gespendet hat.
Kersten Augustin wünsche ich, dass er Beruf wechselt und dann mehr verdient.
Wirklich gelungene Kritik, vielen Dank dafür. Sauber auseinandergenommen, dieses Onkel-Gottfried-Gejammere.
Ob es eine Überreaktion meinerseits ist, darüber besorgt zu sein, dass anscheinend schon das Abbilden nicht-Weißer und Alleinstehender im IKEA-Katalog jetzt für manche den Untergang des Abendlandes einläutet? Man möchte diesen Gottfrieds fast empfehlen, sich mal zu entspannen. Nicht immer nur anschreien, die kleinen, unschuldigen Dinger… 😉
Als Kind stand ich immer auf Seite der Drachen, ich denke, jetzt wird es Zeit, sich mal mehr den Prinzessinen zu widmen. 🙂
Sorry, bin schon bei „Man sieht drei Weiße und eine dunkelhäutige Person, die zusammen an einem Tisch sitzen.“ ausgestiegen.
Auf dem Cover ist nicht nur eine dunkelhäutige Frau, sondern dazu noch ein arabisch anmutender Mann sowie eine südländisch anmutende Frau – die beiden sind nicht klassisch „weiß“. Für sich genommen nichts Besonderes in Deutschland, für ein gemeinsames Abendessen allerdings nicht der Standard in deutschen Haushalten.
Der Katalog ist generisch europäisch. In den USA wäre die Dunkelhäutige prominenter platziert und ein Asiate zu sehen (seltsamerweise selten Latinos).
Dass sich davon nicht jeder angesprochen fühlt, ist doch in Ordnung.
Dass die Szenerien im IKEA-Katalog nicht so aussehen wie Herrn Augustins Ekel-Badezimmer, ist nicht überraschend. Sie werden heutzutage nämlich überwiegend gar nicht mehr fotografiert, sondern komplett im Computer generiert, das ist viel weniger Arbeit für bessere Resultate.
„haltet den dieb, er hat mein messer im rücken“
das im lifestyle-blättchen ZEIT eine derartig harsche selbstkritik erscheint, hätte ich ja nie erwartet.
bis auf die aktive hilfe in krisengebieten und einen weitaus weiteren horizont lässt sich nahezu alles nämlich auch über die jeweils aktuelle ZEIT-ausgabe sagen (ach ja, und das vorkommen von Apple-produkten ist der ZEIT signifikant höher).
wesentlicher unterschied: die ZEIT will geld für ihre küchenpsychologie, lebensanweisungen und schönen menschen — damit sie figuren wie Augustin bezahlen kann …
Kann ich alles so unterschreiben, mit einer allerdings gewichtigen Ausnahme.
„Dieses verbale Wegwischen einer konkreten Hilfe für Refugees! Dieses spießige Genöle über Konzerne, die wie jeder nölende Spießer möglichst wenig Steuern zahlen wollen!“
Der Vergleich zwischen kleinem Bürger, der i.d.R. keine Steuern vermeiden kann und globalen Konzernen, die sich Handelsabkommen und Steuergesetze so schreiben lassen, die legalen Steuerraub ermöglichen und sich damit jeder sozialen Verantwortlichkeit entziehen, hinkt nicht, das ist viel schlimmer. Und das beste Werbeprogramm für die Onkelz A, die Afd und Trumps dieser Welt.
Als ich an dieser Stelle angekommen bin, war wiederum die Frage, die ich mir stellte: „Was ist das nur für eine Zeit, in der solche Texte erscheinen?“
Was täten die Augustins und Orbans dieser Welt nur ohne „euch“?
(Orbans Antwort z.B. auf LUX-Asselborn zielte natürlich vorrangig darauf ab, in der englischen Presse können Sie es nachlesen. In der deutschen nicht, vielleicht ist das die Welt, die solche Texte ermöglicht?)
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Gottfried war im NS kein parteikonformer Vorname, der gehört zu einer etwas distanzierten christlichen Haltung der Eltern, was mindestens zu eine nicht ganz NS-konformen Erziehung andeutet. Onkel Gottfried so in Beziehung zum NS zu setzen ist also etwas gemein, auch gegenüber den Eltern die dafür bestimmt gemobbt wurden. Onkel Siegfried (und die ganzen germanischen Nibelungennamen rauf und runter) wäre besser.
Zitat: „Mein Bad hat etwa vier Quadratmeter und ist ein Schlauch, die Fugen zwischen den orangefarbenen Kacheln schimmeln. Meine Oase ist ein Loch. “
Wären meine Lebensumstände so traurig, würde ich wohl auch solche Artikel schreiben.
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