Die Geschichte einer Bekehrung, vom Kuchen-Saulus zum Kuchen-Paulus. Von Sebastian Bartoschek
Niemand sollte Kuchen mögen. Das ist eine einfache Wahrheit, die sich bisher noch nicht in der westlichen Welt durchgesetzt hat. Viel zu lange wurde der Kuchen als Teil des christlichen Abendlandes gepflegt: hart, trocken und lieblos, diese Eigenschaften machten ihm auch einen Siegeszug in Deutschland sicher; so wie im ländlichen Polen. Hüben wie drüben wird dazu Kaffee oder Tee gereicht, in der verzweifelten Hoffnung, daraus dann doch noch ein gesellschaftliches vertretbares Ereignis zu schaffen, und um die mit Eiern angerührte Pappe im Mund hinunter zu spülen.
Das Marie Antoinette zugeordnete Zitat „Wenn sie kein Brot haben, sollen sie doch Kuchen essen.“ galt mir zeitlebens, genauer bis vor gut zwei Wochen, als Ausdruck dessen, wie das eine Elend noch durch ein schlimmeres ersetzt werden sollte – und fürderhin als Ausdruck der Grausamkeit. Der Leser ahnt: Weder Kuchen noch Brot sind bei mir unter Adjektiven verortet, die man wohl im Duktus der heutigen Jugend unter „nice“ subsumieren würde.
Allerdings: dies ist die Geschichte einer Bekehrung, eines Wandels, vom Kuchen-Saulus zum Kuchen-Paulus, einer Transformation, eines disruptiven Changes. Und für einen solchen braucht es zumeist einen Meilenstein.
Mein Meilenstein war Petra und war Laura. Erstere kenne ich nicht, zweitere ist eine meiner Mitarbeitenden. Nun ist es so, dass ich, als guter Kapitalist, verschiedene Menschen beschäftige, im immerwährenden Austausch Lohnarbeit gegen Arbeitslohn; chiasmischer Weise bringen wir so einen Tag nach dem anderen durch, und manchmal bringt jemand auch etwas mit. Dabei sind Speisen durchaus beliebt, zumal süße. Mit wechselseitigem Kredenzen von selbst hergestellten oder vom Vortag übrig gebliebenen Süßwaren wird ein wechselseitiges Verhältnis von Büroloyalitäten geschaffen; oder man ist schlicht nett, man gebe mir noch weitere 8 Jahre, um dies hinreichend zu durchschauen.
Eines Morgens nun kam Laura mit einem halben Bleck Kuchen in die Arbeit. Ich freute mich, ob der Geste, aber aß eben nichts davon, ob meiner Libumphobie. Dann hatte ich Außentermine, die ich zeitlich falsch eingeschätzt hatte – führte mich einer davon doch nach Bielefeld, und, dankenswerterweise, vor allem auch aus Bielefeld zurück. Um 20 Uhr war ich wieder im Büro, gegessen hatte ich den ganzen Tag nun nichts, außer einem Müsli um 7.10 Uhr. Ich könnte noch erwähnen, welches Musikstück ich von draußen reinweihen hörte, es war „Hungry Heart“ von Bruce Springsteen, aber das wäre einerseits gelogen und andererseits schreibe ich nicht für den SPIEGEL. Nun stand ich also in der kleinen Küche unseres Büros. Der Kuchen vor mir.
An einem normalen Tag hätte ich nun geseufzt und wäre hungrig geblieben. Doch nicht heute. Eine Erdbeere und eine Blaubeere, die freundlich aber unaufdringlich unter Alufolie her lugten weckten mein Interesse. „Sebastian, du magst Blaubeeren und Erdbeeren,“ dachte ich nicht, da ich mich nicht selbst mit Vornamen in Gedanken anspreche, sondern wahrscheinlich dachte ich eher „Blaubeere, Erdbeere, süß, hm, ja“ und schnitt mir ein Stück des Kuchens ab. Nahm eine Gabel. Gabel in Kuchen. Kuchen in Mund. Kuchen auf Zunge. Explosion.
Der Umstand, dass Endgame damit finalisiert, dass Ironman den Eisernen Thron besteigt und Daenerys Dr. Strange heiratet und ein zeitgemäßes Betreuungsmodell für den verbliebenen Drachen einrichtet, hätte mich nicht mehr überraschen können als die Geschmacksexplosion die dem Kuchenbiss folgte. Und jeder Biss machte es besser, eine Akkomodation meiner Geschmacksknospen war nicht in Sicht. Ich aß. Mit Freude. Den Kuchen. Die Grenzen verschwammen, war es Kuchen, war es Torte, war es ein Stück cremegewordenen Regenbogens?
Nachforschungen ergaben: Der Kuchen war für Petra hergestellt worden. Nicht Laura, sondern die Mutter ihres, im Übrigen ebenfalls sehr sozial verträglichen, Freundes, hatte eben jenes Stück konditorischer Meisterleistung erschaffen.
Seitdem hat sich in meinem Leben viel verändert. Ich habe viel über Kuchen nachgedacht, und darüber, ob in den letzten Jahren nicht der ein oder andere Kuchen an mir vorübergegangen ist, für den man sich gut und gerne hätte ans Kreuz nageln lassen sollen. Ich weiß es nicht. Das Vergangene ist vergangen, und Kitsch hilft meist das Ende eines Textes abzurunden, der im Kern keine echte Message hat, außer das eigene Erleben zu berichten.
Und so schaue ich nun anders auf Kuchen, bin dankbarer, für jedes Stück Süßware, dass den Weg in mein Büro schafft. Denn wie sagt, laut Internetgooglerecherche, ein mir zuvor völlig unbekanntes jüdisches Sprichwort? „Kuchens Wert recht zu bemessen, Musst du selber davon essen.“
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