Von Lord Harald Nicolas Stazol
Als eine Einladung von Chanel in Golddruck auf schwarzem Plexiglas eintraf im Büro eines jungen Moderedakteurs – auch zuständig für Kosmetik, vor allem aber eben als Liaison zu den hochgelehrten Anzeigenkunden – nun, wenn Karl Lagerfeld rief, dann kam das a) einem Befehl gleich, b) einer Heiligsprechnung, überhaupt geladen zu sein. Und c) wenn Sie glauben, dass man da nicht, begleitet von der Chanel-Präsentation-Chefin für Deutschland, Marietta Andrée, in der 8 Uhr Maschine Hamburg-Paris einen der damals noch wunderbaren Champagner der Air France, Vol 323, genoss, vor Aufregung zittert, und gegen 12 Uhr sein Hemd wechseln muss, dann habe ich drei Worte für Sie: Ha. Ha. Ha.
Die Andrée hatte mich noch vor drei Saisons, ich glaube Frühjahr/Sommer 96, aus der Chanel-Show entfernen wollen, da hatte Karl gerade eines seiner epochalen Interviews gegeben, und wieder einmal eigentlich alle beleidigt, dazu hatte ich eine Geschichte in der „Gala“ geschrieben, die ihr außerordentlich missfallen hatte. Meine Modechefin vom Stern, Barbara Larcher, eine Doyenne de la Mode, hatte mir des Meisters Fax-Nummer gegeben. Er las und schrieb nur Faxe – alle seine Korrespondenten, von Gerhard Steidl, dem langjährigen Verleger, über die Paillettensticker der Dordogne bis zu den Jasminhainen in Grasse hielten deswegen natürlich ein Fax vor – und Sie werden lachen, ich nehme an, diese Nummer hat sich nie verändert, und irgendwo habe ich sie noch.
Seine Antworten, dies sah ich später bei meinem “Stern”-Kulturchef Siegfried Schober, kamen in geschwungenen Filzstiftschwüngen, einer der schönsten Handschriften, die ich je sah, die Eleganz eines Louis Quatorze, wenn der schrieb: “Car il est mon bon bonheur” – weil es mein Wunsch und Wille ist. Gerne auch mit einer Zeichnung darauf, auf Faxpapier – ich wünschte, ich hätte sie aufgehoben, aber irgendwie kamen ja auch immer neue, und man hatte das Gefühl, es würde immer so weitergehen. Nun werden aus Paris keine Faxe mehr kommen, unterschrieben mit Karl.
Ich hatte meine Fragen dorthin gefaxt, aber Paris antwortete leider erst nach Drucklegung meines Yellow-Press-Blättchens – einmal als New Yorker angelegt, nun eine der Milchkühe von Gruner + Jahr, dessen Modeteil vor lauter denglish mir inzwischen unerträglich – und die Geschichte erschien, und als ich Madame Andrée im Ansturm der Weltpresse um eine weitere Karte bat, für meine Assistentin Susanne, schrie sie mich fast an: „Dass Sie es wagen, mich anzusprechen!“, und ich verzog mich neben den Kollegen, einen genialen Illustrateur der Süddeutschen Zeitung, ein Herr alter Schule des Vornamens Peter, dessen Nachnahme mir nicht einfallen will, nahm hinter Florentine Pabst von der Marie Claire Deckung, und setzte meine Chanel-Brille auf.
Doch das war nun, wir waren ja Profis, an Bord der kleinen Gulfstream, vergessen. Und La Andrée flötete über die Champagnerflöten hinweg, dies werde die „Collection Croisière“, eine Linie für die Kreuzfahrt, eigentlich: ohne Saison für alle Saisons.
Der Couturier hat darin eine ungewöhnliche Freiheit, kann er doch Modelle vorführen, die vom Badetuch in Chiffon zu passendem Bikini und Sonnenhut, natürlich alle im gleichen Décor, reichen, bis zum Abendkleid zum Captain´s Dinner oder einem rockigen Besuch der Borddisco – ein Jeanskleid-Ensemble etwa für Tausende von Francs -; alles unbeschwert von den Beschwerlichkeiten des Wetters, denn die Damen, die sich diese „Croisière“-Kollektion leisten können, kennen kein schlechtes Wetter.
Wir erreichten Charles-de-Gaulle denn auch in strahlendem Sonnenschein, eine jener langen Mercedes-Limousinen mit den weiß-weichen Ledersesseln, zum Versinken tief. „Noch einen Coup vielleicht?“ (diesmal Rosé), ins Hotel, das nicht das Ritz war, das weiß ich, ich erinnere, glaube ich, das Plaza Athenée, aber das nimmt sich nicht viel. Man ging auf die Suite und fand neben einem Blumenbouquet einen Umschlag aus Büttenpapier mit einem Einkaufsgutschein für das Stammhaus, Rue Cambon 31, mit der berühmten Spiegeltreppe, auf der Coco Chanel saß während der Präsentation, immer ohne Musik, nur mit einer Diseuse, “Numero 24” – ich erwarb dort später einen Ring aus Sterlingsilber, mit dem Schriftzug des Hauses seitlich gepunzt, den mir dann ein ostdeutscher Lover entwendet hat –, und als ich mich im gelben Marmorbad frischmachte, wurde ich neben dem goldenen Wasserhahn der gesamten Duft- und Pflegeserie „Allure pour Homme“ gewahr, für die ich mich füglichst bedankte. Es war, als hätte sie Karl mir ganz persönlich zugedacht.
Man traf sich mit den anderen internationalen Pressevertretern, auch der Korrespondentin der „Woman´s Wear Daily“, die nun als erste die Todesnachricht veröffentlichte, – aber hei! Noch war er am Leben! – und also trafen wir uns zum Lunch. Die Show würde um 16 Uhr beginnen.
Die Schiffer würde eröffnen. Gefolgt von Stella Tennant, Kate, wenn ich nicht irre, mit Sicherheit aber Carla Bruni, und dann kam ein schwarzer Bus mit noch schwärzeren Scheiben, und wir fuhren ein Stück die Avenuen hinab, in einen weltberühmten, noch schwärzeren Nachtclub mit Spiegelboden und Spiegeldecke, wir waren vielleicht 40 Personen, eher dreißig, auf winzigen, schwarzen Stühlen, auf denen jeweils für die Damen ein Tütchen mit einem Seidentuch wartete, auf mich eine Cravate – das einzige Kleidungsstück für Herren, dass es gab.
Und zu einer an die Sechziger erinnernden Musik- und Lichtshow kamen die schönsten Frauen der Welt in noch schönerer Kleidung, ach was, jedes Modell eine Ode an die Mode, zum Greifen nah lief die Schiffer an mir vorbei. Und Carla Bruni auch.
Und dann kam Karl.
Damals war er noch beleibt, später erst sollte er sich, vermittels einer Verkleinerung des Magens, auf die Ultra-Slim-Linie von Hedi Slimane bei Dior reduzieren zu einem eleganten Strich – aber er redete ebenso, und einem jungen, ihm unendlich unterlegenen, unerfahrenen, unruhigen Rookie, dem Journalistenschüler der Stern-Mode, war er sehr freundlich gegenüber, ließ meine Chefin grüßen, „wir kennen uns seit zwanzig Jahren, n´est-ce pas? (zu mir, ich zittere, fächernd) Charmant! Charmant! Und so jung! Ah, der Stern! Ah, wunderbar! Aber Paris Match j´aime plus, non?“
Er sprach zwei Sätze zu mir, duftete wie eine Chrysantheme, und dann fächerte er weiter. Still stand er nie, n´est-ce pas?
Ich habe Karl Lagerfeld getroffen, auch wenn er mit der letzten wahren Vogue-Chefredakteurin, Angelika Blechschmidt, wohl sehr viel mehr Zeit verbracht haben dürfte – ihr Nachlass wurde neulich verramscht am Neuen Wall, sic transit gloria mundi! (Bei der gerade erschienenen Vogue mit dem Fußballer auf dem Titel und zuvor der Jubiläumsausgabe – Helene Fischer !!! – würde sie sich im Grab umdrehen, nein, sie würde rotieren).
Aber diese beiden Sätze, die ja eigentlich nur er sprach, sind mir zur kanülenhaften Zuspitzung einer der Sternstunden meines Lebens geworden.
Es ist ein wenig, als hätte man Lawrence von Arabien einmal die Hand gegeben. Die gab man einem ein Lagerfeld natürlich nicht. Ich hatte mich ein wenig verbeugt, und ich glaube gar, die Hacken zusammengeschlagen.
Beim Diner dann saß man ihm vielleicht sogar gegenüber an der Tafel, man hatte wohl in kürzester Zeit diskret die Platzkarten neu arrangiert.
Und am nächsten Morgen saß ich allein in der 8 Uhr Maschine nach Hamburg, Air France Vol 233, nippte verträumt an einem perlenden Gläschen und dachte, wahrscheinlich glaubt´s wieder kein Schwein.
Aber genau so war es.