Harald Nicolas Stazol über sein Leben mit der kapriziösen Königin der Blumen
„Wer die Schönheit angeschaut mit Augen …“ (‚Tristan‘, August von Platen, 1796 – 1835)
Es begab sich aber zu einer Zeit, als ich wieder einmal an Bord der Concorde von British Airways von London nach New York jetsettete, um noch rechtzeitig zum Empfang der europäischen Modepresse anzulangen (was gelang!), dort begab es sich, dass der weltberühmte Couturier Geoffrey Beene der Gastgeberin, der nicht minder exquisiten 75jährigen Eleanor Lambert in ihrem 24-Zimmer-Apartment mit Blick auf den See im Central Park – es gibt keine bessere Lage -, nun, Geoffrey schenkte ihr eine kleine lila Orchidee, „from his own Glasshouse“, selbst gezüchtet, hieß es atemlos im Pressekorps, mondäner ging es kaum in diesen unseren Kreisen, und in dieser Sekunde erwachte meine unsterbliche Liebe zu ihnen, den Schönsten. Und ich beschloss unter die erlauchte Bruderschaft der Orchideenzüchter zu gehen. Aber nach meiner rasanten Karriere, erst bedauerlich erfolgreiche 20 Jahre später, fand ich die Muße und die Musen – und die Zeit dazu.
Ich habe es nie bereut. Liebe benötigt diese edelste aller Blumen wie Wasser, und sie liebt einen zurück. Ich spreche mit ihnen, wenn ich sie liebevollst mit einem Nebelgemisch aus im Nass aufgelösten Dünger benetze, und sie sprechen zu mir. „Nun, wirst Du noch erblühen?“ hauche ich dem einen Knöspchen zu, dass sich seit zehn Tagen nicht öffnen will, und manches Mal knospen sie nicht auf – nichts erschüttert mehr als erst verdorrende, dann hinabfallende Knöspchen vom strahlend weissen, porzellanenen KPM-Untersetzer aufsammeln zu müssen … es ist wie bei einer Urnenbeisetzung … aber wir gehen zu weit.
„Beautiful, it must be beautiful, and if it is not beautiful, it must be elegaaaaaante“ ruft der Tanzlehrer der blutjungen Fünftfrau von Heinrich XIII der bald kopflosen Catherine Howard zu – schön! schön! kalos, kalos! Das schrieben die griechischen Vasenmaler, wenn sie Orpheus und Euridyke 700 vor Christi Geburt schwarzgrundig geschaffen haben, und: „Tu es belle, adorable, ravissant!“ rufe ich manchmal, wie Yves Saint Laurent bei der Anprobe seiner letzten Collection, deren Zeuge ich einst sein durfte, „Hinreissend bist Du! Anbetungwürdig!“ Sowas sagt man sonst nur den wirklich Geliebten.
Sie sind kapriziös wie eine Belle-Epoque-Can-Can-Tänzerin, konsequent wie Marlene, elegant wie Kaiserin Eugénie und empfindlich wie Sissy. Und deswegen muss man viel Geduld mit ihnen haben.
Denn – wie jede Frau – lässt sie sich Zeit für ihr schönstes Kleid. Der Herzog von Windsor – ehemals Edward XII – weinte unten im Vestibül leise, wenn sich Wallis wieder einmal zwei Stunden Zeit liess zum Ankleiden – ich aber weine Tränen des Glückes, wenn ein Blüte nach der nächsten sich zart, ach so zart, anschickt, zu erblühen, und allein dieser Prozess nimmt schon die Elegance vorweg, mit der sie dann ihre ganze Pracht entfalten. Doch bis es dazu kommt, wird viel Zeit vergangen sein.
Sie scheuen das helle Licht wie die Mutter Oscar Wildes. Sie brauchen wohltemperierte Atmosphäre, wie Grace, Lady Darlington. Und niemals! Niemals darf man sie bewegen, wie eine Aphrodite von Phidias, so empfindlich sind sie.
Somit sind mit meine heiligen Pflanzen in dieser allzu eiligen Welt eine Art Lebensuhr. Denn jedes Mal, wenn ich durch einen kunsthistorischen Vortrag oder einen essayistischen Abdruck oder eine kundige Stilberatung ein paar Taler übrig habe, klingeln die nicht lange in meiner Tasche. Denn am Sonntag nach dem Petit Déjeuner und einem kühlen Glas Cremant strebe ich meinem entzückenden Blumenladen entgegen, er gehört einer vietnamesischen Familie, und ich wähle mir eine neue Braut, fast wie der englische Kronprinz, und „Du hast drei Bälle Zeit, um unter die Haube zu kommen“ sagt die Tante der Tatiana in Puschkins Eugen Onegin, „dreimal musst Du blühen“. Doch eines jener grazilen Geschöpfe flammte nur noch einmal kurz auf und dann fielen die Blätter, fast ein Freitod, und mit dem Iphone dokumentierte ich die Tragödie, und ging damit zur Ehefrau des Vietnamesen und zeigte ihr jene, dreimal hätte ich ihren Gatten befragt, aber die Grazie hatte schon dort zu lange im kalten Luftzug der Tür gestanden, und siehe! Ich darf mir – „sind Sie ja Stammkunde“, ein neue aussuchen. Und ihr kleiner Sohn packt sie dann ein, in Seidenpapier. Und dann trage ich sie – Vorsicht, nur Vorsicht – schnell über den nassen Siemersplatz mit der holden Jungfrau zu ihren Schwestern, die nun ja blütenlos eine Weile schlummern.
Aber wenn sie wieder aufwachen aus ihrem Dornröschenschlaf, meine immer wieder jungen Freundinnen, dann ist es fast wie sich frisch verlieben.
Und alles nur wegen eines alten Grandseigneurs, einem amerikanischen Couturier, einem Gentleman alter Schule: Geoffrey Beene.
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