Revolution, Baby! (5)

Eine Gastprinzessinnenserie von Sibylle Berg

Folge 5 mit Antworten von Daniel Kulla

Das alte System ist am Ende. Prost!

Je deutlicher wird, dass die Erde eine begrenzte Ressource ist, die sich mit der Funktionsweise: Wachstum oder Krise nicht verträgt, erfasst der Wahnsinn des Untergangs  Aktionäre, KapitalistInnen, PolitikerInnen und die Massen.

Alle suchen nach Auswegen, ihr Leben, ihr Vermögen, ihre Ideen zu retten, ohne alte Gewohnheiten aufzugeben. Aber. Das wird nicht funktionieren. Weder ist die Bereitschaft der erschöpften Massen vorhanden, den Irrsinn des Wachstums, die Entkoppelung von Gewinn und realem Gegenwert weiterzutragen.

Noch kann selbst der dumpfste Shareholder verleugnen, dass der eingeschlagene Weg in Katastrophen enden wird. Und zwar bald. Es ist keine Zeit mehr für kleine Schritte, kleine Erfolge, kleine Ergebnisse, die ein bisschen Gerechtigkeit, ein wenig Klimaschutz bringen könnten. Es braucht einen radikalen Schritt in eine neue Zeitrechnung. Das System, das den Kapitalismus ablösen wird, scheint im Moment eine Mischung aus Überwachungsautokratie und Neofeudalismus zu sein.

Linke Ideen beziehen sich auf alte Systeme, die auch immer an kapitalistischer Intervention oder schlicht an der Unverträglichkeit von Mensch und Macht scheiterten.

Es braucht vollkommen neue Pläne, die über die Träume von friedlichen Sharing Communitys hinausgehen.

Ich habe Autorinnen und Aktivistinnen gefragt, was Ihnen zum Thema Revolution einfällt. Einige habe ich in einem Magazin, das ich mit dem Künstler Claus Richter herausgebe, versammelt.

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Es kamen erfreulicherweise so viele Texte, dass wir die Möglichkeit haben, an dieser Stelle einige exklusiv zu veröffentlichen. Als Anregung. Für die Vernetzung. Zum Weiterdenken.

Nicht aufgeben!

Sibylle Berg


Folge 5: Antworten von Daniel Kulla 

Daniel Kulla, Blogger auf classless.org, wuchs im Osten mit dem kommunistischen Glücks­versprechen auf und versucht seitdem damit klarzukommen, dass das bürgerliche noch das beste von den anderen ist. Singt bei Sozia­listischer Plattenbau. Buchautor über Verschwörungsdenken und Hacker, Übersetzer, hält Vorträge über diskordische Philosophie, kommunis­tischen Aufstand und psychedelische Drogen.

Sibylle Berg: Hast du irgend etwas, das zu einer Vision gehören könnte, einem Umsturz, einer Kritik am Bestehenden, das weg muss, eine Idee, wie es besser gehen kann und muss?

Daniel Kulla: Ich habe recht viele Ideen beizutragen, das geht gar nicht so gut in kurz – meine Hauptbeschäftigung ist rauszufinden, wie die Welt aussieht, und das mit anderen zu teilen. Dabei fällt immer wieder auf, dass an entscheidenden Stellen große Lücken in Geschichte und Gegenwart klaffen – und dass einige der Grundbegriffe (wie Ideologie, Rausch, Lust, Klasse, Verschwörung) gar nicht bestimmt sind, woran ich mich deshalb versucht habe. 

Bestandsaufnahme: Deine Sicht auf die Welt?

Vielversprechende evolutionäre Entwicklung, Menschen egalitär kooperativ in immer größeren Gruppen, dann blöderweise Herrschaft, trotzdem weiter erstaunlich, aber Herrschaft muss unbedingt weg. 

Glaubst du ans System?

Ich versuche generell nicht so viel zu glauben, was aber schwierig ist, weil das so leicht ist. System ist in dem Zusammenhang irgendwie ein albernes Wort mittlerweile.

Wie klingt Revolution – für dich? Sagt dir das Wort etwas? Löst es etwas aus?

Ich möchte gern die ganze Revolution in den Blick nehmen und weg vom bürgerlich-männlichen Fetischkonzept davon, das aus der geschichtlichen Bewegung einen Augenblick, einen Willensakt macht. Die russische Revolution begann in den 1890er Jahren auf dem Land. Der deutsche Bauernkrieg beginnt in England. Die Revolution in Deutschland vor 100 Jahren wuchs in Gestalt der Sozialdemokratie auch vorher über 50 Jahre hinweg heran. Ich habe ein tiefes Misstrauen gegen alle, die darauf warten, dass ihnen eine solche Gelegenheit (durch die lange, zähe Arbeit anderer) zuwächst, die sie dann in ihrem Sinne ausnutzen können.

Denkst du, dass es möglich ist, in der Gesellschaft (den Gesellschaften des Westens, in den anderen kenne ich mich zu wenig aus) wieder ein Gefühl für eine Klasse herzustellen? Die Klasse der Angestellten, der Selbstausbeuter, der Scheißjobber, der Kleinbürger, oder funktioniert  der Plan der Kapitalisten – teile und herrsche – zu gut und wir verlieren uns noch mehr in Stellvertreterkriegen?

Das Bewusstsein von der eigenen Lage kommt aus den gemeinsamen Kampferfahrungen. Wer sich nicht auf der Grundlage der geteilten eigenen Interessen zusammentut und die Gegenmacht eines solchen Zusammenschlusses durch Verweigerung, Streik usw. erlebt bzw. wem das nicht zumindest als Beispiel vor Augen steht, hat es schwerer, die Klassenverhältnisse zu durchschauen, fällt entsprechend leichter auf die ideologischen Erzählungen der anderen Seite herein. Wo solche Zusammenschlüsse stattfinden, müssen sie unterstützt werden, sichtbar gemacht werden, miteinander verbunden werden – die Klasse konstituiert sich dadurch, dass sie sich um sich kümmert. Und die Sichtbarmachung vergangener Klassenkämpfe ist oft auch hilfreich, weil sie das Geschichtsbild, in dem sie kaum und nur als Karikatur vorkommen, ermutigend aufhellen können. Aus der Geschichte kann auch bezogen werden, dass praktisch alles, was die Klasse hat, sie sich irgendwann in Klassenkämpfen erstritten hat. 

Wie wird die Welt in zwanzig Jahren ohne einen Systemwechsel aussehen?

Keine Ahnung, Prognosen mache ich nicht gern. Die Bewohnbarkeit der Planetenoberfläche scheint nach allgemeinem Dafürhalten aber bis dahin schon ordentlich erodiert zu sein.

Und wie könnte so ein Wechsel funktionieren?

Es gibt meines Erachtens wirklich nichts Besseres zu tun, als Klassenkämpfe mit anderen Klassenkämpfen anzufeuern und zusammenzubringen. Vielleicht dauert das zu lange.

Glaubst du an Gewalt?

Soweit es um nicht-konsensuelle körperliche Gewalt gegen andere Personen geht, fänd ich es gut, wenn das gleich morgen aufhört. Die Leute, die über die Produktionsmittel verfügen, scheinen die aber nicht freiwillig rauszurücken, und ihre Fans prügeln und schießen gern in unsere Richtung. Am sympathischsten ist wohl eine solche Masse zu werden, dass sie die anderen überrumpeln und entwaffnen kann, bevor einer heult – grundsätzlich Modell 9. November 1918, aber sogar da gab’s etwa ein Dutzend Tote …

Woran sonst?

Wir müssen uns um uns kümmern und wir müssen uns alles, was wir herausfinden, gegenseitig beibringen. 

Glaubst du an die Intelligenz der Mehrheit?

In egalitärer Kooperation sind Menschen unglaublich schlau und bauen dann zum Beispiel eine Raumstation. Auch Herrschaft war immer nur erfolgreich (im Wettbewerb mit den anderen Herrschaften), wenn sie sich soviel wie möglich Kooperation zunutze machen konnte. Und immer wieder gab und gibt es Mehrheiten für das Vernünftige, sogar in diesem Land. 2015 waren die meisten Deutschen dafür, Geflüchteten zu helfen – diese Mehrheit blieb trotz des ganzen ideologischen Dauerbeschusses von Staatsgewalt und nationalem Kapital erstaunlich stabil. Letztes Jahr waren die allermeisten Leute dafür, die Pandemie ernstzunehmen und sich zu schützen – auch diese große Mehrheit scheint erst jetzt langsam zu kippen. Die anderen sind aber immer lauter und besser sichtbar.

Wie könnte ein neuer Versuch eines Systems, einer Gesellschaft aussehen?

Alle sagen, was sie brauchen, und dann sorgen alle dafür, dass sie das bekommen. Und dann sagen alle, was sie sich wünschen, und da schauen wir mal. Den besten Plan machen alle, und der macht dann hoffentlich maximal Platz für ungeplanten Quatsch.

Müsste es, wenn es einen Umsturz gäbe, auch eine digitale Revolution geben?

Ganz viele Arbeitskräfte entwickeln seit Jahrzehnten diese digitalen Produktivkräfte, mit denen sich immer schneller rechnen, produzieren, kommunizieren und entscheiden lässt, und sie haben sie sehr unterschiedlich gut in die Hand bekommen, das ging immer wieder hin und her. Die Produktionsverhältnisse lassen den freien Austausch nur begrenzt zu. (Deutschland ist außerdem vielleicht das einzige Land auf der Welt, in dem das Internet immer noch als etwas Neues gilt.)

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Dieser Beitrag wurde am 20. August 2021 veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink. 1 Kommentar

Ein Gedanke zu „Revolution, Baby! (5)

  1. Zunächst Glückwunsch an Sibylle Berg zu einem weitgehend vernünftigen Interviewpartner. Die DDR-spezifische Bildung ist philosophisch komplementär zur BRD-spezifischen.

    Die Bildung unserer älteren Ossis ist nicht zu verachten! Jedoch:

    Die Leute, die über die Produktionsmittel verfügen, scheinen die aber nicht freiwillig rauszurücken, und ihre Fans prügeln und schießen gern in unsere Richtung.

    Es ist eine vielleicht traurige, aber unumstößliche Tatsache, dass Ökonomischer Erfolg in jeder Hinsicht unabhängig vom bürgerlichen Sinn für Recht und Gerechtigkeit existiert. Beispielsweise führte die Basis der antiken Ökonomie – die Sklaverei – zu höherem Wohlstand als die vorherige Jäger-und-Sammler-Gesellschaft oder die dann folgenden Ackerbaukulturen.

    Bedenke worum du bittest – es könnte in Erfüllung gehen.

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