WER HAT ANGST VORM SCHWARZEN MANN?

Furcht vor dem Verfassungsschutz, Para vor der NSA – Furchtlose Gedanken von Harald Nicolas Stazol

Mit „Strohhut“ hatte ich gerade meinem Berliner Freund Tobias anlässlich des 150. Deutschen Derby in Hamburg die Szene beschrieben – keine Minute später, wird mir auf Facebook einer angeboten. Honi soit, qui mal y pense.

Die erste Radioübertragung der BBC war eine Grußadresse König Georg VI. an den Commonwealth vor dem „Wireless“, dem drahtlosen Radio, und man versammelte sich mit der Dienerschaft im Entrée und lauschte seiner Majestät. Im Stehen. „Kann er uns auch hören?“ fragt eine Köchin in Downton Abbey – da ist George Orwell schon geboren, und schon 1948 imaginiert er in „1984“ die Bildschirme, die alles aufnehmen und zurückübertragen, Winston Smith und die einzige Tafel Schokolade, die er seiner Mutter stiehlt; der Wechsel der Kriegsgegner, den „Big Brother“ während einer laufenden Propagandaschlacht verlautbaren lässt. Und dann der Raum 101. Der des größten Schreckens, in Smiths Fall die Todesangst vor Ratten.

Woher weiß Big Brother davon? Vielleicht weiß es ja die NSA: Auf irgendeinem der abertausenden Servern, täglich von 7,6 Millionen Litern Wasser gekühlt, tief in den amerikanischen Bergen Utahs, gleich bei Saratoga Springs, im National Security Agency Utah Data Center, ist die Dauer vom Anklicken von gewissen „Sportfilmen“, wie wir Pennäler sie nannten, bis man „abschaltet“, wohl genau getimed, während man wohl schon auswertet, welche Filmchen bevorzugt werden, von einem Mann im besten Alter, der den „Figaro“ liest, die „Daily Mail“, „Vanity Fair“, „New Yorker“, die Relotius-Publikationen, von Bloomberg zu CNN alles sieht, bei Amazon gerne Headsets und Modeschmuck kauft – und welche DVDs und CDs ich gerne sehe und höre, „Alexander“, „Troja“ und „Bernstein: The last Tribute“. Netflix weiß plötzlich auch, welche Serien ich mehrmals sah, „Versailles“, zweimal zwei Staffeln geguckt, und natürlich „The Assassination of Gianni Versace“, auch mehrmals, mit Präferenz einer Mordszene, in der der Serienkiller Andrew Cunanan einen steinalten Freier mit einem Betonsack zerschmettert, alle Rippen brechend – also weiß jetzt ein Zuckerberg und seine Filmschaffenden und das ein oder andere Organ, welche Couleur mein persönlicher privater Publikumsgeschmack hat.

Der Autor undercover

Macht mir das Angst? Eigentlich nicht.

„Para vor der NSA“ sagt Jens, 25, der verpeilte Student, hier in einem lauschig abendlichen Sponti-Park, geheim natürlich, er sitzt auf einer grünumrankten Treppe und sinniert:: „Oder gleich vor´m Verfassungsschutz.“ Da ist die Rechercheurin, die mir, als ich einen Artikel über die Saudis poste,  voller Angst am Telefon kategorisch insistiert, auch „dort gibt es Geheimdienste, die knallen dich ab, das ist es nicht wert“ – das Schlimme ist, die Frau in den 50ern glaubt das auch noch, und ist beleidigt, wenn man sie als paranoid bezeichnet, sie: „Ich merke, ich rede offenbar an eine Wand“, nur, weil ich nicht gleich Panzerglasscheiben einbauen lasse und auf den Schiessstand gehe. Vordem sagte sie noch, selbst auf nagelneuen Datensticks seien von den Chinesen schon Viren und Spyware vorprogrammiert, und langsam schwant mir, warum ihre Wohnung so „Shining“-mäßig eingerichtet ist – eben gar nicht- , als käme gleich Jack Nicholson mit dem Hackebeilchen, warte nur ein Weilchen… Sie war allerdings schon im Juni 2016 dem einzigen Toten des G20-Gipfels in Hamburg auf der Spur und forschte zwei Wochen lang nach den Mördern eines jungen syrischen Regisseurs, ein Toter zur passenden Zeit am falschen Ort, und sogar, als der Fall als Suizid eingeordnet wird von der Hamburger Polizei, lässt sie nicht von weiteren abstrusen Verschwörungstheorien…

Da ist der Potentialis eines Überwachungsapparats, national wie international, der, wo auch immer womöglich begründet, eine Massenparanoia über das Land legt.

Mein Vater, 76, ängstigt sich, wenn man eine E-Mail schickt mit dem Vermerk „Kontonummer“ – auch in jener Generation ist inzwischen doch irgendetwas angekommen von den Gefahren des Internets und seinen Folgen. Netzüberwachung total wird befürchtet, während der Normalbürger mit Floskeln wie „ich habe keine Geheimnisse“ treudoof pariert … Was ist da passiert?

Dass die westlichen Staaten mit Kusshand auf das neue chinesische Überwachungssystem mit Gesichtserkennung warten, daran besteht kein Zweifel, war doch Großbritannien schon in den 90ern führend auf dem Felde der Überwachungskameras, was die Verbrechensbekämpfung sicherlich auf Vordermann brachte – um Ethik wurde sich unter der Ägide Thatcher ohnehin wenig gekümmert.

Ich kann sehen, auf welcher Route der Paketbote sich befindet, meinen Position funke ich per GPS ohnehin pausenlos in den Äther – im Tom Cruise Thriller „Minority Report“ einem Sci-Fi Movie, spricht einen die Werbefläche direkt an, weil man sein Konsumverhalten freigegeben hat per Retina-Scan und Augenerkennung – schon allein deswegen meide ich Kundenkarten und zahle lieber bar, weil die Konzerne meine Essgewohnheiten nicht wissen soll.

Es geht soweit, dass eine Freundin von Zigarettenautomaten warnt, „was, wenn die Krankenkassen von den Daten Wind bekommen?“ – sie ist übrigens, wie die Rechercheurin, davon überzeugt, dass sogar Festnetzgespräche überwachbar sind und überwacht werden.

Hatten nicht vorhin schon die „Alexa“-Bluetooth-Apparaturen, die sich die Leute freiwillig ins Haus holen, allerlei Intima eingesammelt und ausgewertet – ich kenne Computer-Nerds, die die eingebaute Kamera über dem Bildschirm ihres Laptops abgeklebt haben.

Da ist die Geschichte aus den Siebzigern, die mir einmal ein Alt-68er zum Besten gab: Ein Literaturprofessor steht sehr links und wird nun während des heißen Herbstes vom Verfassungsschutz als RAF-Sympathisant ausgemacht; – er wird deshalb einer nächtlichen Razzia unterworfen. Ich weiß nicht mehr, welcher Name auf der Terror-Liste der durchsuchenden Polizisten auch der eines Dichters der Romantik war – jedenfalls finden die Beamten das Buch, beschlagnahmen es und kassieren den Emeritierten erstmal ein.

Ob meine Bildbände von Larry Clark, die Stills seiner Jugendlichen bei Blow Jobs in „Die perfekte Kindheit“ bei einer Hausdurchsuchung keine Schwierigkeiten machten, weiß ich nicht. Aber ein Fotoband aus Prag mit recht kunstvoll-harmlosen Männer-Akten wurde von einem bayrischen Grenzpolizisten fast beschlagnahmt, „Jo is des zum Aufgeilen, oder wos?“ Das war 1989. Meine mitreisenden Freunde im alt-rostigen VW-Bus meinten danach, wenn sie das sagten, sei es scherzhaft und neckend, aber einem Polizeibeamten stünde das nicht zu!

Bücher können eben sehr gefährlich sein: Seit dem Flic „Sieben“ mit Morgan Freeman und Brad Pitt weiß ich, dass in den USA sogar die Entleihlisten der öffentlichen Bibliotheken vom FBI eingesehen werden können, verschiedenste Bücher stehen auf dem Index, von „Lolita“ bis zu Chaucers „Canterbury Tales“ in altem Englisch, Bücher über Mörder, Morde und anatomische Anleitungen oder Anleitung zum Bombenbauen ohnehin. Auch Suchanfragen wie „How to kill my wife“ werden füglichst registriert – tatsächlich zeigte die Sendung „Medical Detectives“ solch einen Fall, in dem der Mörder sich bis zum Säurebad für die Leiche alles aus dem Internet zog, von seinem Homecomputer aus, was ihn natürlich sofort überführte.

Man mag mich für Old School halten, aber es gibt einige Gründe, warum ich an der rasch veraltenden Hardware – CDs und DVDs – festhalte, ja, sogar noch VHS-Videokassetten abspiele: Ich bin nicht vernetzt, und niemand sieht mir über die Schulter, nicht einmal der NSA.

Mit dem Verfassungsschutz oder dem BND ist es so eine Sache – letzterer wurde übrigens am 1. April 1956 gegründet, ausgerechnet. Die letzte Veröffentlichung zur Anzahl seiner hauptamtlichen Mitarbeiter hat die BILD erklagt, ausgerechnet: Es sollen 7000 sein, ausgerechnet. Dazu kommen nochmal 7000 „Freie Mitarbeiter“. (Sind das dann Teilzeit-Spione?)

Die Zentrale des BND in der Berliner Linienstraße ist einer der größten Gebäudekomplexe der Stadt, eine fast modern-brutalistische Anordnung von Bauten mit H-förmigen, tausendbefensterten, ineinander übergehenden Flügeln in betongrau. Ich schreibe in meinem politischen Essay „Ich bin gerne Deutscher“ (Plöttner Verlag, Leipzig): „Ich stelle mir hinter jedem dieser Fenster einen Spion vor“. Es gab Anfangsschwierigkeiten – bei aller Geheimhaltung: Die Toiletten funktionierten beim Einzugstermin nicht und es gab davon viel zu wenige. 360 Millionen, wenn ich recht erinnere, die Baukosten.

Aber sie sind nicht untätig, wie das Hamburger Abendblatt am 2.7.2019 berichtet, denn der Staatsschutz wurde tätig: „Anlass sei ein Antrag der Bundesanwaltschaft auf erweiterte Überwachungsmaßnahmen gegen die rechtsextremistische Gruppe gewesen, hieß es. Über Eingriffe ins Fernmelde-, Brief- und Postgeheimnis müsse die unabhängige G-10-Kommission des Bundestags auf Grundlage eingereichter Dokumente entscheiden.“

Dem Zeitungsbericht zufolge stammt die dreiseitige handgeschriebene Aufstellung von Mitgliedern der rechtsextremistischen Vereinigung Nordkreuz, gegen die die Bundesanwaltschaft seit August 2017 wegen des Verdachts der Vorbereitung einer terroristischen Straftat ermittelt.

Nun ja, diese braunen Jungs ängstigen mich zugegebenermaßen mehr, als die, die sie aufspüren: Nordkreuz gehörten mehr als 30 sogenannte Prepper an, die über den Messenger-Dienst Telegram miteinander verbunden seien und sich auf den „Tag X“ vorbereiteten, den von ihnen erwartete Zusammenbruch der staatlichen Ordnung durch eine Flüchtlingswelle oder islamistische Anschläge und die anschließende Ermordung politischer Gegner.

Laut Verfassungsschutz stammten die meisten Personen der Chat-Gruppe aus dem Umfeld von Bundeswehr und Polizei, hieß es. Darunter seien mehrere ehemalige sowie ein aktives Mitglied des Spezialeinsatzkommandos (SEK) des Landeskriminalamtes (LKA) Mecklenburg-Vorpommern. Alle Mitglieder von Nordkreuz hätten Zugang zu Waffen, verfügten über Zehntausende Schuss Munition und seien geübte Schützen.“

Na, Gott sei Dank, dass sie die gefangen haben! Mein voller Ernst. Beruhigend in einem ja auch von  „gewaltbereiten Islamisten“ unterwanderten Land.

In „Bart Simpson, the Movie“ werden die Simpsons von der Umweltbehörde EPA verfolgt, und Schwarzenegger ist – fast prophetisch – Präsident. An der Grenze zu Kanada benutzt Bart  der Furchtlose unvorsichtigerweise sein Mobiltelefon – die NSA hört mit, in einem riesigen Kommandoraum sitzen Hunderte Beamte vor Bildschirmen, wie im Wettbüro eines Casinos in Las Vegas, Nevada. Einer von ihnen, der, der Bart geortet hat, springt auf und jubelt wie bei einem Spiel der Nics: „We found one! We found one! We actually found one!“

Da bleibt einem das Lachen im Halse stecken. Aber Angst habe ich recht eigentlich nicht.

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Dieser Beitrag wurde am 26. Juli 2019 veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink. 1 Kommentar

Ein Gedanke zu „WER HAT ANGST VORM SCHWARZEN MANN?

  1. in der neuen netflix doku „cambridge analytica“ wird dir gleich zu anfang ein prof erklären, wie das mit dem strohut funktioniert.

    ansonsten: hey, wer ein smartphon hat (der trojaner ist nicht _auf_ dem handy, das handy selbst ist der trojaner) oder so was abscheuliches wie fakebook etc benutzt, hat kein recht zu jammern.

    aber hey, hör‘ nichta uf mich, ich hab‘ schrecklich dumme ideen 😉

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