Wer zuletzt lacht, wird erschossen

Der Film selbst hat weit mehr über den Humor zu sagen als seine Zensoren und die Mehrheit der Rezensenten: „The Death of Stalin“ – eine Filmkritik von Gastprinz Jan-Paul Koopmann

Etwas so Ekelhaftes“ wie diesen Film will Jelena Drapeko in ihrem Leben noch nicht gesehen haben. Und damit fällt die Vorsitzende des Duma-Kulturkomitees mehr als ein Geschmacksurteil: „The Death of Stalin“ darf in Russland nicht gezeigt werden. Immerhin dürfte das dem verspäteten deutschen Kinostart am 29. März erheblich mehr Aufmerksam verschaffen als all die positiven Besprechungen, die Armando Iannuccis Comicverfilmung seit ihrem Englandstart im vergangenen Jahr zu Recht bekommt. Wichtiger noch: Das Verbot macht auch inzwischen etwas schal gewordene Frage wieder interessant, worüber man eigentlich Witze machen darf.

The Death of Stalin“ ist eine Komödie. Aber lustig ist dieser Stalin, der im Film frühzeitig zusammenbricht, eigentlich nur da, wo er selbst schuld ist. Über den weiteren Filmverlauf langsam wegsterben muss er nämlich nur, weil erstens kein Ersthelfer wagt, sich in der Nähe des „Zwischenfalls“ blicken zu lassen – und weil ja zweitens alle brauchbaren Ärzte im Gulag sind. Und das Politbüro hat ohnehin ganz andere Sorgen, als lebensrettende Maßnahmen in die Wege zu leiten: die Nachfolge nämlich. Und das Ausschalten der Konkurrenz.

In diesem Machtkampf der Führungsriege glänzt Iannuccis Film schon durch die Besetzung. Von Simon Russell Beale als grobschlächtiger Geheimdienstchef Beria bis zu Jeffrey Tambor, der als Georgi Malenkow schon mal den Überblick darüber verliert, wen man nun schon alles – oder eben noch nicht – liquidiert hat. Und aus der Ferne grinst, ebenfalls leicht entrückt, Monty Pythons Michael Palin als in Ungenade fallender Molotow. Der ist schon tragisch, aber trotzdem keiner von den Guten. Es ist ein grausamer Haufen völlig verrückter Arschlöcher, der da umeinander kreist. Und in dem Frauen übrigens nur sehr am Rande auftauchen.

Die Lächerlichkeit bis ans Messer bewaffneter Intriganten hat Iannucci lange vor diesem Film bereits in seinen Serien durchdekliniert: „The Thick Of It“ auf BBC und für den US-Markt gleich nochmal in der HBO-Serie „Veep – Die Vizepräsidentin“. Klar ist also: Weder hat Stalin ihn auf die Idee gebracht, noch hält er Wahnsinn der Machtpolitik für eine Sache allein des Sowjet-Kommunismus.

Dass „The Death of Stalin“ die Opfer nicht zeigt, heißt nicht, dass sie nicht vorkämen. Denn was den Irrsinn der Täter treibt, ist ja gerade die nicht unberechtigte Angst, selbst als nächster an der Reihe zu sein. Und das zieht vom ZK aus weite Kreise durch die ganze Gesellschaft, am deutlichsten gleich zu Beginn des Film, wo die Philharmonie abgesperrt wird, um ein Konzert zu wiederholen, von dem der Diktator nachträglich noch eine Aufnahme bestellt hat. Ein Wahnsinn ist das, der durchaus groteske Züge trägt, aber doch auch nicht so wirklich witzig ist.

Stalin zu verspotten heißt, die Macht als solche zu verspotten“, schrieb Andrej Archangelski im russischen Portal Republic und versucht so das Verbot des Films zu verstehen: „Man darf Stalin beschimpfen, aber man darf nicht über ihn lachen.“

Interessanterweise hat der Film selbst weit mehr über den Humor zu sagen als seine Zensoren und die Mehrheit der Rezensenten. Als Nikita Chruschtschow (Steve Buscemi, der hier als paddeliger, aber williger Intrigant den nächsten Tätertypus in Rennen schickt) etwa nach einer quälenden ZK-Sitzung nach Hause kommt, geht er mit seiner Frau die Gags durch, die er so gerissen hat. Und beide versuchen sich an einer Humorkritik, die so geht: Stalin hat nicht über deinen Witz gelacht? Dann erzähl ihn besser nicht nochmal.

Weit finsterer sind Berias bestialische Ausführungen über die Ehefrauen seiner Folteropfer: Sie würden alles tun, um ihre Männer zu retten – und ja, „sie hat auch alles getan. Ich danke der Sowjetunion für all die hingebungsvollen Ehefrauen, die ficken wie die Nähmaschinen.“

Spätestens hier stellt sich die Frage, ob man über Stalin lachen dürfe, nicht länger. Sondern: worüber lacht das Schwein da eigentlich? Und warum lacht der Typ in der Kinoreihe hinter mir eigentlich mit? Das ist eben der Spagat, mit dem der Film immer wieder zu kämpfen hat: Die Absurdität enthemmter politischer Macht von dem zu trennen, was ihr Personal für witzig hält. Und das ist weit wichtiger als postsowjetische Befindlichkeiten, weil es auch hier richtig weh tut.

The Death of Stalin“ ist eine blutrünstige Reflexion des Humors, seiner Grenzen – und von Machtgebilden, die sich davon aus der Ruhe bringen lassen.

Kinostart: Donnerstag, 29. 3.

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