Enthemmtes Dresden und „Entartete Kunst“

albertinum, dresden

von Samael Falkner

Als 1933 die Ausstellung “Entartete Kunst” in Dresden eröffnet wurde, legte die NSDAP damit einen wichtigen Grundstein zur Durchsetzung einer eigenen Auffassung von Kunst und Kultur. Diese schloss nicht nur, aber zu großen Teilen vor allen Dingen, Juden aus der Kunstwelt aus. Auch “sozialistische” Künstler und Expressionisten, die sich nicht klar zu dem NS-Regime bekannten, wurden verfolgt und enteignet. Arbeiten von Künstlern wie Chagall, Feininger, Barlach, Kandinsky und Schmidt-Rottluff wurden beschlagnahmt. Was geschah mit der beschlagnahmten “entarteten Kunst”? Einige Kunstwerke wurden verbrannt, etwa bei der Gemäldeverbrennung in der Berliner Hauptfeuerwache 1939. Andere wurden verkauft. Und dann gab es noch solche, die nach der Zerschlagung des Regimes in den Häusern der Nationalsozialisten und ihrer Sympathisanten gefunden wurden. An der Wand, auf dem Dachboden oder bei ihren Verwaltern. Über 1.500 dieser Kunstwerke wurden 2013 bei Cornelius Gurlitt gefunden, dessen Familie zur NS-Zeit für die Nationalsozialisten Kunstgeschäfte abgewickelt hatte. Matisse, Picasso, Nolde – heute ein unvorstellbarer Kunstfund, der bei Auktionen Milliarden einbringen würde.

Entartete Kunst und eifrige Kunstsammler

Die Nazis hatten diese Kunstwerke nicht zerstört, sondern zur Auktion auf dem Schwarzmarkt freigegeben, oder sich daheim an die Wand gehangen, weil sie um den Wert wussten. Die NS-Führung war nicht ungebildet. Hitler selbst hatte ein Kunststudium angestrebt. Es gibt ja Menschen, die behaupten, hätte er als Landschaftsmaler Erfolg gehabt, wäre uns dieses Kapitel der Menschheit erspart geblieben. Das ist natürlich strittig und verharmlost die Bedeutung der Kunst während der Zeit des Nationalsozialismus. Hitler sammelte Kunst und er fiel damit allen politischen Freunden und Untergebenen sehr regelmäßig auf die Nerven. Das NS-Regime kannte derweil mehrere Gründe, Kunst als “entartet” zu bezeichnen und aus dem deutschen Alltag zu verdrängen. Dass jüdische Künstler als unzivilisierte, geistig verwirrte Störenfriede dargestellt werden sollten, war einer davon. Gleichzeitig konnten die vertriebenen Künstler sich nicht mehr gegen das Regime positionieren – praktisch. Zum anderen passte das Menschenbild der nationalsozialistischen Kunst, das sich an antiken Schönheitsidealen von muskelbepackten Soldaten und Helden orientierte, während auch die Architektur immer brutaler wurde, besser zur Kriegsvorbereitung. Nichts sagte deutlicher “Wir können jede Schlacht gewinnen” als Josef Thoraks Pferde, überlebensgroße Kriegsrösser, die ursprünglich vor dem Reichsparteitag aufgestellt waren. Kitschige Landschaftsmalerei und Ölschinken malerischer Lichtungen, durch die ein kleines Bächlein fließt, wurden zur wahren Kunst ernannt, während Hitler und Goebbels die Tiermetapher in ihren Reden etablierten. Heimische Tiere, heimische Wälder, heimische Landschaften, starke Soldaten, Bauten für tausend Jahre.

Kunst ist ja oft auch Geschmackssache. Manche Menschen mögen Landschaftsgemälde, andere sind große Fans des abstrakten Expressionismus. Berufsverbote für Künstler gibt es in Deutschland heute nicht mehr. Und so können Touristen in Dresden sowohl die Gemäldegalerie Alte Meister besuchen, als auch zeitgenössische Kunst in wechselnden Ausstellungen der Staatlichen Kunstsammlung und privater Archive besuchen. Bis 26. März etwa die Nachlass-Sammlung der Werke Josef Hegenbarths in der Calberlastraße oder die Fotos von Benjamin Katz, mit denen er Gerhard Richter begleitete bis 21. Mai im Albertinum. Auch die Galerie Neue Meister stellt viele zeitgenössische Künstler aus. Zahlreiche kleine Galerien runden das Bild Dresdens als Standpunkt für moderne Kunst ab.

Drei Busse und ein wenig Hass

Dass die Dresdner nicht wissen, was sie an ihrer kulturellen Vielfalt haben, ist natürlich gelinde gesagt ein wenig schade. Kultur, und damit einhergehend auch Kunst, sind schließlich der einzige Grund, warum Touristen aus aller Welt die Stadt besuchen. Dass jedoch einige Protestierende bei der gestrigen Eröffnung der Installation “Monument” des Künstlers Manaf Halbouni, der seit vielen Jahren in Dresden lebt und arbeitet und an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden als Meisterschüler bei Eberhard Bosslet im letzten Jahr sein Zweitstudium abschloss, schrien man sollte diese “entartete Kunst”, diesen “Müll” aus ihrer Stadt entfernen – das ist ein anderer Fall. Das ist keine persönliche Betrachtung von Kunst, das ist bewusste Verwendung der nationalsozialistischen Sprache, die zu Vertreibung und Mord der damals unerwünschten Künstler führte.

Die Installation, bestehend aus drei ausgedienten Bussen, erinnert an das ikonische Foto der als Straßenbarrikade und Schutz aufgestellten Busse 2015 im noch immer stattfindenden Krieg Syriens. Bereits auf den damaligen Fotos ließ sich die überwältigende Größe der Fahrzeuge erahnen, die das dahinterliegende Wohngebiet vor Sniperangriffen und Schusswechseln schützen sollten. Die drei Busse auf dem Platz vor der Frauenkirche, die zwei Monate lang ausgestellt sein sollen, geben dieses Bild an den Betrachter weiter. Ein Monument eben. Was haben die Dresdner nun gegen die Busse? Zum einen nimmt man fälschlicherweise an, “der Steuerzahler” zahle für “diese Dinger”. Die ausgedienten Busse wurden lediglich auf Stahlrahmen montiert. Der in Damaskus aufgewachsene Künstler selbst hat auf ein Honorar verzichtet. Das Projekt selbst wird getragen von verschiedenen Kunststiftungen. Kurzum: Es kostet den Dresdner rein gar nichts. Warum sich dennoch daran stören? Weil man keine Lust hat, an Syrien erinnert zu werden? Weil der Krieg so bequem weit entfernt ist? Weil Syrer nicht in Dresden leben sollten? Das zumindest meinten einige der Plakate der Protestierenden. Der Künstler solle seine “Kunst” in Syrien machen und nicht in seiner Wahlheimat und damit an seinem Arbeitsort.

Enthemmte Dresdner und vergessene Geschichte

Die enthemmte Masse hat keine Argumente für ihre Ablehnung. Sie kam teils nur, um laut zu sein, um mehrfach in Kameras zu sprechen, man sei hier nicht rechts, aber das da sei keine Kunst und der Syrer solle nach Hause gehen. Natürlich wissen die Menschen es selbst besser. Sie wissen ja, woher sie den Begriff der “entarteten Kunst” entnommen haben, nämlich aus dem Geschichtsunterricht, als sie von den jahrelang immer wieder neu bestückten und erweiterten Ausstellungen der Nazis erfuhren. Und genau diesen Kenntnisse sollten sie auffrischen. Für alle, die nicht sattelfest in der Geschichte der NS-Zeit sind, empfehle ich die Lektüre von Wolfgang Benz’ “Geschichte des Dritten Reiches”, erschienen bei C.H. Beck. Das Buch hat viele Illustrationen und ist für Laien verständlich geschrieben. Und es spricht auch den Bereich der Künste an und wie das Bild von der “entarteten Kunst” zum Menschenhass der Epoche, dem Holocaust und dem Zweiten Weltkrieg beigetragen hat, wer es verbreitete und weswegen.

Ihr persönlicher Kunstgeschmack ist für die Stadt egal, für die Region egal, für Deutschland unwichtig. Hängen Sie sich daheim an die Wand, was Sie mögen. Wenn Sie wie Hitler gern Feuerbach und Böcklin aufhängen möchten – bitte. Wenn Sie „nicht rechts“, und „kein Rassist sind“ und „nur etwas gegen diese Art von Kunst haben“, überdenken Sie Ihre Wortwahl. Bilden Sie sich geschichtlich. Suchen Sie eine von Manaf Halbounis kommenden Ausstellungen auf und entschuldigen sich bei dem Künstler, der mit der Installation viele Touristen anlocken und beeindrucken wird. Dresden braucht mehr Kunst, aber vor allen Dingen braucht Dresden mehr Kultur. 


Artikelbild: Albertinum Dresden, art_71 / Flickr

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