Von Märchenprinz Bernhard Torsch
Es war einmal, vor langer Zeit, da lebte im ärmlichen Fürstentum Karantanien ein Knabe namens Herbert, den alle nur „Krischpale“ nannten, ein herabwürdigender Ausdruck des lokalen Idioms für Männer mit zarten Gliedern und geringer Körpergröße. „Komm Basketball spielen, Krischpale“, höhnten die anderen Kinder, „wir brauchen noch einen Power Foreward“. Einmal beim Turnunterricht, als er wie immer als Letzter in die Fußballmannschaft gewählt wurde, stellte man ihn ins Tor, doch bis Krischpale von einer Latte zur anderen gelangte, vergingen wertvolle Minuten, was zu einer 0:15-Niederlage seines Teams führte. Eine Karriere als Berufsathlet war Krischpale nicht in die Wiege gelegt.
Dafür war er ein aufgeweckter Schüler, der sehr schöne Aufsätze schreiben konnte. So groß war sein Talent für das, was man in Karantanien für Deutsch hielt, dass er darin nur von einer einzigen Mitschülerin übertroffen wurde. Das war die groß gewachsene Eva. Krischpale war heimlich in Eva verliebt, aber als er einmal allen Mut zusammennahm und die schöne Eva fragte, ob sie mit ihm ausgehen wolle, meinte die nur: „Mit einem Krischpale wie dir? Haha“.
Der junge Krischpale hatte es nicht leicht, doch nachts, wenn er seine kleinen Äuglein schloss, kam eine gute, aber nicht allzu kluge Fee an sein Bett und tropfte ihm süßte Träume in seinen Kopf. Krischpale wuchs in diesen Träumen zu riesenhafter Statur heran, zermalmte seine Gegner mit seinen gigantischen Fäusten und hielt Reden in großen Sälen, die mit tosendem Applaus bedacht wurden. Aber der schönste Traum, den ihm die Fee immer wieder schenkte, war der, in dem er auf einem hohen Ross saß und in die Menge seiner Spötter hinein galoppierte, die daraufhin panisch auseinander stob. Nachdem er seine Feinde mit Hilfe des Pferdes gedemütigt hatte, schwang sich Eva hinter ihm in den Sattel und die beiden ritten in die untergehende Sonne. Aber weil die Fee halt nicht die klügste war, machten diese Träume Krischpale nicht glücklich, sondern nach jedem Aufwachen verbitterter.
Als junger Erwachsener wusste Krischpale nicht so recht, was er anfangen sollte mit seinem Leben. Doch es ergab sich, dass just zu dieser Zeit ein Wanderprediger das Land aufrüttelte. Der hieß Jörg und hatte sich als Drachentöter einen Namen gemacht. Jörg tötete aber gar keine echten Drachen, sondern war ein so geschickter Wortzauberer, dass er einfach in ein Dorf kam und sich willkürlich einen der Dörfler aussuchte, den er dann so lange als Drache bezeichnete, bis alle Menschen glaubten, er wäre wirklich einer. Krischpale sah, wie dieser Jörg, der auch eher schmächtig war, immer beliebter wurde und wie jene Menschen, die seinem Wortzauber nicht auf den Leim gingen, bald sehr große Angst davor bekamen, die nächsten zu sein, die man zu Drachen machen würde.
Krischpale diente sich dem Jörg an und schon bald durfte er für seinem Lehensherren Reden schreiben. Berühmt wurde Krischpale jedoch für die Reime, die er verfasste und die der Jörg im ganzen Land ausrufen ließ. „Kokain statt Muezzin“; „Frankfurter Schule – lauter Schwule“; „Unsere Geranien für unser Karantanien“; „fremdes Blut tut selten gut“; „Isst du Schwein komm nur herein, isst du Rind geh weg geschwind“. Krischpale wurde in Jörgs Diensten berühmt und reich, aber das Loch in seiner Seele wollte sich nicht schließen. Jede Nacht träumte er von Eva. Und von Pferden. Immer größeren und mächtigeren Pferden.
Eines schlimmen Tages zerstritt sich Krischpale mit Jörg, der kurz darauf betrunken einen tödlichen Pferdeunfall erlitt. Aber Krischpale hatte längst einen neuen Herren gefunden, einen Dschinn aus dem Morgenland (Wien) namens Heinz-Christian. Der war noch viel ehrgeiziger als es der Jörg gewesen war, und genau wie Krischpale fühlte er eine Leere in seinem Herzen, die er mit immer mehr Wut und Hass zu füllen versuchte. Mit Krischpales Hilfe säte Heinz-Christian mehr und mehr Zwietracht unter den Menschen, hetzte die Untertanen des Königreichs gegeneinander auf und fand schließlich in einem von Ehrgeiz zerfressenen Prinzen namens Sebastian einen Verbündeten, mit dem er den verhassten rosaroten König stürzen konnte. Als Heinz-Christian und Sebastian sich nun den Thron teilten, vergaßen sie den treuen Krischpale nicht und überantwortetem ihm die Befehlsgewalt über alle Gendarmen und Büttel des Königreichs. Krischpale war fast am Ziel seiner Träume angelangt. Aber eines fehlte noch: Pferde!
Bei jedem Treffen, das das Duumvirat Heinz-Christian und Sebastian mit ihren Beratern abhielt, forderte Krischpale mit immer größerem Nachdruck, man möge die Stadtwachen und Büttel mit Pferden ausstatten. So besessen war er davon, dass er schließlich gar nichts anderes mehr sagen konnte als das Wort „Pferde“. Auf die Frage, wie es ihm denn ginge, antwortete er mit „Pferde!“ Um eine Idee für die nächste öffentliche Ausrufung gebeten, schrie er bloß: „Pferde, Pferde, Pferde!“ Krischpale verlor allem Anschein nach den Verstand, und so willigten die beiden Könige schließlich ein, bei einem Pferdehändler eine erkleckliche Anzahl von Gäulen zu kaufen. Deren Anschaffung und Unterhalt sollte laut Krischpale 50.000 Taler pro Jahr kosten. Bald aber stellte sich heraus, dass es eher eine Million Taler sein würden. Das focht aber weder Krischpale noch Heinz-Christian und Sebastian an, denn ihre ganze Regentschaft war darauf ausgerichtet, einerseits die Armen noch ärmer zu machen und andererseits ganz viel Gold aus dem Staatssäckel für sich selbst und für gute Freunde auszugeben.
Und so bekam Krischpale, wovon er immer geträumt hatte. Er war nun der Herr über die inneren Angelegenheiten des Landes und über ganze Stallungen von Pferden. Bald schon ritten seine Diener mit gezogenen Knüppeln in Ansammlungen von Gegnern der beiden Könige und hauten von oben herab auf deren Häupter. Fast alles war genau so wie im Traum, den die blöde Fee Krischpale einst geschenkt hatte. Nur die schöne Eva sollte nie mit Krischpale ausgehen. Die hatte sich nämlich längst einem Raubritterorden angeschlossen und kümmerte sich nur mehr um sich selbst statt um die Vorgänge im Königsreich. Und so kam es, dass der kleine Krischpale fast alles erreichte, wovon er je geträumt hatte, und trotzdem bis zum Tage seines Todes ein zutiefst unglücklicher Mensch mit gebrochenem Herzen blieb.
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