Die Bedeutung der Zivilisation (2)

Vom Gemüsemann über die Russische Revolution  zu den Freunden. Zweiter Teil einer zivilsierten Serie von Lord Harald Nicolas Stazol

1Da ist die friedliche Szene bei meinem Gemüsemann, der zu den höflichsten, sich ständig verbeugenden Menschen, den ich kenne, gehört, und bei dem ich Kredit habe sogar, wie auch bei der Apotheke am Siemersplatz, meinem Platz – den ich tatsächlich als klar und schön empfinde, auch wenn die Promenade nun wirklich nicht mit der Avenue d’Anglaises mithalten kann oder der Fifth Avenue. Jedenfalls: Wenn ich gewisse Pillen nicht habe oder das Privatrezept nicht parat oder dessen Begleichung nicht leisten kann für einen Moment, werden sie mir sofort ausgehändigt. In Lokstedt ist ein Wort ein Wort. In Eppendorf nicht und auch nicht in Harvestehude. Womöglich in Rissen, woher mein wunderschöner Schauspieljunge herkommt, auch von ihm wird noch zu sprechen sein – er ist einer der Zivilisiertesten, die ich kenne und von außerordentlicher Zivilcourage.

 

Nun, wir waren beim Gemüse, der kleine Mann  rät zu einem P-Konto: „Als Selbständiger muss man haben!“, braucht zwei Stunden des Aufbaus der Äpfelkisten und der Mandarinentragen und der Tulpen, alles vom hiesigen Erzeuger, Altes Land, Schleswig Holstein – mit der Hilfe des Vorbesitzers, einem noch familienreicheren Inder, den ich noch immer mit „Good morning, Sir“ grüße, worauf er „You look like an actor” entgegnet, wenn ich meines Vaters Borsalino trage, aber auch väterlich besorgt sagt: „You had a Champagne breakfast.“ – „No, my breakfast was Champagne.“

 

Das fordert Zivilcourage, und ich darf 62 FB-likes vermelden, als ich poste, ich hätte einen Besoffenen, der zwei voluminöse, buntgewandte Nigerianerinnen im vorletzten 5er Bus anging – ich sah nur noch rote Leukozyten vor mir -, im preußischen Oberbefehlshaber-Ton derart aus dem Felde geschlagen, dass der Busfahrer nur ins Mikro sagte: „Genau so!“. Einer der stolzesten Momente meines Lebens.

 

Aber wir wollten ja vom zivilen Ungehorsam sprechen. „Sorgen machte ich mir erst, als das Brot ausging“, sagte mir damals, beim Aufruhr in Bangkok, mein wunderschönes Model, die große Liebe meines Lebens – irgendeine idiotische Bookerin von LOUISA hatte ihn mitten in einen Bürgerkrieg entsandt. „Die Mall, in der ich letztens noch fotografierte, da ging ne Bombe hoch ne Woche später.“ Voll der Sorge verbriet ich 1000 Euro Telefonkosten und hing vor CNN, sah, wie der zweite Vorsitzende des demokratischen, aber auch gewaltsamen Aufstandes in einem Schwellenland, nein, einem der Tigerländer, von Snipern vom Rednerpult geschossen wurde, betete um der Muse Sicherheit und hatte wilde Träume von den Communarden auf brennenden Barrikaden an den Champs Elysées.

Die Russische Revolution ist übrigens auch die Folge eines Verkehrsnetzes bzw. einer Kreuzung in Petersburg. Eine Frauendemonstration für das Wahlrecht traf mit der Arbeiterpartei aufeinander. Der dort entstehende Druck musste einfach explodieren.

Da ist mein Vater, der im tiefbayrischen, ehemals vollends braunen Ingolstadt maßlos sich erzürnt, nein, entrüstet, als fünf Polizisten in der Innenstadt einen randalierenden Türken – ich weiss allerdings nicht mehr, ob mit einem Messer bewaffnet –  mit gezogener Pistole verfolgen.

Der junge Manager, der mir in der ersten Klasse bei Würzburg einen mich anpöbelnden, besoffenen Fahrgast vom Leibe hält, der meinen Ton nicht leiden kann, während der andere ihn leiden kann, einfach schon, dass er da sitzt, verschafft mir Trost.

Da sind die gesitteten Abendessen im Kreise der Freunde, eines Parfumexperten, eines Chefkochs, eines Agenturbesitzers, eines Vorstandsvorsitzenden und eines armen Literaten, der dort seine Essays vorlesen kann bei Thunfisch und d´Yquem, „Sushiqualität“ wird dann gerne gesagt, manchmal laden wir uns einen Musiker ein – und immer wieder machen wir uns bewusst, „das wir zu einem Milliardstel der Bevölkerung“ gehören. Zivilisation.

Doch warum der Mensch womöglich vernunftbegabt genug ist, um an ihr festzuhalten und an ihr zu feilen, werden wir nun bald dichotomisch, das heißt zweifach den Gesichtspunkt wendend, erörtern.

to be contd.

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