Holy Shit Shopping

Lord Harald Darlington Stazol

Die Grenze von Mode und Religion ist seltsam durchlässig geworden.

Von unserem royalen Modeexperten Harald Nicolas Stazol

Mit diesem Schuljungen kann man jetzt schon ein wenig Mitleid haben, der da im Pelzmäntelchen von Gucci über den Hof wandeln muß, zur großen Pause. Und zur Freude seiner Mitschüler. Die bestimmt ganz ruhig bleiben werden, und sich nichts anmerken lassen. Während sie ihn lautstark auslachen.

Oder mit dem Baby, dessen kleine Füßchen bald in weißen Slippern stecken dürfen, mit dem Doppel-G vorn drauf. Wofür Mami ein Vermögen hinblättern muß, ein ganz kleines, und Papi hoffentlich stolze Augen macht, wenn sie demnächst alle die Kö hinabstolzieren werden, oder Kitzbühel unsicher machen. Und sowieso nichts Besseres zu tun haben, als ihren Kindern Alpträume zuzumuten, denn nichts anderes scheinen sie damit auszulösen, mit diesen Teilen aus der allerneuesten Gucci-Accessoire-Offensive. Bei der man sich schon einmal fragen darf, ob der Designer auch mal einen Blick ins wahre Leben wirft. Oder wo eigentlich die Grenze ist. Zwischen Mode. Und dem totalen Witz.

„Wollt ihr den totalen Witz?” möchte man all jenen schon einmal präventiv zurufen, die sich demnächst allen Ernstes mit einem Gucci-Springseil aus schwarzem Lack-Gummi (oder einem ähnlich undefinierten Material) vergnügen werden. Mit den Boccia-Kugeln von Prada, in rot und schwarz, für 950 Euro. Den Gymnastik-Matten von „Gucci Fitness”, Handgelenksgewichten und solche für die Füße – nur Hanteln fehlen noch im Programm. Wohl, weil auch dem fanatischsten aller Anhänger nicht so recht klarzumachen ist, warum er ein Stahlgewicht von zehn Kilo quasi mit Gold aufwiegen sollte. Nur weil ein Logo drauf prangt. Ziemlich sicher, dass Papi mit seinem Gucci-Architekten-Set – „wahrscheinlich erkennt das wieder keiner”, hat die nette PR-Frau aus Hamburg beim Vorstellungstermin gesagt – auf der Baustelle steht, unter sehr verständnisvollen Bauleitern, von den Maurern ganz zu schweigen: Ihr Stundenlohn wird wohl nicht ausreichen, um den zylindrischen Planschuber aus Rindsleder und verchromten Schnallen zu erwerben, doch darum geht es dann wohl auch nicht mehr.

Frédéric Beigbeder, französisches Literatur-enfant-terrible und ehemaliger Werbeagent, bringt seine Erfahrungen mit der neuen Werbewelt auf die Formel: „Man arbeitet mit dem Unglück des Konsumenten. Und deswegen muß man ihn sofort unglücklich machen. Spätestens dann, wenn er das Produkt erworben hat. damit er wieder ein neues erwirbt.”

Ganz genau gezählt sind die Unglücksraben, die sich eine Gucci-Elektro-Gitarre zugelegt haben, in der Hoffnung, dass sie so zum Rockstar werden. Oder die Musik besser klingt. Weil ein Logo draufpappt Weltweit sind es genau ein Dutzend – man hat die Gitarre natürlich limitiert. Kostenpunkt 32.250 Euro. Kein Witz.

Und man erinnert sich mit Schaudern an die Ausgabe des SZ-Magazins, das seinen Lesern eine Küchenschürze von Prada versprach, als Gewinn eines Preisausschreibens: Wenn das aber kein Witz ist, was ist es dann?

Da drängen sie also in die Alltäglichkeit, jene Modekonzerne, die in den Strömungen der Globalisierung zu weltumspannenden Multis herangewachsen sind, von denen gewissermaßen ein Stildiktat ausgeht. Es ist ihr Geschäft. Und da dem Streben nach Schönheit und Jugend weltweit (fast) alle verfallen sind, ist der Boden, auf dem die Modemultis Gucci, Prada und Richemont (der Juweliere wie Cartier, Van Cleef & Arpels und andere Luxusgüter-Fabriken gehören), entsprechend fruchtbar. Wenn die Gucci-Gruppe an Journalisten silberne Kreuze zum Umhängen verteilt, ist die Grenze von Mode und Religion plötzlich seltsam durchlässig geworden.

Kein Wunder: Mode und Religion folgen ähnlichen (wenn nicht den gleichen) Gesetzen.

Indizien: Alle Kampagnenfotos und Werbespots zusammengenommen übertreffen mit Sicherheit weltweit die Anzahl von Heiligenportraits und Altarbildern: Kate Moss dürfte zusammen mit der Jungfrau Maria die meistabgebildete Person der Weltgeschichte sein, und die Zahl der gedruckten Firmenlogos übersteigt sicherlich die Gesamtheit aller Bibeltexte. Die bloße Image-Präsenz von Marken in der ersten Welt hat an Propaganda-Aufwand und Kunden-Gläubigkeit längst die Staatskirchen und Weltreligionen ersetzt. Eine Feststellung, nebenbei bemerkt, ganz ohne moralische Wertung.

Abbildungen von schönen Frauen gehören seit der Antike zu den Mitteln einer  universellen, tiefverankerten Massenpsychologie. Sie beleben das kollektive Unbewußte: „Wo solche Schönheit möglich ist, kann die Welt nicht schlecht sein”, lautet in etwa die Botschaft. So suggerieren sie gleichsam ihren männlichen und weiblichen Betrachtern eine göttliche Gerechtigkeit, ein „es hat schon alles seine Ordnung.” Claudia Schiffer, Gisele Bündchen und Kate Moss symbolisieren durch ihre bloße Existenz eine gewisse Einheit mit dem Dasein, sie sind menschgewordene Glücksverheißungen, Göttinnen, Hohepriesterinnen des weltumspannenden Schönheitskultes, demokratisch jedermann scheinbar zugänglich. Sind sie denn nicht öffentlich, für alle einzusehen, täglich in Hochglanzzeitschriften, Werbespots, ja, Kinofilmen zu sehen? Ihnen nachstreben heißt den Idealzustand anstreben, so aussehen heißt, erlöst sein – so zumindest bedient sich ihrer die Beauty-Industrie. Gewinnbringend, versteht sich.

Ihre Wallfahrtsorte finden sich in den Innenstädten, flächendeckend, weltumspannend, jedermann zugänglich, jeder kann teilhaftig werden. Sakrale Orte zumeist, die Jil-Sander-Boutiquen, die Prada-Shops, die Chanel-Läden: Gottgleich thronen regungslose Meßdiener darin, unnahbares Verkaufspersonal, das nur lächelt, wenn man durch Überreichung der Kreditkarte zu ihrem ganz persönliche Glauben übertritt. Auf den Altären, weißen Tischen zumeist, gläsernen Ablagen, polierten Oberflächen, liegen Opfergaben an den Schönheitskult. Wer sie erwirbt, die Täschchen und Fläschchen, die Gürtelchen und Tinkturen, dem ist das Himmelreich nah. Sorgsam werden sie eingepackt, die Glücksartikel, mit langsamen, bedächtigen Bewegungen. Und dann der Höhepunkt des Rituals: das Bezahlen, die In-Besitznahme des Traums, das Näherkommen ans Ideal. Noch drei Lippenstifte, und ich bin Kate Moss.

Indizien: Tom Ford, Ex-Chef von Gucci, wird landläufig zum „Stil-Papst” erklärt, Karl Lagerfeld als „Kaiser” tituliert, Miuccia Prada läßt sich von der Top-Fotografin Annie Liebovitz allein vor einem Spiegel ablichten, in stiller Meditation, sich selbst betrachtend. Man darf annehmen, dass dies ohne Selbstironie geschieht – und der Dalai Lama lächelt weise von fern.

Vor der Pariser Louis-Vuitton-Boutique steht täglich eine Schlange von Japanern, nichtendenwollend, glückselig harrend der privaten Vermögensvernichtung. Ihre Opfergaben sind subtiler, zivilisierter als die traditionellen Glaubensgaben von Früchten und Fleischstücken: Sie bringen ihrem Tempel Kapital dar (auch ein uraltes Phänomen: Schon Die Athener opferten dem Orakel von Delphi Gold. Sie verzichteten allerdings auf die Gegenleistung von monogrammübersäten, plastikbeschichteten Leinensäckchen). Mittlerweile haben die Hersteller die Anzahl von Taschen pro Japaner streng limitiert, was nach Ansicht der amerikanischen Journalistin Amy Spindler klar den Gesetzen der Marktwirtschaft widerspricht: „Ich dachte, der eine verkauft, der andere bezahlt. Von künstlicher Verknappung war nicht die Rede.”

Die Zahlen: Der Gucci-Konzern saß,  als sich die Häuser erstmals um 2002 gruppierten, um 2002, auf 3 Milliarden Dollar Eigenkapital, hatte keine Schulden, war an der Börse mit 9 Milliarden Dollar notiert und verkaufte im Jahr Waren im Wert von 1,5 Milliarden Dollar mit 404 Millionen Dollar Gewinn. Zum Konkurrenten LVMH gehörten die Marken Donna Karan, Loewe, Guerlain, Dior, Givenchy und die Champagner-Hersteller Dom Perignon, Krug und Moet & Chandon – die Gruppe dominierte 19 Prozent des Weltmarktes an Luxusgütern, setzt allein mit dem firmeneigenen Louis-Vuitton-Label 1,2 Milliarden Dollar um und machte in einem Geschäftsjahr bei einem Umsatz von 10 Milliarden Dollar 2 Milliarden Dollar Gewinn. Heute dürfte es sich vervielfacht haben. der Luxusmarkt weltweit liegt bei 260 Milliarden. Soviel zu den Machtverhältnissen.

Der Künstler Tommy Sachs hat den Trend längst erkannt und natürlich übersteigert, er kreierte Guillotinnen von Chanel und Pistolen von Prada. Gucci selbst lieferte Handschellen aus Sterlingsilber – ein klares Selbstverständnis, sollte man meinen, das an Symbolkraft nichts mehr zu gewinnen hat.

Interessant übrigens, dass jene Labels, die doch zu Beginn ihrer Existenz nichts anderes waren als Familiennamen, ihre Trägerschaft im Satzbau erhalten haben, ja, zu Subjekten wurden, obwohl sie doch nichts anderes geworden sind als hohle Bezeichnungen, Synonyme, die mit ihrer ursprünglichen Bedeutung nichts mehr verbindet: Coco Chanel war eine bemerkenswerte Frau, aber nun ist sie tot und hätte sie Müller geheißen, wie sähen sie aus, die Ohrläppchen jener Frauen, die die Innenstädte bevölkern? Auch das ein Kennzeichen des Glaubens: Man schafft Übereinkunft durch die Erkennbarkeit des Symbols, die sich überschneidenden CCs schaffen eine Art geheime Schwesternschaft, zu deren Bekenntnis es wenig anderes benötigt, als Barschaft – und wenn das kein Credo ist, war der Galiläer ein Boutiquen-Besitzer.

Bis zur Umsetzung unseres Journalismusfinanzierungsdekrets kann unsere Arbeit mittels eines einfachen Klicks auf den „Spenden“-Knopf gleich oben rechts unterstützt werden. Oder mit einem Einkauf in unserem Shop.

 

Schreibe einen Kommentar