“L´État c´est moi” vs. “Après nous le déluge” – Civilisation parte Neuf

 Plötzlich gehen unsere Augen über, wieder und wieder spiegeln sich 20.000 Kerzen an Weiß und Gold und Blau, und Glas, Glas allüberall, und wo sind wir? Im Spiegelsaal von Versailles. Hier wird Bismarck das Deutsche Reich gründen, hier wird 1918 der Versailler Vertrag einst unterzeichnet werden, der Unrecht zu Recht macht und die glühende Lunte zur nächsten Narretei mit zahllosen Opfern legen wird. Doch nein, nun, in diesem Moment ist es Louis Quatorze, der vierzehnte Ludwig, er ergeht sich in der Promenade, allen Hochadel um sich versammelnd, der sich ruiniert in dieser Hofhaltung, da werden Herzöge zum Halten des Pisspotts seiner Majestät in höchsten Ehren gehalten, da werden Mätressen beschlafen und Pillen geschluckt. Aber dieser König, der ausruft „L´état c´est moi“, der Staat bin ich, Louis, vierzehnter König dieses Namens in Frankreich, er ist der erste Europäer.

Nun mögen an manchen Kanzeln und Kathedern die Lichter angehen ob so gewagter, meine jungen Freunde würden sagen: steiler These.

 

Wie kein anderer versteht sich dieser Franzose auf den Zentralismus, ja, er baut, um die Kontrolle über den Adel zu haben, ein weißgoldenes Aquarium. Die Tyrannei sieht man im goldenen Käfig gar nicht.

Aber jener völlig überspannte Absolutismus, mit einem ganz offensichtlich zur Gigantomanie neigenden Sonnenkönig, dessen Hofhaltung ein Viertel des Staatshaushaltes bestreitet und verschlingt – noch bis zum heutigen Tage sind die Stickereien und Bordüren, die Damaste und Gespinste der Haute Couture in Paris diesem einen Hof zu danken -, ist die Keimzelle eines womöglich geeinten, demokratischen Europa.

Ludwig setzt den Fixpunkt der absoluten Willkür, von der sich die Revolution erst in aller Gewalt entfalten kann. Denn aus all den rosa Pétit-fours, den Allonge-Perücken, den Schönheitsflecken und Tinktürchen, den Skandalen und Bankrotten, den Intrigen und Gavotten, den Affären und Garrotten, scheint es, als wäre alles, alles eine einzige Spieluhr voller weißgepuderter Figürchen, und er, der Sonnenkönig, ist recht eigentlich das Schwarze Loch. alles anziehend und verschlingend, und wer der Sonne zu nahe kommt, stürzt in die Tiefen wie Ikarus.

Wie sich eine völlig überflüssige Klasse derartiger Privilegien bedienen kann … – nun denn, es wird sie dann ja auch fast alle den Kopf kosten.

Wir wollen weder die „Academie Française“ vergessen noch den Invalidendom, noch das, weit vorher, von Henri Quatre Ausgerufene, ein jeder Franzose habe ein Huhn im Topfe zu haben.

Die Töpfe sind leer. Noch kann Chloderlos des Lazlos seine „Gefährlichen Liebschaften“ schreiben, noch pudern die Diener, noch reitet man aus und zur Jagd, und, glaubt man einem Ex-König von Griechenland, der sich in einer royalen Ausgabe der Vanity Fair auslassen darf, Frankreich sei damals das Land, „in dem Milch und Honig floss“ – während der König ein Diamantcollier für die Marquise de Montespan erwirbt für 100.000 Louisdor, und der Geliebte seines Bruders Philippe – Hoheit erscheinen gerne in Frauenkleidern bei Hofe – verspielt in zwei Tagen und Nächten beim “Hasard”, einer Kartenpartie, mal eben 400.000 Goldtaler, immerhin ein Drittel der Apanage seines königlichen Freundes, wofür er dann auch gehörig Prügel bezieht. Wenn sie Sex haben, hat die blaugold-livrierte Dienerschaft mit dem Gesicht zur Wand zu harren, bis wieder im Befehlston „Wein!“ wieder verlangt wird, wenn die Herrschaft sich verausgabt hat. „Prepare les bains!“ hieß, irgendeiner Gräfin oder besagter Marquise heißes Wasser schleppen in ein Marmorbecken von der Größe eines Whirlpools – wie übrigens auch die kargen, schmalen Hintertreppen hinauf im Jenischhaus zu Hamburg noch im Biedermeier.

Versailles hat man sich als eine Kreuzung aus Studio 54 und Berghain vorzustellen samt Pillen und Pülverchen, die man in den Salons erwerben kann, eine Prise zu 6.000 Louisdor (wenn sogar die Währung nach dir heißt). Da werden Ehen angebahnt, begehen verarmte Herzöge Selbstmord, die Hofhaltung verschlingt Unsummen, aber manchmal kommen an einem Tag 22 Familien des Adels aus allen Landesteilen und werden im immer riesieger sich entfaltenden Schloss ohne Gleichen untergebracht, manche auch in den Mansarden – direkt unter dem Bleidach, sodass die Hitze darin unerträglich wird.

Die Hofetikette ist die ausgefeilteste ganz Europas, und überall richtet man sich nach dem dernier cris der glanzvollen Franzosen: Paläste entstehen nach dem Vorbild von Versailles, ja die Landesherren übertreffen einander geradezu, einer eifert dem anderen nach. Blenheim in England, das Geburtshaus Winston Churchills – seine Mutter, eine Vanderbildt, kommt während eines Balls in einer Kammer unter der Treppe nieder – nun, dieser gewaltige Palast kommt in seiner Anlage etwas später noch immer mit Anleihen des Versailler Grundrisses nach.

Der Sonnenönig strahlt somit tatsächlich europaweit über sein Frankreich hinaus und legt so den Grundstein für ein geeintes Europa (q.e.d.). „Après nous le déluge“, nach uns die Sintflut, sagt die Madame de Pompadour, und was dann kommen wird, an jenem Tag als die Bastille gestürmt wird, Ludwig der XVI. „Rien“ in sein Tagebuch schreibt, „nichts“ – da bricht sich der Volkszorn Bahn, und zugegebenermaßen in einem Meer von Blut keimen, blühen und gedeihen die Urzellen der Demokratie und der ersten Menschenrechte. Und alles nicht nur, aber auch wegen Ludwig XIV.

Aber wie es dann weitergeht, mit dem ersten europäischen Gedanken, der Aufklärung und der Revolution, das sollen wir im zehnten und letzten Teil dieser kleinen Serie erörtern.

to be contd.

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