Aufs Dach des Ballsaals scheißt Rudolf Nurejew mehrere Haufen, da hat man ihn aus Versehen aus dem Speisezimmer irgendeines Palais ausgeschlossen, und niemand hört ihn, und dann greift er zu maßvollen Maßnahmen. „Das war halt sein tatarisches Temperament“ sagt die Prinzessin von Sayn-Wittgenstein mir Jahrzehnte später in Salzburg, ich hatte ihr aus dem Fond ihres Wagen geholfen, da hab ich sie gefragt. Der Tänzer ist sofort entschuldigt – eine recht zivilisierte Art des Umgangs. Toleranz auch dem Abwegigsten gegenüber, völkerverständigend, und, wie ich glaube, das Ganze aus einer europäischen Perspektive.
An Nurejew lässt sich allerhand anführen: Da ist der blutjunge Volkstänzer, entdeckt durch die Talentsucher des Marinsky – denn diese Tradition übernahm man aus dem Zaristischen –, der eine Ausbildung erhält und früh zu Ruhm kommt und dann über den Eisernen Vorhang springt, um den gesamten Westen zu begeistern. Als ich einmal ein Foto in der amerikanischen „W“ finde, er in schwarzem Leder von Kopf bis Fuß, gehe ich damit zu Frau von F., meiner „Petra“-Chefsekretärin: „Sehen Sie, einmal warf er ein Bouquet zu Boden und trampelte im Bühneneingang darauf herum, ‚I hate women‘ schreiend …“ – „Zu mir war er immer ausgesucht höflich!“
Und es stellt sich heraus, dass die junge Comtesse von F. einst ihrem Idol nachreiste in alle Welt, sein treuester Fan, und er mit ihr in Rom selbstgemachte Spaghetti aß. Und dass er eines der ersten prominenten Opfer von AIDS war, ist da schon die Apotheose: gestorben am westlichen Sündenpfuhl …
Der von mir sehr verehrte Brieffreund und Wahleuropäer Gore Vidal berichtet in seiner Autobiographie „Palimpsest“ von einem bereits deutlich gezeichneten Tänzer im Kaftan in seiner Villa in Positano, also mitten in Europa. Noch 1962 hatte er eine Liebestriangel mit Jackie Kennedy und ihrer Schwester Prinzessin Lee Radzivil, die gerade erst verstorben ist, und – man glaubt es Truman Capote kaum – auch mit Bobby Kennedy. Sowas nennt man wohl Völkerverständigung.
Allerdings kommen Jackie Bedenken: „Ich glaube, er will meine ganze Familie vernaschen, und auch meinen Sohn.“ Als John-John einen Monat bei Nurejew auf seiner italienischen Insel verbringt und der ihm zum Tanz rät, geht die spätere Onassis-Gattin die vertäfelte Decke rauf. „Ich will nicht, dass er zum Homo heranwächst“, soll sie der Socialyte-Dame Bunny Mellon sagen.
Auch Deutschland wird „einer der größten Künstler des 20. Jahrhunderts“ (Daily Telegraph) maßgeblich beeinflussen – niemand Geringeres als Marlene Dietrich ist in ihn verschossen und stalked ihn in London, während er sich in einem Radziwil-Stadthäuser versteckt, obwohl er doch – nun auch geschlechter-vereinend – „zu 98 % gay ist“, wie Lee ihrer ebenfalls am Rande des Wahnsinns operierenden First-Lady-Schwester sagt, was die nicht abschreckt.
Der in einem Eisenbahnabteil zur Welt Gekommene (Mama reiste hochschwanger zu seinem tatarischen Offizier von Vater) wird ihnen allen den Kopf verdrehen. Civilisation at it´s finest …
Was aber das Einende eines Rudolf Nurejew mit der Einheit Europas zu tun hat, das wird im weiteren zu erörtern sein.
to be contd.
Bis zur Umsetzung unseres Journalismusfinanzierungsdekrets kann unsere Arbeit mittels eines einfachen Klicks auf den „Spenden“-Knopf gleich oben rechts unterstützt werden. Oder mit einem Einkauf in unserem Shop.