Eine Filmkritik von „Die Berufung“ (Kinostart am 7. März) über Ruth Bader Ginsburg. Von Robert Herr
„Die Berufung“ startet mit dem Harvard-Song „Ten Thousand Men of Harvard“, zu dessen Klängen tatsächlich gefühlt 10.000 Männer zu Beginn des Semesters auf den Campus der Universität marschieren. Einziger Farbtupfer, der aus dem Einheitsbrei von adrett frisierten jungen Burschen heraussticht, ist das blaue Kleid der von Felicity Jones gespielten jungen Ruth Bader Ginsburg, die Ende der 50er Jahre nur eine von neun Frauen ist, die in Harvard das Studium der Rechtswissenschaft beginnen.
Als ihr Mann Marty (gespielt von Armie Hammer) an Hodenkrebs erkrankt, muss sie sich nicht nur um ihn und ihre kleine Tochter Jane kümmern, sondern neben ihrem eigenen Studium auch das ihres Mannes bewältigen, dessen Vorlesungen sie für ihn mitbesucht. Trotz dieser Widrigkeiten wird sie Jahrgangsbeste und übertrifft sämtliche Erwartungen.
Doch während einem Mann nun eine glänzende Karriere ins Haus stünde, stößt Ruth auf Widerstände. Wurde sie an der Universität bereits von Professoren und Kommilitonen ignoriert oder belächelt und sollte sie dem Dekan der Rechtsfakultät erklären, warum sie einem Mann den Studienplatz wegnahm, wird sie nun trotz herausragender Leistungen in keiner großen und nicht einmal in einer mittelmäßigen Kanzlei akzeptiert. Mal befürchtet man, die Frauen der anderen Anwälte könnten eifersüchtig werden, mal denkt man, sie bewerbe sich für eine Stelle als Sekretärin.
Schlussendlich entscheidet Ruth sich dafür an der Universität als Professorin zu arbeiten, während ihr Mann trotz schlechterer Leistungen als Anwalt in einer Top-Kanzlei erfolgreich ist.
Anfang der 70er ist Ruth jedoch unglücklich damit, nur die Revolutionäre der Zukunft auszubilden, will sie doch selbst die Welt verändern, wie sie in einem emotionalem Ausbruch ihrem Mann gegenüber zum Ausdruck bringt.
Die Gelegenheit dazu bekommt sie, als sie gemeinsam mit ihrem Mann den Berufungsfall eines älteren Junggesellen annimmt, der seine kranke Mutter pflegt. Frauen bekamen in diesem Falle eine Steuererleichterung, Männer jedoch nur, wenn sie entweder verwitwet oder geschieden waren. Den Gesetzgebern kam gar nicht in den Sinn, dass ein Mann sich entscheiden könnte, sein Leben lang unverheiratet zu bleiben. Diese sexistische Diskriminierung eines Mannes nimmt Ruth Bader Ginsberg zum Anlass, um alle der hunderten Gesetze in Zweifel zu ziehen, in denen auf der Grundlage des Geschlechtes diskriminiert wird und von denen vor allem Frauen betroffen sind.
Eine zentrale Rolle im Film nehmen auch ihr Mann Marty und ihre Tochter Jane ein.
Marty wird im Beruf von seinen Kollegen bewundert und obwohl seine Frau ihm in allen fachlichen Belangen überlegen ist, schreitet er mit deutlich größerer Leichtigkeit von Erfolg zu Erfolg. Zu Hause wiederum ist er dafür zuständig, den Haushalt zu schmeißen oder Tochter Jane zu trösten, wenn die sich mit der Mutter gestritten hat. Marty erkennt die größeren Fähigkeiten seiner Frau neidlos an. An der entscheidenden Stelle des Filmes unterstützt er sie, indem er einfach die Klappe hält und sie reden lässt. Dem Film gelingt es auch immer wieder, Ruth Bader Ginsburgs berühmten trockenen Humor treffend wiederzugeben.
Zwischen Mutter Ruth und ihrer mittlerweile jugendlichen Tochter Jane besteht ein deutliches Spannungsverhältnis. Jane revoltiert gegen die ihr von der Gesellschaft aufgezwungene Rolle und hält ihre Mutter für zu brav, weil die nur über Veränderung redet, statt sie herbeizuführen. „Das ist kein Aufstand, das ist eine Selbsthilfegruppe“, sagt die junge Jane über die Rechtskurse ihrer Mutter an der Universität.
Erst als sie die Leidenschaft sieht, mit der ihrer Mutter gegen die sexistische Gesetzgebung der USA kämpft, und als Ruth erkennt, dass ihre Tochter bereits Teil der Veränderung ist, für die sie selbst kämpft, verbessert sich das Verhältnis der beiden. Im wirklichen Leben ist Jane Ginsburg mittlerweile selbst Jura-Professorin an der Columbia University.
Ruth Bader Ginsburg ist eine Superheldin des liberalen und linken Amerikas. „Die Berufung“ ist ihre origin story. Wir sehen nicht die Ikone, die Ruth Bader Ginsburg heute ist, sondern eine Frau, die sich unter widrigsten Bedingungen durchgesetzt hat und ihr Wissen und ihre Kraft dem Kampf für eine gerechtere Welt widmet.
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