Vom Nazi zum Papi

Vaterschaft und Ehe machen einen Neonazi zum guten Menschen. Eine Kritik des Kinofilms „Skin“. Von unserer Gastprinzessin Katrin Hildebrand

„Ich möchte in dir sein.“ Ganz ehrlich. Bekäme ich, als Aushilfsprinzessin aus dem einst sehr rotlichtigen Münchner Hofbräuviertel, jemals ein so formuliertes Angebot, ich würde dem Bittsteller absagen. Oder vielmehr: Die betreffende Person müsste so schön und edel sein wie der Heilige Sebastian (wobei der Heilige Sebastian niemals eine solch unterirdische offre machte), um nach einem solchen Fauxpas nicht mit mit der Mistgabel vom Hof gestochert zu werden – da „ist“ (oder vielmehr steckt) dann eben auch ganz schnell mal was „drin“ im Manne. Sex, Erotik sollte leidenschaftlich sein und wild, aber doch kein schmierlappiges, hingeschwulstetes, regrediertes Gestammel von „drin“ und „draus“, oder burschikos formuliert: vom Wunsch nach „in der Frau Abspritzen“ nach Familienart.

Um Familienart, selbstverständlich, geht es im Film „Skin“. „Ich möchte in dir sein“ ist der hündische Liebesbeweis der Hauptfigur, eines zu diesem Zeitpunkt von seinen Missetaten beinahe geläuterten Neonazis. Dieser Liebesbeweis – meine weniger noblen Gefährten würden es eher als Fickabsichtserklärung bezeichnen – dient im fast zweistündigen Opus auch als Bild der Besserung: Der nicht mehr ganz so böse Protagonist will nun nicht mehr totschlagen und hetzen, sondern stattdessen sein Sperma in der Frau abladen. Dank dieser neuen, ambitionierten Aufgabe wird er fortan die Finger vom Migrantenjagen lassen. Stattdessen kehrt er heim in der Übermutter Schoß. Denn die Liebe, die Ehe, die Zweierbeziehung, die Reproduktion und der legitimierte Anspruch auf die Genitalien und Gonaden des anderen, heilt als Himmelsmacht eben alle Wunden und ideologischen Verirrungen.

Ginge es nur um die Technik, ich würde kein schlechtes Wort über „Skin“ verlieren. Die Bilder, die Schauspieler – gäbe es einen Schneider hier in der Stadt, der so viel von seinem Handwerk verstünde wie diese eifrigen Werkler, könnte ich wie ein stolzer Schwan zum nächsten Residenzball gehen. Doch leider haben es Filme mitunter an sich, dass sie eine Geschichte erzählen sollen. Und daran sind schon die Besten gescheitert. Guy Nattiv, der Regisseur, hat sich eine wahre Geschichte ausgesucht. Er berichtet von Bryon Widner, einem amerikanischen Neonazi, der nach 16 Jahren Neonazidasein offensichtliche keine Lust mehr hatte. Diese plötzliche Unlust auf Hass, Morden und Niedertracht resultierte Widner zufolge aus seiner neuen Liebe und der Tatsache, dass er – weil er seinen Herzenswunsch, „in“ der Frau zu „sein“ verwirklichen konnte – Papi wurde. Das ist wundervoll für Widner, schön auch für die Menschen, die er zuvor bedroht und rassistisch beleidigt hatte (und auch für die, die er in der Zukunft fertiggemacht hätte), denn das tat er offensichtlich hinterher nicht mehr.

Doch reicht die Erkenntnis „Vom Nazi zum Papi“ für ein Kunstwerk aus? Ein Kunstwerk, das versichere ich Ihnen, ist immerhin höchstes aller Güter. In ihm schlummert ein Hauch von Ewigkeit. Das sagte schon mein Opi, Obersthofstallmeister im herzoglichen Dienst und Kunstkenner von Weltrang. Und lassen Sie sich versichern: Schon allein wegen seiner Suggestivwirkung auf Hinz und Kunz, die ein Gemälde, ein Gedicht oder ein Roman vielleicht nie erlangen können, kommt dem Film an sich eine besondere Verantwortung zu.

Zur Erkenntnis, Familienväter seien gute Menschen (so suggerieren es gerne die modernen Medien) sei angemerkt: Die Reproduktion mag Exnazi Widner bekehrt haben, nicht aber die Menschheit. Es wird ja von vielen Neonazis und Altnazis, Faschisten, Mördern, religiösen Eiferern und Menschenhassern behauptet, sie seien Papi (manchmal, so ein Gerücht, sogar Mami) gewesen. Einige waren sogar Papi (weniger Mami) und haben nicht wie Widmer und Co. Migranten, Antifaler, Afroamerikaner etc. pp. bedroht, sondern flugs einfach ihre eigene Brut, die echte und die angeheiratete, vernichtet.

Ganz so ein jammervoller ideologiefreier Wüterich war Widner freilich nicht. Er hatte ein politisches Motiv. Er trug es sogar mitten im Gesicht. Nach seiner Bekehrung vom randalierenden Singlemann zum hochanständigen Gatten ließ er sich denn auch alle Neonazitattoos aus dem Anlitz tilgen. Per Laser. Im Film wird natürlich auch gelasert, immer wieder, bei stahlblauem Licht, mit knallhartem Kamerablick auf Widmers schmerzverzerrte Visage. „O, was hat dieser Mensch gelitten!“, fährt es da dem empathischen Zuschauer ins Gebein. Und ganz nebenbei unter uns Kunstkennern: Was für eine doppeldeutige Metapher! „Skin“. Da muss ein Filmemacher freilich zugreifen und draufhalten. Ungeschickt nur: Bei all der Ästhetik und Begeisterung für die Vieldeutigkeit des Filmtitels „Skin“ (wenn Sie es noch nicht verstanden haben, erkläre ich es Ihnen gerne bei einer Tasse Tee aus Nymphenburger Porzellan) fällt völlig unter den Tisch, was Neonazis außer Süßholz raspeln, kopulieren und unterm Laser ächzen sonst so machen. Daher sei es an dieser Stelle noch mal erwähnt: drohen, morden, verprügeln, hassen, unterdrücken, ausgrenzen, dämonisch bei Gerichtsprozessen lachen und mit dem Verfassungsschutz unter einer Decke stecken.

Zum Thema Mord und Totschlag sei darüber hinaus angemerkt: „Skin“ zeigt zwei Angriffe auf Antifaschisten bzw. Migranten. Doch vermutlich ging den Machern dabei kurzfristig das Filmmaterial aus oder der Akku war leer. Und so werden die Angriffe ganz schnell, en passant absolviert wie ein Besuch bei der nervigen Erbtante. Ihre Opfer sind denn auch nur Nebenfiguren. Die Nazigegner tauchen so schnell wieder ab, wie sie auftauchten, als kleine flüchtige Skizzen im Lebens des großen Protagonisten. Des liebenden Familienvaters, gelaserten Bekehrten und greinenden Abspritzers.

Ganz zum Schluss allerdings schöpfte ich, die unwissend naive Zuschauerin, noch einmal Hoffnung. Da schleicht Widner schuldbewusst durch eine Siedlung. Der Blick ist trüb, die Schultern kippen nach vorne. Er sucht Vergebung, will einen Neuanfang. Er klingelt an einer Tür. Hinter der Tür ist ein Haus. In dem Haus „ist“ jemand „drin“. Aber wer? Wer wird ihm öffnen? Jesus? Maria? Josef? Der heilige Sebastian? Buddha? Die sieben Zwerge? Für einen kurzen Moment hoffte ich, mit Aushilfsprinzessinneninbrunst, es sei der junge Antifaschist, den Widner und die Seinen ganz am Anfang krankenhausreif geschlagen hatten. Naiv, natürlich. Was interessiert irgendein dahergelaufener Einzelmensch, wenn es doch eigentlich nur um Familie, Brut und Eigentum geht.

Skin – Kinostart: 03.10.2019; im Verleih: 24 Bilder

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Dieser Beitrag wurde am 2. Oktober 2019 veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink. 1 Kommentar

Ein Gedanke zu „Vom Nazi zum Papi

  1. Der Nationalsozialismus (laut Wikipedia basierend auf der Völkischen Bewegung der 1880er Jahre) fasste bei uns Fuß nach WK1. Er trug Züge einer Jugendbewegung, und entsprechend der Jugend-Denke sind sie dankbar für die Möglichkeit, die Korruption personifizieren zu können im Mem „die Juden“. (Die Schlichtheit der Denke ist mir aus eigener Jugend vertraut. Ich schäme mich dessen nicht. Denn ich bin heute erwachsen.)

    Nun, die Geschichte nahm ihren Lauf: ʼ33 bekam Hitler die Macht in den Schoß gesetzt mit einem Kuss auf die Stirn. (Machtübernahme? Haha!) 33-39 war Frieden, 39-45 war Krieg, nach 45 gab es Prozesse, bei denen der Richter (USA) Konfliktpartei war. Das Urteil lautete: Alleinschuld hat Deutschland.

    Für den Nicht-Juristen: wenn ein Gerichtsurteil in die dritte Widerspruchsinstanz geht, wird (spätestens) nicht der Tatbestand an sich verhandelt, sondern die fehlerfreie Anwendung des Rechts. Diese Instanz heißt Revision. Ein Richter, der Konfliktpartei ist, ist unbedingt befangen. Ein befangener Richter ein unbedingter Revisionsgrund.

    Für den Nicht-Linguisten: Man kann neutrale Begriffe mit Substantivierung zu einem Pejorativ („Schlechtmach-Wort“) ummodeln, etwa bei „Verschwörungstheoretiker“ für Zweifel an der Alleinschuld von Lee Harvey Oswald beim Jahrhundertmord an JFK. Oder bei „Revisionist“ für „Revision“ im Sinn von Prüfung der Nürnberger Prozesse auf Rechtsfehlerfreiheit.

    Nun, wie gehen die Deutschen mit diesem Konflikt um? Die normal stolz sind auf ihren Status des „Rechtsstaats“? Indem sie das Urteil als „wahr“ verinnerlichen. Indem sie ihre „Schuld“ zum Kult erheben: der einzig gangbare Weg. Denn dumm sind sie nicht, die Deutschen. (Ich weiß das genau, ich bin einer von ihnen.)

    Was sich heute als „Nazi“ selbstdarstellt hat von alledem keinen Dunst. (Es gibt auch dumme Deutsche.) Wer heute den geschorenen Glatzkopf als „Nazi“ ansieht dito. Es wäre wünschenswert, die eigene Vergangenheit mit kühlem Kopf zu betrachten. Augenscheinlich ein Ding der Unmöglichkeit (derzeit).

    Die vorliegende Filmkritik hat eine Gelegenheit versäumt, den Tatbestand zu klären. Das finden wir ein kleines bisschen schade.

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