Gerhard K. Nagel: Wie laufen die Entscheidungsprozesse bei der DIG? Welche Funktionen haben die Hautversammlung, die Arbeitsgemeinschaften, das Präsidium und welche Spielräume gibt es?
Uwe Becker: Das Wesentliche bei der Deutsch-Israelischen Gesellschaft ist, dass sie aus der Dezentralität lebt. Letztlich entsteht aus der Arbeit, aus dem Engagement der über 50 Arbeitsgemeinschaften eine starke Familie. Gerade auch die Arbeitsgemeinschaften vor Ort begleiten nicht nur mit Veranstaltungen, mit Inhalten die Arbeit, sondern treiben sie aktiv voran.
In den Arbeitsgemeinschaften findet das eigentliche Leben der DIG statt, findet die Nähe zu den Menschen statt, findet das Werben von neuen Mitgliedern statt. Das Kernelement dieser Arbeit ist, den Menschen Israel nahezubringen, sie über Israel aufzuklären, Solidarität zu zeigen und Begegnung möglich zu machen. Insgesamt schafft die Organisation der DIG dafür den notwendigen Rahmen. Das Präsidium, als zentrale Instanz und der Präsident, also ich, steuern und lenken das große Schiff inhaltlich und operativ. Von dort aus wird im Grunde die strategische Ausrichtung und die politische Positionierung vollzogen.
Ein großer Vorteil der DIG ist, dass wir anders, als mancher Verein, anders als Parteien, Kirchen, Gewerkschaften, ein junges Fundament haben. Von unseren rund 6000 Mitgliedern sind rund 1000 im Jungen Forum. Gerade die jüngere Generation bringt sich sehr aktiv ein. Das stimmt zuversichtlich, dass die Arbeit der Deutsch-Israelischen Gesellschaft auch in den nächsten Jahren gewährleistet ist.
GKN: Und die Hauptversammlung?
Uwe Becker: Die Hauptversammlung ist, wie auch in anderen Vereinen, das oberste Beschlussorgan der Gesellschaft. Das heißt Beschlusslagen über die Satzung der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Beschlussfassungen über Beitragsfragen der Gesellschaft, zu den Wahlen, zur Führung, zum Präsidium, finden dort statt.
GKN: Legt sie auch den Rahmen für die Arbeit des Präsidiums fest?
Uwe Becker: Die Hauptversammlung berät mit über den wirtschaftlichen Rahmen in dem operiert wird, legt insofern den Wirtschaftsplan mit fest. wobei sich ein großer Teil auch aus den Mechanismen von Zuschuss und Förderung ergibt.
GKN: In Bezug auf die politische Positionierung setzt also die Hauptversammlung die Eckpunkte, in deren Rahmen das Präsidium arbeitet.Darüber hinaus – da, wo es keine Beschlusslagen gibt – ist es in seinem Wirken frei.
Uwe Becker: Ja, das ist richtig. Der Präsident – also meine Person – ist in seinen Äußerungen auch weitgehend frei. Ich bin gewählt als Präsident, um die DIG nach außen zu vertreten, wie auch ein Vereinsvorsitzender seinen Verein vertritt, wie eine Gesellschaft von ihrem jeweiligen Vorsitzenden vertreten wird. Das ist meine Rolle und ich bewege mich natürlich unter Berücksichtigung der getroffenen Beschlusslagen.
GKN: Ich habe mich mit der Magdeburger Erklärung der DIG, die bei der letzten Hauptversammlung beschlossen wurde, vertraut gemacht. Ein wichtiges Thema in dieser Erklärung betrifft die Positionen der DIG zum Iran. Es wird dort formuliert, dass die Feinde Israels zu benennen und politisch zu bekämpfen sind. Das gelte zuvörderst für das iranische Mullahregime, in gleicher Weise aber auch für kriminelle Terrororganisationen, wie die Hisbollah und die Hamas. Es wird gefordert, das Mullahregime mit schmerzhaften Sanktionen zu belegen und die Hisbollah als Terrororganisation einzustufen.
In einer nicht mehr ganz aktuellen Stellungnahme der DIG zum Gebaren Regierung des Iran vom November 2017 richtete die Deutsch-Israelisch Gesellschaft folgende Forderungen an die Bundesregierung:
– Einsatz für die konsequente Durchsetzung der im Atomabkommen mit dem Iran vorgesehenen Auflagen
– erneute Verhandlungen mit der iranischen Regierung anstreben, deren Ziel es sein müsse, zu verhindern, dass nach dem vertraglich vereinbarten Auslaufen der internationalen Überwachung. die iranische Regierung erneut die Herstellung atomarer Waffen betreibt (was sie inzwischen ja erkennbar tut)
– die Wiederaufnahme und den Ausbau wirtschaftlicher Beziehungen unmissverständlich an folgende Bedingungen zu knüpfen: (1) die Anerkennung des Existenzrechtes des Staates Israel und (2) die Beendigung der geopolitischen Destabilisierung in der Region des Mittleren Ostens.
In der Magdeburger Erklärung wird zudem gefordert, das Abstimmungsverhalten bei den Vereinten Nationen klar für Israel auszuüben. Sie, Herr Becker, haben das ergänzt um die Forderung, Deutschland müsse bei israelfeindlichen Resolutionen mit „Nein“ votieren und die Rüge der Vereinten Nationen zum Beschluss des Bundestags gegen die BDS-Bewegung zurückzuweisen.
Uwe Becker: Was den Iran angeht habe ich sehr deutlich formuliert, dass man sich – auch losgelöst von den Bewertungen in Zusammenhang mit dem Atomabkommen – anschauen muss, wie der Iran sich konkret in Bezug auf Israel verhält. Zum Atomabkommen gibt es immer eine Debatte darüber, ob der Iran und falls ja, in welchem Umfang gegen die Auflagen verstoßen hat. Natürlich ist es unstreitig, dass beispielsweise ein Mittelstreckenraketenprogramm, das der Iran aufgesetzt hat und weiterführt, nur dann Sinn macht, wenn weiter an der Atombombe gearbeitet wird. Ich sage aber unmissverständlich: Wir sollten den Blick vom Atomabkommen lösen und uns unter der Prämisse der Staatsräson ansehen, wie der Iran – nicht das Volk, sondern die iranische Mullahregierung – mit Israel umgeht. Es gibt den Einsatz der iranischen Garden in Syrien über die man Israel angreift und mit Raketen beschossen hat. Es gibt die iranische Unterstützung der Hisbollah im Libanon, die auch einen bewaffneten Kampf gegen Israel führt und die letzten Raketenbeschüsse aus dem Gaza-Streifen heraus auf Israel erfolgten durch den Islamischen Dschihad, der ebenso vom Iran unterstützt wird. Wenn man dieses Bild nimmt und sagt: Was heißt denn Staatsräson in Verhältnis zu einem Staat, der fortlaufend den bewaffneten Kampf gegen Israel führt, dann muss die Antwort eine scharfe sein. Es muss über effiziente Sanktionen gesprochen werden. Insofern hat sich die Position der DIG in Bezug auf die Iranpolitik erweitert.
GKN: Bei sehr vielen zentralen Themen der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, über die wir auch hier sprechen, ist mir aufgefallen, dass sie einen appellatorischen Charakter haben. Gibt man jeweils nur allgemeine Erklärungen ab, die sich Bundestag und Bundesregierung anhören sollen, damit sie vielleicht etwas tun, oder kann man von Seiten der DIG aus mehr tun und was kann man getan werden, damit sie sich konkretisieren und politisch fassbar werden?
Uwe Becker: Man kann Forderungen ganz klar in Richtung des Bundestags und/oder der Bundesregierung richten und sich etwa durch Präsenz von Abgeordneten, die im Präsidium der DIG vertreten sind und durch exponierte Mitglieder in die Fraktionen hinein artikulieren. Das schafft zwar nicht automatisch Mehrheiten, aber es sorgt zunächst einmal dafür, dass die Forderungen der Deutsch-Israelischen Gesellschaft auch im Deutschen Bundestag ankommen. Auch das Wort des Präsidenten in Richtung des Bundestages oder der Bundesregierung gilt. Das hat natürlich zunächst einen appellatorischen Charakter, ist aber mit der Erwartung verbunden, dass man sich mit den Forderungen auseinandersetzt und diese auch in Politik umsetzt.
GKN: Sind auch organisatorische Schienen vorhanden, um direkt in die Bundesregierung hineinzuwirken, wie fest anberaumte Gespräche mit politischen Repräsentanten?
Uwe Becker: Es gibt derzeit keine routinehaften Gesprächslagen. Es gibt den Austausch an Stellen, wo auch ich als Präsident in Gesprächen bin, aber noch nicht in Form von festen Zyklen, in denen ein institutionalisierter Austausch greift. Es finden immer wieder Gespräche statt. So steht die DIG natürlich in starkem Maß in Verbindung mit dem Auswärtigen Amt. Wir sind auch stärker, als in der Vergangenheit als DIG präsent, zum Beispiel auch auf den Parteitagen der demokratischen Bundesparteien, um Flagge zu zeigen
GKN: Zurück zu den zentralen Themen der Deutsch-Israelischen Gesellschaft und damit zur Magdeburger Erklärung. In der Magdeburger Erklärung wird festgehalten, dass es auf palästinensischer Seite eine Verhandlungsverweigerung gibt und gleichzeitig der Terror finanziert wird. Trotzdem werden die Palästinenser alimentiert. Bei Ihnen, Herr Becker, habe ich in einem Statement zu den Reaktionen auf die neue Situation, den aktuellen Raketenbeschuss Israels durch den Islamischen Dschihad, die Aussage gefunden, dass man die Finanzhilfen einfrieren soll. Meine Frage: Bleibt man dabei stehen oder könnte man über finanzielle Mittel sprechen, wenn damit gekoppelt darauf Einfluss genommen würde, was mit den Geldern geschieht?
Uwe Becker: Die Politik würde jetzt natürlich sagen, dass sie gewisse Festlegungen trifft, wofür grundsätzlich die Mittel eingesetzt werden und dass man nicht nachweisen kann, dass genau dieser eine Euro, der aus Europa kommt, anschließend auch zur Terrorismusfinanzierung verwendet wird. Aber man hat derzeit klar die Situation, dass mehrere Hundertmillionen Dollar oder Euro zur Verfügung gestellt werden, obwohl gleichzeitig die palästinensische Autonomiebehörde beispielsweise die Rentenprogramme für terroristische Familien weiterführt. Wenn je nach Schwere eines terroristischen Anschlags gestaffelte Finanzleistungen an Terrorfamilien laufen, dann macht die palästinensische Autonomiebehörde damit den Terrorismus auch noch lukrativ. Und so lange zumindest solche, sehr klar in Richtung des Terrors geführten Programme durch die PA stattfinden, solange sollte klar sein, dass wir keine weiteren Mittel überweisen. Also, ich glaube, das ist eine Mindestforderung, die man stellen muss. Die Gelder sollten ja ursprünglich dazu dienen die PA in die Lage zu versetzen, ihre wirtschaftlichen, sozialen und sonstigen Aufgaben gegenüber der eigenen Bevölkerung übernehmen zu können. Eine weitere Finanzierung ist nur dann vertretbar, wenn man ausschließen kann, dass Gelder in Projekte und Programme fließen, die dem Terror dienen.
GKN: Und auch dass Geld irgendwo in anderen dunklen Kanälen versickert, beispielsweise zum Teil auf Privatkonten landet.
Uwe Becker: Da muss man sich nur die Hamas anschauen und kann feststellen, dass Teile der Gelder, die dorthin fließen, auch mit zur Finanzierung der korrupten Führung verwendet werden. Und dann fließen noch sehr hohe Beträge, in die Terrorinfrastruktur, beispielsweise in Tunnelanlagen, anstatt in Krankenhäuser oder soziale Einrichtungen. Das sind alles Dinge, die man konkreter in Forderungen packen müsste, bevor man entsprechende Mittel überweist.
GKN: Damit sind wir wieder beim Bundestag, der Bundesregierung, dem Außenministerium und auf der nächsten Ebene natürlich der Europäischen Union, da von beiden Ebenen Gelder an die Palästinenser gehen. Hier etwas in Bewegung zu setzen, ist ein relativ langwieriger Prozess. Bis man bei Europa anlangt, muss ja erst einmal die nationale Schiene für ein eindeutiges politisches Verhalten gewonnen werden.
Uwe Becker: Richtig. Deswegen ist es ja umso wichtiger, dass die DIG – was ja die letzten Wochen erkennbar ist – wieder lauter wird und klarer in ihren Forderungen, damit man die Themen überhaupt wahrnimmt, damit ankommt, warum bestimmte Forderungen wichtig sind und warum die Notwendigkeit besteht, dass man bestimmte Themen in der Politik verändert. Wenn es nicht die DIG äußert, dann wird es niemand äußern. Insofern ist die DIG in besonderem Maße gefordert.
GKN: Man befindet sich hier in der gleichen Situation, die wir vorhin schon erörtert hatten: Die Möglichkeit, etwas zu bewegen, setzt voraus, dass die DIG nicht nur Appelle aussendet, sondern über Gespräche und Präsenz vor Ort die Themen an die Entscheidungsträger heranträgt.
Uwe Becker: Je mehr Israelfreunde in und außerhalb der DIG sich deutlich artikulieren, je mehr qualifizierte Gespräche mit Entscheidungsträgern geführt werden, umso besser sind die Aussichten politische Themen zu setzen, die Mehrheiten finden.
GKN: In der Magdeburger Erklärung wird hinsichtlich der UNWRA gefordert, die Finanzierung einzufrieren. Das entspricht dem amerikanischen Vorgehen. Jetzt haben Sie heute (GKN: In einem Vortrag am 26.11. in Nürnberg über die BDS-Bewegung) gesagt, dass die UNRWA eine von Korruption und Israelhass durchzogene, nicht reformierbare Organisation ist. Dieses Friedenshindernis sei aufzulösen und die humanitären Aufgaben auf das allgemeine Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen, die UNHCR, zu übertragen. Wie lässt sich das verargumentieren?
Uwe Becker: Der Hintergrund stellt sich so dar, dass man 1948/49 unter der besonderen Situation des Unabhängigkeitskrieges für jene Araber, die ihre angestammten Gebiete verlassen mussten, diese Flüchtlingsorganisation geschaffen hat, um humanitäre Hilfe zu leisten.
Es hat sich dann aber über die Jahrzehnte, in denen man den Flüchtlingsstatus konserviert hat, eine Struktur etabliert, die im Grunde von sich selbst und letztlich auch davon lebt, die Palästinenser nicht zu mündigen Bürgern reifen zu lassen, sondern klein zu halten. Das ist das Resultat davon, dass man ein eigenständiges Flüchtlingswerk hat, das sich nur auf die Palästinenser bezieht. Im Gazastreifen hat sich zudem zwischen der UNWRA und der HAMAS eine unglaubliche Nähe entwickelt. Viele Menschen, die dort tätig sind, haben auch Bezüge in Richtung Hamas. Schulen der UNWRA werden missbraucht, indem Schulbücher verwendet werden, in denen Israelhass propagiert wird, auch dadurch, dass in Schulen Raketen deponiert werden. Und jetzt ist ja auch neulich der Vorsitzende des Flüchtlingswerks mit Vorwürfen von Misswirtschaft und Vetternwirtschaft zum Rücktritt gezwungen worden.
Das alles sind für mich Indizien dafür, dass man einen solchen Apparat nicht wirklich reformieren kann und die UNWRA von einem Flüchtlingshilfswerk zu einem Friedenshindernis geworden ist, das die Gräben zwischen Palästinensern und Israelis nicht verkleinert, sondern eher vergrößert. Es wäre klug, die Aufgaben, die man im Umgang mit den Palästinensern hat, bei der UNHCR, dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen anzusiedeln. Aber leider ist Deutschland, als die Vereinigten Staaten die Finanzierung der UNWRA deutlich reduzierten, nichts Besseres eingefallen, als zu sagen: Wir oder die Europäer übernehmen den Großteil der entgangenen Mittel. Ein solches Verhalten macht Bemühungen von reformwilligen Menschen zunichte, die Strukturen vor Ort zu verändern. Aber, warum sollten sich die Palästinenser damit auseinandersetzen und das eigene Verhalten gegenüber Israel kritisch hinterfragen, wenn das Geld trotzdem fließt? Mit der UNWRA erreicht man keine Verbesserungen. Es wird nur der Status quo fortgeschrieben.
GKN: In der Magdeburger Erklärung habe ich gelesen, dass die DIG Tendenzen in Deutschland verurteilt, die darauf ausgerichtet sind, Juden zu diskriminieren und zu verfolgen. Radikalisierung von vordergründig demokratischen Parteien, die den Holocaust banalisieren, sind unerträglich. Die DIG lehnt jede Zusammenarbeit und den versuchten Schulterschluss von Rechtsextremen gegen die Muslime ab, dies gilt explizit auch für die AfD. Aber auch der Antisemitismus in muslimischen Kreisen und unter Neueinwanderern sei inakzeptabel. Sie haben das heute bei Ihrem Vortrag noch erweitert auf den bürgerlichen Antisemitismus und den linksradikalen Antisemitismus, der sich in der BDS-Bewegung manifestiert. Förderprogramme wie „Demokratie leben“ sollen ausgebaut und gestärkt werden. Präventionsprogramme gegen Antisemitismus, Israelfeindlichkeit und Rechtsextremismus für Schulen und Integrationskurse werden angemahnt. Antisemitismus und insbesondere Antizionismus sollte Straftatbestand werden.
Zu diesem Themenbereich gibt es noch den spezifischen Beschluss – „Abgrenzung von der AFD“. In diesem Beschluss wird festgehalten, dass die AfD weiter nach Rechtsaußen gerückt und völkische Politik prägend ist. Die AfD sei eine in den Parlamenten vertretene Partei, die Antisemiten und Israelfeinde in ihren Reihen hat, Netzwerke bis weit nach ganz Rechtsaußen knüpft, das Schächten verbieten will, einen Schlussstrich unter die Holocaust-Aufarbeitung fordert, die Demokratie verachtet und zerstören will, gegen „Fremde“ hetzt und Verschwörungsfantasien verbreitet. Die Mitglieder der DIG haben die Ziele der DIG anerkannt. Diese sind mit den Zielen der AfD nicht vereinbar. Die Deutsch- Israelische Gesellschaft hat keinerlei Kontakte zur AfD und der parteinahen Desiderius-Erasmus-Stiftung.
Dazu eine Bemerkung: Es gibt Mitglieder in der DIG, die auch Mitglieder der AfD sind. Ein bekanntes Beispiel ist Erika Steinbach. Es gibt auch Personen, die in der DIG Funktionen bekleiden und gleichzeitig AfD-Mitglieder sind. Ich habe bei befreundeten kompetenten Mitgliedern der DIG nachgefragt, warum man sich da nicht konsequenter aufstellt. Mir ist gesagt worden – und das kann ich nachvollziehen – weil man sich dann auf Glatteis begeben hätte. Es bestünde die Gefahr die Gemeinnützigkeit zu verlieren. Aber eine solche Grenze schließt ja nicht aus, dass man sich mit personellen Problemfällen innerhalb der Deutsch-Israelischen Gesellschaft auseinandersetzt. Meine Frage ist daher: Was macht man über die klare Abgrenzung zur AfD hinaus? Ist etwas angedacht oder wollen Sie etwas andenken?
Uwe Becker: Ich glaube, dass der Beschluss für sich ja schon ein wichtiger, neuer Schritt war, um deutlich zu machen, dass es hier eine klare Linie der Deutsch-Israelischen Gesellschaft gibt und eine Zusammenarbeit mit der AfD grundsätzlich abgelehnt wird. Die konkrete Ausgestaltung dieses Schrittes ist, einerseits das Resultat der Abwägung, dass man in Vereinen bestimmte Dinge nicht völlig in eine Unvereinbarkeit bringen kann, sondern sich an die grundsätzlichen Spielregeln in unserem Land halten muss und andererseits deutlich zu machen, dass wir eine Zusammenarbeit und auch die Zielsetzung, die eine DIG hat, nicht vereinbar sehen mit Zielen und politischen Inhalten, wie sie mehr und mehr von der AfD vertreten werden.
Ich habe auch persönlich sehr deutlich gemacht, dass eine Partei, die den Holocaust zwar nicht strafrechtlich gesehen leugnet, ihn aber so weit relativiert, dass sie das Menschheitsverbrechen an sechs Millionen Jüdinnen und Juden zum Vogelschiss erklärt und dieses damit faktisch leugnet, nicht kompatibel ist mit den Vorstellungen der DIG, deren innerer Kern auf die Zusammenarbeit, das Miteinander von Deutschen und Israelis und auf das Engagement für Jüdisches Leben in der Gesellschaft zielt. Ob das ein Herr Höcke ist, ob das andere sind – das sind ja keine Einzelfälle – sondern die Partei hat sich schon seit dem Essener Parteitag im Jahr 2015 in diese Richtung entwickelt und vertritt eben mehr und mehr völkische und rechtsradikale Positionen, die absolut nicht kompatibel sind mit denen der Deutsch-Israelischen Gesellschaft. Deswegen würde ich auch jedem AfD-Mitglied, das dies hören will oder auch nicht, sagen, dass es bei uns nicht willkommen ist.
GKN: Wenden wir uns einem anderen Thema zu: Sie haben heute (GKN: Am 26. November) in Nürnberg einen Vortrag zur BDS-Bewegung gehalten. Ich denke, die Einschätzung der DIG und die Ihrige zu diesem Thema gehört integral zu einem solchen Interview …
Uwe Becker: BDS sehen wir als klar antisemitische Bewegung. Wir begrüßen daher ausdrücklich, dass der Deutsche Bundestag am 17. Mai dieses Jahres noch einmal, auch als Auftrag an die Bundesregierung, explizit bekräftigt hat, alles Notwendige im Kampf gegen diese Boykottbewegung zu unternehmen. Und ich persönlich habe ja auch heute Abend hier in Nürnberg, bei der Veranstaltung der Arbeitsgemeinschaft Nürnberg/Mittelfranken der DIG, deutlich gemacht, was hinter BDS steht und dass es notwendig ist, zu einem möglichen Vereinsverbot dieser Bewegung zu kommen.
Ein Vereinsverbot gilt ja nicht nur für klassische Vereine, sondern eben auch für ein orchestriertes Zusammenwirken von Menschen mit einer gleichen Zielsetzung und ich glaube schon, dass diese Zielsetzung, gerade auch in Anbetracht der in Erscheinung getretenen Maßnahmen von BDS – der Störung von Veranstaltungen, dem massiven Einwirken/ Einschüchtern von Künstlern, Wissenschaftlern, auch ein Grad Gewalttätigkeit – nicht physischer aber psychischer Gewalt – es für den Bundesinnenminister notwendig macht, das Thema energisch anzugehen und auch Verbotsmöglichkeiten zu prüfen.
GKN: Abschließend komme ich noch auf ein Thema zu sprechen, das mir und einigen Menschen, mit denen ich mich unterhalten habe, sehr unangenehm aufgefallen ist. Im Präsidium der Deutsch-Israelischen Gesellschaft wirken ja Personen zusammen, die aus verschiedenen Richtungen kommen, denen aber gleichermaßen das Engagement für Israel ein Herzensanliegen ist. Dabei wird sicherlich auch die eine oder andere politische Frage kontrovers diskutiert und um den besseren Weg gerungen. Konkret: Ich gehe davon aus. dass Sie den Artikel von Benjamin Weinthal in der Jerusalem Post gelesen haben, in dem Ihr Engagement durchaus sehr treffend wohlwollend charakterisiert wurde. Aber auf der anderen Seite hat Weinthal aus meiner Sicht versucht, zwischen die Mitglieder des Präsidiums und damit letztendlich auch innerhalb der DIG, einen Keil zu treiben. Frage: Gibt es bei solchen Versuchen Reaktionen von Seiten des Präsidiums/des Präsidenten? Wird man mit Weinthal reden und ihm deutlich sagen, dass er sich anders aufstellen sollte und das auch gegenüber der Jerusalem Post deutlich machen?
Uwe Becker: Ich spreche grundsätzlich mit allen Journalisten, unabhängig davon, wie kritisch oder unkritisch sie sind, weil das einfach notwendig ist, aber ich melde mich auch deutlich da zu Wort, wo man aus meiner Sicht über das Ziel hinausschießt. Ich habe schon gleich nachdem der Artikel erschienen war, geschrieben, dass ich die Angriffe auf Teile des Präsidiums zurückweise, weil bei anderen genauso das Engagement für Israel vorhanden ist wie bei mir und die gleiche Aussage ging auch in Richtung der Jerusalem Post.
Wenn ein Verhalten aus unterschiedlichen Gründen vielleicht abweicht von Vorstellungen, die jemand gerne hätte, aber die entsprechenden Personen in der Zielrichtung der Solidarität mit Israel verbunden sind, ist das kein Grund, diese öffentlich als weniger israelsolidarisch zu beschreiben. Man tut sich keinen Gefallen damit, falsche Bilder entstehen zu lassen. Es ist ja nicht so, dass es zu viele Israelfreunde gibt, sondern zu wenige. Insofern muss jede Zeitung und jeder Journalist ein Interesse daran haben, das Engagement aller, die Israel unterstützen, positiv zu würdigen und nicht zu kritisieren, wenn sich bestimmte Personen vielleicht an irgendeinem Punkt anders verhalten als das ein Journalist gerne sehen würde. Eine solche Vorgehensweise führt nur zum Gegenteil dessen, was man erreichen will: man schwächt das eigene Ansinnen.
GKN: Damit sind wir, aus meiner Sicht, am Ende dieses Interviews angekommen. Herr Becker, ich bedanke mich bei Ihnen für das interessante Gespräch.
© Text und Bild oben: Gerhard K. Nagel
Bis zur Umsetzung unseres Journalismusfinanzierungsdekrets kann unsere Arbeit mittels eines einfachen Klicks auf den „Spenden“-Knopf gleich oben rechts unterstützt werden. Oder mit einem Einkauf in unserem Shop.