Zivilisation – Vierter Teil: Preußen und Friedrich II.

Weil „der Bettler ebenso wohl ein Mensch ist wie seine Majestät sind“. Vierter Teil einer zivilsierten Serie von Lord Harald Nicolas Stazol

„Hat er Crayon?“ Den Bleistift griffbereit hatte jeder Dorfvorsteher, wenn er vor seinem König stand, während der in einer schlammigen, offenen Kutsche saß, um hier dort einen Graben auszuheben zu lassen, dort Platz für einen Kuhweide sah, dort die Anschaffung dreier Schweine und das Ausbessern einer Brücke befahl – dieser Mann, in einem staubigen Mantel und einem schmutzigen Dreispitz, war Friedrich II. von Preußen, der Mann, dessen aufgeklärter Absolutismus das Antlitz der Zivilisation entscheidend veränderte, ja, Einfluss darauf nahm wie kaum ein anderer.

Von ihm sind die Worte, die ganz Europa aufhorchen lassen, als er am 14. Dezember 1779 in der „Berlinischen Zeitung“ das Folgende veröffentlichen lässt:

„Sie müssen nur wissen, dass der geringste Bauer, ja was noch mehr ist, der Bettler ebenso wohl ein Mensch ist wie seine Majestät sind, und dem alle Justiz widerfahren muss; indem vor der Justiz alle Leute gleich sind, es mag sein ein Prinz, der gegen einen Bauern klagt oder umgekehrt, so ist der Prinz vor der Justiz dem Bauern gleich und bei solchen Gelegenheiten widerfahren werden, ohne Ansehen der Person.“

Atemlos schreibt der Friedrich-Biograph Wolfgang Fehnor: „Es ist der revolutionärste Text, der vor 1789 veröffentlicht wurde!“ Da werden in England noch unbescholtene Bürger „shangheit“ und zur Marine geprügelt, in den Duodezfürstentümern verkaufen sie die Landeskinder gleich nach Amerika, Russland ist ein Land der versklavten Leibeigenen und in Frankreich gibt es den „Lettre du Caché“, ein vorgedrucktes Formular, in das man nur in aller Willkür irgendeinen Namen einsetzen muss, um ihn in die Bastille zu setzen bei Wasser und Brot.

„Während des letzten Krieges haben sich die Bauern freiwillig gemeldet, um Soldaten zu werden und für das Vaterland zu kämpfen“, schreibt Fritz in seinem Politischen Testament, da eilten die westpreußischen Untertanen als Kriegsfreiwillige zu den fritzischen Fahnen, und das um 1757, weil sie den nationalen Gedanken des Königs instinktiv begreifen, und noch in den vielen Niederlagen, die dieser Mann an der Seite seiner Mannen einstecken muss, rufen jene noch seinen Namen, wenn er als Geschlagener an den Regimentern auf dem Rückzug vorbereitet. Ein Grenadier, dem der König für die Bravour seines Regimentes dankt, antwortet ihm „Warum sollten wir nicht? Wir kämpfen für Gott, das Vaterland, Euer Majestät und die Religion!“

Da laufen schon die Reformen des Staates, die „Preußischen Reformen“ folgen als Begriff etwas später, Friedrich hat sie bereits im Kopf, ganz wie er, 1740 frisch König geworden, unablässig Ordres an das ganze Land abfeuert, mit der Aufhebung ebenjener Leibeigenschaft, die Abschaffung der Folter, der Befehl an von Knobelsdorff, ein Theater zu errichten: „Berlin muss Theaterstadt werden!“ Er hebt die Zensur auf, nun gut, nur für nichtpolitische Themen, er lässt ein eigenes Ministerium für Handel und Gewerbe einrichten und erlässt die Religionsfreiheit: „Die Religionen müssen alle toleriert werden. Denn hier muss ein jeder nach seiner Facon selig werden!“

Er lässt die Getreidespeicher für die Armen öffnen, um sie vor Not und Teuerung zu schützen. Er lässt einen Botanischen Garten anlegen, „der auch den allerschönsten in Europa gleichkommen“ soll.

Allerdings ergeht auch sofort Befehl, 17 neue Bataillons Infanterie und ein neues Regiment Kavallerie einzurichten. Der Biograph: „Vor allem aber wurden in Preußen Schulen gebaut. In den ersten sechs Friedensjahren 1763 bis 1769, wuchsen allein in Schlesien 750 Schulen aus dem Boden; 500 katholische und 250 evangelische. Das machte im Jahresdurchschnitt 15 Schulen in einer einzigen Provinz. Man kann sich Vergleichbares“ – man denke nur an den uns allen begleitenden, chronischen Lehrermangel in der Bundesrepublik, von der Unterbezahlung in allen pädagogischen und sozialen Bereichen – „nicht einmal heute vorstellen.“ Allein die Saudis haben diesen Gedanken voll begriffen, indem sie überall in ihrem Einflussbereich Koranschulen gründen, aber dies ist ein anderes Thema, und hat mit Zivilisation nun wirklich nichts zu tun.

Da zieht sich also in einem Manne der Weltgeist zusammen, wo doch der andere Korse versucht, ihn auch SICH zusammenzuziehen. Aber so wie Wellington in Brüssel auf dem Ball auf die Frage seiner Nichte antwortet: „Boney is not a Gentleman“, ist Bonaparte in seine Schranken gewiesen, zumindest gesellschaftlich – der Kaiser ist nicht zivilisiert. Und schon dann eilt ein schlammüberzogener, völlig verschwitzter Mann die Treppe des Ballsaales hinab, an flackernden Kerzen und blitzenden Tressen der rot-goldenen, britischen Galauniformen vorbei . Ganz England hat sich zu den Truppen nach Bruxelles begeben, und, „he is a Prussian General“, ruft man atemlos über das Parkett, und die Cousine eilt zum Herzog und fragt: „Shall I finish the ball?“

Dabei beginnt er doch erst, der Ball, bei Waterloo, und wiederum ist es ein Preuße in der Tradition, ja, in der Zivilisation eines Friedrich, Gneisenau, der den geschlagenen Preußen ohne Feldherren, mit einem vermissten Blücher, befiehlt:  Wir ziehen nach Wavre, durch den Schlamm Flanderns, und auf den Knien schaffen die Grenadiere die Haubitzen heran, aber da sind sie, die Preußen. „Lass Abend werden oder die Preußen kommen“, hat da der Herzog von Wellington schon gestöhnt, und Napoleon hält die staubverkrusteten Uniformen erst für grau durch das Fernglas, aber darunter ist Preußisch-Blau …

Was aber das Blau mit der Zivilisation zu tun hat, davon wird der fünfte Teil handeln.

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