Kant, Diderot und Lavendelfelder – Zivilisation X.

Und nun gilt es auszuholen in der umfassendsten Bewegung, zu der beide unsrer Arme fähig sind, denn nun betreten Descartes, Diderot und Rousseau die Bühne der Weltgeschichte, und Voltaire wird ihnen folgen, und dort, ganz am anderen, östlichen Ende Europas, in Königsberg, das er nie verlässt, Immanuel Kant.

„Dimidium facti qui coepit habet sapere aude incipe“ – „Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“, schreibt jener einzigartige Mann, ein Kind Preußens, Immanuel Kant. Und diese Worte sind die Grundfesten, in denen tief in das fruchtbare Erdreich verhaftet die Fundamente Europas sind, meines Europas, und womöglich, vielleicht auch nur, des Ihren, verehrter Leser, verehrte Leserin. Respektive der Ludwigschen Etiquette gemäß: Verehrte Leserin, geehrter Leser.

Durch seine Schriften – höchstes Schicksal des Autors – gerät Denis Diderot in den kaiserlichen Blick Katherinas der Großen. Sie lädt ihn an ihren Hof und kauft seine gesamte Bibliothek, aber er beginnt sich bald zu langweilen, wie ein englischer Autor schreibt, und reist bald zurück nach Paris. „Die Entfernung fördert meistens die Bewunderung“, schreibt Diderot (1713 – 1784), da hat ihn Friedrich der Große, wir erinnern uns, schon gelesen. Da nächtigt Voltaire in einem Rokoko-Zimmerchen mit Glastür in den Terrassengarten von Sanscoussi, von kleinen, auf Tapeten gemalten, gelben Kanarienvögeln umrankt, zu einer Tasse Kaffee, in Bleu Mourant. Und wieder atmet da Weltgeist, wir hatten es ja schon bei Rudolf Nurejew.

Dort der Prinz, da der Philosoph. Noch auf Schloss Rheinsberg weist der junge Prinz einen englischen Bänkelsänger zurück. „Ich mag dein Lautenspiel und deine Verse und mit dir ist es amüsant zu sein, aber mische dich nie wieder in meine Staatsgeschäfte ein.“ Solches mag die Kanzlerin, die dieses europäischste aller Jahrhunderte in seinen Anfängen so klar geprägt hat wie niemand außer ihr, wohl manches mal sagen wollen, ohne es zu dürfen. Das ist der Unterschied zu Friedrich dem Großen.

Als ich einmal in Wien beim Dîner äußere, jede Epoche baue sich seine Regierungsshauptsstadt, und Berlin sei samt Kanzleramt so überdimensioniert, es sei der perfekte Platz für eine europäische Gesamtregierung, fallen die Dessertgabeln.

„Ein Solitär“ sogar das Bundeskanzleramt, kurz nach dessen Führung durch das Juwel begegnet mir der massige Spiegel-Korrespondent, bald wird er sterben, an der Friedrichstraße, atemlos vor dem Borchardt´s.

Da ist er, der europäische Gedanke. Von den Lavendelfeldern der Provence weht er herüber, betupftet Versailles und verliert sich am Rhein, wo Dung und Ähren den Sommer aufblühen lassen, hinauf zur See, wo die frischen Muscheln ein ganz eigenes Aroma verströmen, gar nicht unähnlich den Austern in der Bretagne oder den Sardinen Portugals. Dort findet man weißgrundige Kacheln allüberall, blau gezeichnet, wie die aus Delft, hundert Tagesreisen entfernt. Und alle Parlamente des jungen Europa weisen den Halbrund auf, die Stimmen im Kreis um die Stimme. Diese aber alle, diese alle demokratischen Parlamente, vom Atlantik bis an die Ägäis, zu EINEM zu einen – dies zu erleben, wäre mein Wunsch.

FINIS

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Dieser Beitrag wurde am 24. April 2019 veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink. 1 Kommentar

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