heute: royale Party

TorteHeute arbeiten wir nicht.
Stattdessen essen wir Torte.
Und feiern eine royale Garten-Party. Mit Girlanden.
Unsere Schuhprinzessin hat nämlich Geburtstag.
Die Journalismusrettung muss deshalb warten.

Lyrische Ernte 11

Wir nähern uns langsam aber sicher den letzten Einsendungen unseres royalen Gedichtwettbewerbs.
Heute präsentieren wir Euch das wunderbare Stück von Philip Saß:

Ein Heldenlied


Wie war der Journalismus schal

in diesen dunklen Zeiten:

So Qual, banal und so egal,

so fahl, nasal und nicht royal,

voll Unaussprechlichkeiten.


Schon früh warn die Autoren wach

(vor 12!, aus freien Stücken!).

Dann schrieben sie flach von Rafah,

vom Bouleturnier in Bacharach,

von Zahnschmerzen bei Mücken.


Sie färbten ihre Seiten schick

(das ist ein Euphemismus).

Die Leser banden sie per Klick-

und Abofalle, Enkeltrick

und Antisemitismus. — —


Das ist vorbei, die Presse soll

nicht fürderhin verwesen!

Nun endlich gibt es ein Atoll*,

dort lässt sich weih- und würdevoll

vom Weltgeschehen lesen.


Der Adel formuliert sehr fein

und ist auf jeden Fall rough.

Er recherchiert auch ungemein,

viel mehr als Aug- und Martenstein;

und huldvoller als Wallraff.


Der n e u e Journalismus schützt

vor Plaque, regt nicht zur Wut an,

der Stoffwechsel wird unterstützt:

Prinzessinnenreporter nützt

der Welt und fühlt sich gut an.

 

Griechische Morgenröte

von unserem Gastautor Benjamin Weissinger,
der sich mit diesem Text zum royalen Demokratiebeauftragten qualifiziert hat

Wenn ich am heiligen Sonntag schon vormittags aufstehe, dann nur aus einem Grund: Um zu wählen.  Die Wahl ist nicht nur ein Grundrecht.  Wenn ich mir überlege, wieviele Wahlberechtigte es gibt, die absolut keine Ahnung haben, wo sie ihr Kreuz machen sollen oder um was es überhaupt geht, müssen gerade Menschen von gewissem Stand und gewisser Bildung, also mit entsprechenden Einblicken in die Mechanismen unserer Gesellschaft, Verantwortung übernehmen und die nötigen Entscheidungen erzwingen.  Das ist ihre demokratische Pflicht, und somit auch und vor allem meine. Als ich vor einigen Tagen nebenbei im Radio hörte, es gehe dieses Mal um die Frage, ob Griechenland überleben solle oder nicht, fiel mir die Entscheidung noch leichter. Ich weiß garnicht, wie man dagegen sein kann, dass ein so geschichtsträchtiges Land wie Griechenland überlebt.

Im Fußballsport spricht man ja von Traditionsvereinen. Griechenland ist eindeutig ein Traditionsland. Sokratis, heute Fußballspieler beim BVB, war vor vielen tausend Jahren einmal ungefähr der Name eines der bedeutendsten Dichter und Denker der Weltliteratur. Die Spartaner haben Europa einst – und das müssten sogar Menschen wissen, die keine Bücher lesen, sondern nur Filme schauen können – vor dem Durchmarsch der Perser bewahrt und dafür mit ihrem Leben bezahlt. Alexander der Große ritt mit Elefanten über die Alpen, als wäre es nichts. Ein Brad Pitt spielte Achilles. Die Griechen schenkten uns die Olympiade und die Philosophie, Salome und Antigone, Alpha und Omega. Natürlich soll und muss Griechenland leben. Ich werde für ein klares „Ja“ aus Deutschland sorgen.

Umso verärgerter bin ich, als ich vor der Grundschule, in der hier immer gewählt wird, vor verschlossenen Türen stehe. Auch mehrmaliges Rütteln, Klopfen und Rufen hilft nicht. Niemand reagiert, niemand fühlt sich verantwortlich. Es hängen auch keine Bekanntmachungen mit etwaigen Erklärungen aus, oder Hinweise auf Notwahllokale, auf die man ausweichen könnte. Nichts. Zwei Kinder fahren mit Freizeitkleidung über den Schulhof und verwandeln ihn in eine Rennbahn.

Ich rufe laut: „Wird hier heute nicht gewählt?!“

Die Kinder glotzen zu mir rüber und antworten nicht. Das ist unerhört.

„Fahrt ihr bitte mal sofort nach Hause und fragt eure Eltern, ob hier heute gewählt wird, und wenn nicht, wo man da sonst hin muss?“

Es wird weiter wie irre im Kreis gefahren, ohne dass einer antwortet. Sie schauen sich nur keuchend an und rasen dann plötzlich vom Hof. Ich habe das Gefühl, dass sie überhaupt nicht fragen werden, bin aber auch froh, dass sie weg sind. Auf der Suche nach einem ansprechbaren Passanten gehe ich durch eine vollkommen verlassene Straße. Ich kann das alles nicht glauben. Ist den Deutschen denn völlig egal, was mit Griechenland passiert? Steifen Schrittes gehe ich in einen Bäckerladen. Drei-vier Kunden vor mir. Hier steht man also an in diesem Land, aber nicht vor den Wahlurnen. „Entschuldigen Sie bitte“, meine Kinderstube trotz meines berechtigten Zorns nie vergessend, „dürfte ich fragen, wo hier heute über Griechenland abgestimmt wird.“ Die Leute drehen sich um und schauen mich fast genauso an wie diese Kinder. Nach einer äußerst unangenehmen Pause sagt die vierschrötige Bäckersfrau hinter der Theke mit ausdrucksloser Miene: „Also hier nich.“

Ich stürme aus dem Laden und bin so wütend, dass ich eigentlich nur noch nach Hause will. Vielleicht kann man ja auch am Montag noch per Briefwahl abstimmen. Oder es gibt eines dieser Televotings, wie bei dem Song Confest. Der ist ja auch europäisch. Eine junge, nett aussehende Frau kommt mir entgegen. Ich starte einen letzten, verzweifelten Versuch.

„Entschuldigung, Sie wissen doch von der Griechenlandwahl?“

„Ja, sicher.“

„Ja, eben, gut. Und ich suche verzweifelt das Wahllokal.“

„…achso…ja, nee. Da stimmen ja heute nur die Griechen ab. Nur für Griechenland.“

Ich kämpfe dagegen an, wie mir die Röte ins Gesicht schießt und tausend Gedanken strömen mir durch den Kopf. Hab ich da was falsch verstanden? Was für eine Blamage. Das ganze Viertel wird bald darüber lachen. Ich könnte wegziehen. Aber ist das überhaupt meine Schuld? Wie kann es eigentlich sein, dass ich bzw wir Deutschen bei einer so wichtigen Frage nicht mitstimmen dürfen? Das ist mir unbegreiflich. Da höre ich die junge Frau noch etwas sagen.

„Aber wenn ich hier mitstimmen dürfte, würde ich auf jeden Fall ‚Nein‘ stimmen.“

Jetzt wird mir richtig übel. Ich wackele ohnmächtig mit dem Kopf, empfehle mich und gehe schnurstracks nach Hause. Mit „Nein“ würde sie stimmen. Mal eben so aus der Ferne, über die Köpfe der Griechen hinweg, gegen das Recht auf Fortexistenz des großen Griechenlands. Wenn alle jungen Leute so denken, ist es vielleicht doch besser, wenn bald überhaupt nicht mehr gewählt wird. Für viele ist das einfach nichts. Aus der Geschichte nichts gelernt. Für heute habe ich genug von Politik und Gesellschaft. Ich schaue aus dem Fenster in die flirrende Ferne. Es ist warm in Kaltland.

Lyrische Ernte 10

 

Heute präsentieren wir Euch das zweite Gedicht, welches unser fleißiger Untertan atlupus uns zu unserem royalen Gedichtwettbewerb einsandte. Sein erstes lyrisches Werk fand schon großen Zuspruch. Nun aber hier Gedicht Nummer zwei:

 

Jedem Anfang wohn ein Glitzer inne

Rosa gewandet, mit Krönchen verziert,

die Schreibe im Blick, was neues gebiert.

Sich stemmen heroisch gegen die Barbarei,

Prinzessinnen bekämpfen das Einerlei,

um zu retten was schon länger verloren erscheint,

den Journalismus , um den eh niemand mehr weint.

Diese Schlacht haben sie schon verloren,

das merken sie bald,

ob was Neues geboren,

sieht man dann halt.

 

Das Smoothie-Dekret


erdbeerenSmoothies sind zerstückeltes, zerquetschtes und zu Tode gefoltertes Gemüse in einem Massengrab. Wir verabscheuen derartige Gewaltexzesse. Zudem schmecken Smoothies scheußlich. Insbesondere wenn sie grün sind. Oder lila. Oder gelb. Smoothies sind einfach hässlicher als Erdbeeren.Und hässlicher als Kirschen und Pflaumen, die sehr hübsch anzusehen sind. Smoothies sind also fürderhin verboten.

Lyrische Ernte 9

obwohl Anatol Graf von St. Efanowitsch die königliche Frist für unseren royalen Gedichtwettbewerb  durch Tändeley und Mummenschantz versäumt hatte, schickte er uns diesen kleynen Vers als Zeychen seyner Hochachtung. Wir haben huldvoll über die Fristvergessenheit unseres Unterthans hinweggesehen und präsentieren Euch heute also seine fünf lyrischen Zeilen:

Ein Journalismus von Qualität
Stellte fest, dass gar nichts mehr geht
Print war tot,
Das Netz war verroht,
Und für Paywalls war es auch längst zu spät.


Dieser Eintrag wurde am 3. Juli 2015 veröffentlicht. 2 Kommentare

Politische Tugenden

Wir Prinzessinnen schätzen es , wenn Politiker die hohe Kunst der Diplomatie beherrschen. Wir schätzen es weiter, wenn sie nicht von sich auf andere schließen. Wir finden es insbesondere wichtig, dass die eigene Selbstwahrnehmung nicht auf andere übertragen werden sollte. Erstens ist es nämlich meist schlicht unkorrekt,  zweitens ziemt es sich nicht und drittens ist es auch politisch nicht konstruktiv. Leider scheint Spaßhansel Schulz, dessen Anblick ja nicht mal vergnüglich ist, über keine dieser Tugenden und Wahrnehmungsfähigkeiten zu verfügen, wie seine heutigen Äußerungen im MOMA belegen. Ob das nun damit zusammenhängt, dass er Deutscher ist, wie die SPD einstmals nicht müde wurde zu betonen, sei mal dahingestellt. Jedenfalls erteilen wir für dieses untugendhafte Verhalten einen Tadel.

tadel

Rot mit pinker Sohle!

 

Neues aus der Serie Lack&Leder:
von Prinzessin Ramona

Manches versteht sich von selbst.

Da brauchts nicht viele Worte.

Wie zum Beispiel bei diesen roten Schuhen, die ich mir kürzlich besorgt habe. Die brauchen nicht viele Worte. Sie sind rot, sie machen aufregende Geräusche beim Gehen und sie glänzen.

Sie sind also durch und durch royal.

Und sie haben Wirkung.

Bei Veranstaltungen mit gesunder, biologisch-dynamischer Ausrichtung (z.Bsp. Krankenkassenkongress, Bachblütenbrunch)  oder bei pädagogischen Events (z.Bsp. Elternabend, Tagungen zur Friedenserziehung etc.) beispielsweise… also dort, wo man normalerweise nur Marken-Schnürer mit Fußbett,Turnschuhe mit Streifen und Birkenstocks mit ohne Klum-Design findet. Kurz: Bei Schuhen, die mit unglaublich gutem Gewissen und niedrigem Absatz, ihre Träger durch die Gegend begleiten (wobei die Absatzhöhe mit dem guten Gewissen des Trägers negativ korrespondiert, d.h. je niedriger der Schuhabsatz, desto höher das moralische Gewissen des Trägers). Dort jedenfalls entfaltet der rote Stöckel seine volle Wirkung. Der rote Glanz, der hohe dünne Absatz- und nicht zuletzt die pinke Schuhsohle wirken nachhaltig verstörend auf die anwesendenTeilnehmer. Und beim Laufen klackert freundlich die Musik…

Da brauchts nicht viele Worte.

Manches versteht sich eben von selbst.

Lyrische Ernte 8

Heute präsentieren wir Euch ein weiteres Gedicht aus unserem royalen Gedichtwettbewerb.
Simon Wagner will ebenfalls seinen Teil beitragen und ließ sich zu unserer Freude zu einer postmodernen Synthese eines bereits vorhandenen Gedichts und seiner eigenen Betrachtung des Online-Journalismus‘ hinreißen:


An den Online-Journalismus


von Simon Wagner
und
Johann Wolfgang von Goethe
(Original: „Zueignung“ aus Faust I)

Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten
Die früh sich einst dem trüben Blick gezeigt.
Ich habe euch zunächst für tot gehalten,
Jetzt bettelt ihr darum, dass man euch liket.
Die Netzgemeinde reagiert verhalten,
Denn viele meinen, dass ihr das vergeigt;
Mein Busen fühlt sich jugendlich erschüttert
Vom Redakteur, der eure Texte twittert.

Oh, Journalisten, euer Weg ist vage,
Und manche schlechten Blogger steigen auf;
Gleich einer alten, halbverklungnen Sage
Klingt’s, dass es mit euch einmal ging bergauf;
Und fast verzweifelt klingt die dreiste Frage,
Ob ich mir einen Online-Zugang kauf‘.
Manch Medium ist suchend schon nach Kunden
Vom Glück getäuscht, vor mir hinweggeschwunden.“

Was zieht ihr das unnötig in die Länge?
Ihr seid verdammt zum Online-Untergang;
Zerstoben ist das freundliche Gedränge,
Zu Ende ach! der schnelle Klickvieh-Fang.
Dein Leid ertönt der undankbaren Menge,
Um deren stete Achtsamkeit man rang.
Das macht, dass ihr euch nicht mehr davor scheuet,
Dass ihr das Netz mit Sex and Crime erfreuet.

Und mich ergreift ein längst entwöhntes Sehnen
Nach jenem stillen, ernsten Info-Reich.
Nicht Krautreporter, denn das ruft nur Gähnen
Und Leid hervor, beim Lesen wird man bleich.
Drum wünsch‘ ich mir, das möchte ich erwähnen,
Was den Prinzessinnenreportern gleicht:
Was die so schreiben, loben die Gescheiten,
Und was sie tun, wird mir zu Wirklichkeiten.

Die Entdeckung der Schönheit

Ein Gastbeitrag von Benjamin Weissinger

Dass ich für die Prinzessinnenreporter über das „Zentrum für politische Schönheit“ schreiben sollte, schien mir schon vom Namen her einleuchtend. Dass es außerden darum gehen sollte, Flüchtlingen zu helfen, fand ich wunderbar. Armen Menschen in Not muss geholfen werden. Bekanntlich setzen sich viele Reiche und Schöne so gut sie können für diese Menschen ein. Ich etwa war schon oft auf Wohltätigkeitsveranstaltungen und habe dort für Gott und die Welt gespendet, nichts war mir gleichgültig, ich war überall dabei, wenn es die Zeit zuließ. Ich wusste, ich wollte, und ich wusste, ich konnte helfen. Hier aber, beim Zentrum für politische Schönheit, schien es sich um noch konkretere Intervention, um politische, vielleicht sogar gefährliche, ja wagemutige Aktion zu handeln. Von dieser Vorstellung war ich, das kann ich mit einigen Tagen Distanz sagen, berauscht, ja, verzaubert.

Als ich in Berlin auf die ersten Aktivisten traf, ließ ich mich vom Strom der Menschen mitreißen und schnappte allerhand auf, das ich mir vorher bewusst nicht angelesen hatte, denn ich wollte die Aktion unvoreingenommen aufsaugen. Ich erfuhr also, dass ich Teil eines „Marschs der Besessenen“ sei, so nannten sie es, glaube ich, und dass man zum Reichstag ziehe, um dort zu demonstrieren. Hervorragend, dachte ich, und spürte eine positive Anspannung in mir, aber auch unter meinen Mitdemonstranten. Ein unsichtbares Band, das schon nach wenigen Minuten zwischen uns bestand. Mit dem Vorschlag, uns ein paar Taxis zu rufen, setzte ich mich aber ganz schön in die Nesseln. Gelächter, aber durchaus gutmütiges.“Wir laufen natürlich!“ Urig. Toll. Wie neulich die Staatsoberhäupter beim Almauftrieb. Das Wetter ließ es auch zu. Wir machten auf dem Weg einige Fotos voneinander. Auf den meisten war ich in der Mitte, das geschah alles ganz natürlich und unverkrampft. Dann endlich kamen wir am Reichstag an. Es hatten sich schon viele Mitdemonstranten versammelt, und nun erfuhr ich, dass es noch eine spezielle Aktion geben solle, nämlich das Ausheben von Gräbern.

Jeder, der noch nie ein Grab ausgehoben, geschweige denn jemanden unter die Erde gebracht hat, kann sich wohl den spontanen Widerwillen vorstellen, mit dem ich auf diese etwas morbide Idee reagierte. Vor allem, wie sollte das Flüchtlingen helfen? „Mensch, die Toten kommen. Deutschland muss sie endlich wahrnehmen“, versuchte mir jemand auf die Sprünge zu helfen. Die Toten kommen? Wo… ? -„Jetzt?“ -Ich drehte mich doch sehr verunsichert, und, ich will das garnicht leugnen, auch etwas verängstigt um. „Nicht wirklich, Mensch, symbolisch.“ Symbolisch? Wie. Warum. Die Toten…was wollen die denn mit Toten? Ich schwieg aber, da ich das ärgerliche Gefühl hatte, mich mit weiteren Fragen nur zu blamieren, und wartete ungeduldig ab, was geschehen würde.

Irgendjemand hielt über Lautsprecher eine Rede, die mich aber – um ehrlich zu sein – nicht sonderlich interessierte. Viel aufregender fand ich, wie sich viele meiner Mitdemonstranten auf die eigentliche Aktion vorzubereiten schienen. Einige zogen Säcke mit Erde hervor, andere hatten plötzlich Bretter und Holzpflöcke in der Hand. Mich erinnerte das irgendwie an Bram Stoker’s Dracula, wie er mit Heimaterde nach London zieht, aber auch dort nicht zur Ruhe kommt, was ich allerdings für mich behielt. Dann brach etwas entfernt von mir die Hölle los. Einige hundert Demonstranten kesselten eine kleine Polizeieinheit ein, die offensichtlich versucht hatte, die Aktion zu sabotieren. Alle brüllten „Mörder! Mörder!“.

Kalter Schweiß brach mir aus. Mord? Gerade eben? Ich wollte schon Hals über Kopf davonlaufen, als mir eine Mitdemonstrantin sagte, es sei nicht wirklich jemand gestorben. „Ach, symbolisch“, stellte ich erleichtert fest. Sie nickte etwas zögerlich. Anderswo gelang es den Aktivisten, mit ihren Utensilien teils sehr schöne Grabattrappen auf den Rasen zu zaubern. Jemand brüllte mir seitlich ins Ohr, ich solle nicht vergessen, das sei auch Kunst. „Keine Sorge, ist mir schon aufgefallen“, sagte ich etwas barsch, denn die unaufhörlichen Belehrungen begannen mich nun doch etwas zu stören. Dann kamen mehr Polizisten und wollten wohl wieder stören. Alles ging sehr schnell, viele liefen und riefen nun durcheinander, und ich taumelte verwirrt, aber auch zunehmend beseelt durch diesen herrlichen Rummel.

Denn langsam verstand ich, ohne dass es mir jemand hätte sagen müssen. Die Gräber und das alles – das sind wir. Die Toten in den Gräbern, die ja in Wahrheit garnicht da sind und ja auch nur symbolisch gemeint sind: Das sind auch wir. Wir müssen aus diesen selbstgeschaufelten Gräbern auferstehen, weil wir garnicht tot sind, ja, wir müssen zu Flüchtlingen werden, die den Rasen nach und nach verlassen müssen. Weiß Gott, das Zentrum hatte mich aufgeweckt. Ich fühlte mich wie ein Flüchtling im Widerstand, neugeboren, auferstanden, irgendwie gut drauf. Mit viel Verantwortung, mit einer Mission, die für mich bestimmt ist. Ich sah meinen Brüdern und Schwestern, so nannte ich sie jetzt, an, dass es ihnen auch so ging. Alle hatten dieses Leuchten in den Augen. Das Bewusstsein, sich, aber eben auch anderen, etwas wirklich Gutes getan zu haben. Natürlich auch für die anderen Flüchtlinge, denen es noch etwas schlechter geht. Denn, wie ich es auf dem Weg in eine sehr nette Kneipe, in der wir Schönen es uns den Abend noch lange und zurecht gut gehen ließen, so schön sagte: Spenden und irgendwo helfen, schön und gut. Aber sich und andere wirklich bewegen, also symbolisch, Aktion, Kunst auch, Humanismus, Menschenrechte, ja, Widerstand, und das eigene Ich, das „Ich“ betonend, für andere! Das ist das, was wirklich zählt.

Dieser Eintrag wurde am 30. Juni 2015 veröffentlicht. 1 Kommentar